Mal wieder sitze ich hier vor dem Computer mit vollgefressenem Bauch, mir ist total schlecht und ich könnte mal wieder einfach nur heulen bei dem Gedanken, wie fett ich eigentlich bin.
Die Leute, die wissen, wie es mir momentan geht, sagen dauernd „Hey, es gibt doch Schlimmeres und meinen, dass man gar nicht so stark merken würde, dass ich zugenommen habe. Jaja, diese zweistellige Zahl sieht man nicht- das glaubt doch keiner.

Naja und heute war ich ja bei der Wohngruppe und habe doch nur ein „Infogespräch“ gehabt- anscheinend hat es sich um ein Missverständnis gehandelt und ich bekomme später ein Bewerbungsgespräch, wenn ich will.
Nur hab ich mich immer mieser gefühlt, als ich erfahren habe, was man in der Wohngruppe zu beachten hat und welche Vorraussetzungen man mitbringen soll.
Allein schon als ich gehört habe, dass es sich um eine Gruppe handelt, die sich nur auf Anorexie und Bulimie (auf dem Flyer steht extra Ess-BRECH-Sucht!) beschränkt, hatte ich das Gefühl am falschen Ort zu sein. Die haben doch hunderprozentig noch nie was von einer „atypischen“ Bulimie gehört und außerdem bin ich ja kaum noch atypisch, weil mein Hungern dem Fressen hinterherhinkt. Auch im Brief vom Gutachter der Krankenkasse habe ich gelesen, dass ich wohl eher eine „Binge-Eaterin“ geworden bin. Das macht mich ehrlich fertig, denn Binge-Eating ist in der Gesellschaft so unglaublich verpöhnt und stößt auf keinerlei Verständnis. Die Wohngruppe kann ich dann auch gleich an den Nagel hängen, denn auf Binge-Eating sind sie ja nicht spezialisiert. Und selbst wenn sie mich unter der Diagnose „atypische Bulimie“ nehmen würden: Wer nimmt mich denn noch ernst? Alle Mädchen da haben damit zu kämpfen, überhaupt das Mindestgewicht zu halten und ich bin total weit davon entfernt mit meinem oberen NG. Und gewogen wird jede Woche. Haha lustig, während alle mit ihrem Gewicht hoch müssen, müsste ich mal dringend wieder runter. Da bin ich ja voll die Witzfigur. Und vom Arzt muss man sich auch wöchentlich durchchecken lassen- der wird mir sicher nur dauernd sagen, dass ich Bluthochdruck hab und ich mal auf meine Cholesterinaufnahme achten sollte. Haha…oh ne, mir geht’s grad echt nicht gut. Hab auch heute und gestern wieder gefressen wie ein Schwein. Ich bin einfach so verzweifelt momentan, weil ich einfach nicht weiterweiß…ich werde auf jeden Fall am Freitag mit meinem Therapeuten sprechen und ihn fragen, wie das denn jetzt ist, ob mich die Wohngruppe überhaupt mit meiner jetzigen Symptomatik nehmen würde. Und dann ist ja noch die Problematik, dass es momentan so aussieht, dass ich sofort in Berlin für’s Studium genommen werden könnte, weil ich echt nen guten Schnitt hab. Und wenn ich jetzt in Hamburg einen Platz bekommen sollte, kann ich ihn ja gar nicht wahrnehmen. Mein Thera meinte zwar, dass ich den Platz, falls ich ihn habe, nach Berlin verlegen kann und da dann einen bekomme, aber es ist trotzdem dumm. Ich meine, ich muss die Leute in Hamburg quasi anlügen und die ganze Zeit sagen, dass ich in Hamburg bleiben werde und unbedingt in Hamburg in die Wohngemeinschaft will. Und wenn ich dann den Platz habe und alle anderen Bewerberinnen total deprimiert zu Hause bleiben müssen und sich ihrer ES hingeben, sag ich einfach „Ja Leute, schön, dass ihr mir den Platz gegeben habt und das Zimmer freigeräumt hab, aber ich wurde jetzt doch in Berlin angenommen!“
Das ist so bescheuert…

