Hallo meine Süßen,
Wollte mal kurz Bericht erstatten und mir ein bisschen was von der Seele schreiben.
Mein Tag verläuft so mäßig gut. Ich finde ich schlage mich sehr wacker. Das Problem ist, dass ich heute eigentlich in die Agentur meines Vaters gefahren wäre, aber anschließend eben auch wieder nach Hause - so dass insgesamt 3 Stunden Fahrzeit auf mich zugekommen wären. Mein Vater hat mir dann gesagt, dass ich ruhig zu Hause bleiben kann und er mir diese Fahrt nicht zumuten möchte. Eigentlich supernett und verständnisvoll von ihm, aber für mich ging dadurch meine ganze Tagesplanung und Struktur kaputt

... und da ich in der Spontaneität und Achtsamkeit eben noch ein Neuling bin, ist das jetzt gar nicht so einfach für mich. Zum ersten Mal nach Tagen war der konkrete Gedanke an Fressen und Kotzen da. Warum? Weil ich dachte:
Hm, freie Zeit, kann ich doch prima für Selbstschädigung und Selbstbetäubung nutzen! Dieser innere Druck von wegen "ich muss arbeiten, ich muss dies, ich muss jenes, ich muss hier aufpassen und das unterlassen" ist mir doch eh zu viel. Einfach mal abschalten und sich so richtig gehen lassen. Außerdem ist jetzt mal Schluss mit der schönen Zeit, jetzt ging es mir lang genug gut, ich muss unbedingt arbeiten, wenn nicht, bin ich nichts wert und habe keine Berechtigung mich wohlzufühlen und schon gar nicht es mir gutgehen zu lassen Da ist mir erstmal aufgefallen wie sehr ich mich a) unter Druck gesetzt habe und b) immer noch Selbstbestrafungsimpulse habe. Komisches Gedankenwirrwarr, was? Ich habe mich jedenfalls damit auseinandergesetzt und erstmal ein lautes STOPP in meinen Kopf gerufen. Wieso sollte ich es mir nicht länger gutgehen lassen dürfen? Wieso MUSS ich arbeiten? Ich nage nicht am Hungertuch. Ich nutze die freie Zeit sehr positiv für mich und so gibt es doch überhaupt keinen Grund, mich "ohne Arbeit" schlecht zu fühlen. Außerdem: Mein Vater hat mir schließlich spontan freigegeben! Wieso sollte die schöne Zeit plötzlich vorbeisein müssen? Das ist Humbug. Ich gebe mir selbst die Erlaubnis sie fortzuführen. : )
Und nun zum erstgenannten Punkt: Klar, ist es anstrengend und neu für mich momentan. Irgendwo höre ich ohne die Bulimie ja auch diese strafenden und fordernden Stimmen stärker, da ich sie früher (versucht habe) durch die Fressanfälle abzuschalten. Die Frage ist nur, was nützt es sie kurzfristig abzuschalten, wenn sie danach nur umso lauter brüllen? Die Frage ist außerdem: will ich überhaupt das solche Stimmen sich in meinem Kopf Gehör verschaffen? Will ich überhaupt länger mit diesen Anforderungen, dem (Leistungs- und Perfektions)-Druck an mich leben? Oder will ich mich nicht viel lieber ECHT davon befreien, ICH sein dürfen?
Dafür ist es mir auch wert diese Stimmen momentan anzuhören, manchmal einfach nur zu ertragen und mich gelegentlich dabei zu ertappen wie ich ihnen Glauben schenke. Aber vor allem bin ich dabei ihnen die Berechtigung mich zu dirigieren zu entziehen. Ich bin schließlich kein dressiertes Äffchen wie es meine Therapeutin vor zwei Tagen sehr treffend formulierte!

Vorhin saß ich dann schon wieder am PC und hatte vier Fenster gleichzeitig geöffnet, dachte an die To-Do-List des heutigen Tages (wenn man frei bekommt, muss man sich selbst natürlich sofort Aufgaben auferlegen..) und machte mich einfach nur selbst verrückt. Ich stoppte die Situation, legte mich ins Bett und sitze nun hier.
Ich verzeihe es mir in die alte Falle des eigenen Drucks getappt zu sein, aber ich möchte auch daraus lernen und es mir nun wieder besser gehen lassen:
Ich muss gar nichts. Ich muss auch nicht glücklich, heiter oder kraftvoll sein. Ich darf einfach sein wie ich mich fühle. Ich darf tun, was ich möchte.
Ich darf mir wieder mehr Zeit lassen.
Ich höre auf mehrere Sachen gleichzeitig zu machen und wie ein Hamster im Laufrad zu rennen.
Ich höre auf mich selbst zu kontrollieren, zu bewerten, zu kategorisieren.
Ich höre in mich hinein. Ich spüre mich. Und den gegenwärtigen Augenblick.
Der Druck zu erbrechen ist weg, aber ich habe Hunger. Und koche nun. Ganz in Ruhe. Ich werde nicht nochmal einen Blick auf meine To-Do-List werfen, nicht nochmal die Mails checken, nicht nochmal irgendetwas anderes tun als mich jetzt und sofort um mein Bedürfnis nach Nahrung zu kümmern. Was soll schon passieren? Das Wichtigste spielt sich schließlich immer im gegenwärtigen Augenblick ab.
PS: Ich habe schon wieder dieses Herzflattern wie vergangene Woche beim Gespräch mit meinem besten Freund. Ein Gefühl es nicht wirklich glauben zu können, dass ich einfach DARF. Noch ein leiser Zweifel ist dahinter, der sagt "nein, du liegst falsch, kontrollier dich besser oder noch besser "bestrafe dich" aber ich sage und brülle jetzt laut vor dem PC "NEIN NEIN NEIN, ICH DARF LEBEN UND EINFACH NUR SEIN - IM HIER UND JETZT!"