Ich hab mir auch letztens Bilder von damals angeschaut, wo ich noch unteres NG bzw. Untergewicht hatte und ich musste heulen…ich weiß ganz genau, dass ich super depri war zu dem Zeitpunkt (das war vorletztes Jahr Weihnachten), weil ich mich zu fett gefühlt habe, aber es tut trotzdem so weh, die Bilder von meinem diesjährigen 18. Geburtstg zu sehen, wo ich bereits mein jetziges Gewicht erreicht hatte. Mein Gesicht war total aufgequollen und ich sah einfach nur fett aus. Aaaargh..ich hasse es so- ich hasse meinen Pessimismus, ich hasse meine ES (ok, ist ja irgendwie fast dasselbe wie Pessimismus) und ich hasse es, dass ich mich nicht einfach lieb haben kann. Und eigentlich müsste ich stolz auf mein Abi sein, glücklich darüber, dass meine Mum letzten Sonntag mit einem Mal zu mir meinte, dass es ihr so Leid täte, dass sie mich nie so akzeptiert hat, wie ich bin. Und trotzdem sitze ich hier und renne wie von der Tarantel gestochen zwischen Küche und Computer hin und her. Meine Mum meinte auch zu mir, dass ich das mit der ES bestimmt wieder in den Griff bekomme, wenn ich erstmal keine Schule mehr habe und ausziehe. Aber ich weiß gar nichts mehr. Warum sollte sie denn mit einem Mal einfach so verschwinden? Mein Selbstwertgefühl verändert sich doch nicht durch einen Umzug. Oder doch? Keine Ahnung…ich weiß, dass ich irgendwan wieder total geschockt sein werde, was für ein Pessimismus momentan aus meinen Zeilen spricht, aber momentan kann ich nicht anders. Ich habe wieder das Gefühl, einfach in ein tiefes Loch zu fallen mit meinem dummen Binge-Eating. Und das ironische ist, dass ich noch nicht einmal typischer Binger bin, weil ich ja teilweise schon dazu komme, meine FAs zu kompensieren, sodass ich momentan schaffe, mein Gewicht trotz Fas zu halten, aber für eine „atypische“ Bulimie reicht es wohl kaum aus. Meine Güte, wie bescheuert ist das denn, wenn man schon anfängt verschiedene ES-Formen als besser oder schlechter zu bezeichnen…aber die Gesellschaft ist ja auch selber krank! Ganz ehrlich, was soll das, dass überall Bilder von Magersüchtigen rumhängen und als Idol angesehen werden? Und die Dicken werden ja eh nur gehasst und als ekelhaft empfunden. Selbst in Büchern und Filmen sind die Dicken immer die Opfer. Hallo??? Was soll das denn? Binge-Eating ist auch eine ernstzunehmende Sucht! Ich versteh es einfach nicht: Wenn ich abnehme, fragen alle besorgt, was denn los sei und wenn ich zunehme, krieg ich nur gehässige Blicke entgegengeschleudert. Ok, das stimmt eigentlich nicht, aber ich nehme es einfach so wahr (mal wieder reine Kopfsache).
Ich weiß auch gar nicht mehr, was ich mit meinem Text eigentlich sagen will…ich weiß nur, dass ich verzweifelt bin, weil ich das Gefühl habe, dass man mich nicht ernst nimmt mit meiner „aktuellen“ Sucht.
Ach ja, ich hab ja noch gar nichts zu meinem Jugendamtbesuch gesagt: Der lief echt ok. Ich musste nur ein wenig von mir erzählen, halt was ich momentan mache, was ich später machen will, wann meine ES angefangen hat etc. die Frau war echt nett und jetzt habe ich einen Personalbogen mitbekommen, den ich ausfüllen soll und den Antrag halt. Und ich kann sie jederzeit per Mail erreichen, wenn ich Probleme hab. Ja, das Treffen war echt gut und sie meinte auch schon, dass sie kein Problem darin sehen würde, mich bei der Wohngruppe finanziell zu unterstützen. Es kommt halt nur darauf an, dass sie bereits mit der Wohngruppe, die ich aussuche, zusammengearbeitet haben. Mit der heutigen Wohngruppe gäbe es angeblich keine Probleme, aber wie schon gesagt: Ich habe eher das Gefühl, dass ich da gar nicht hin kann. Zumal bei der Wohngruppe noch die Voraussetzung gilt, dass man vorher in einer Klinik gewesen sein muss. Und das war ich ja nicht. Sie haben mir zwar gesagt, dass es schön die Möglichkeit gäbe, dass ich doch genommen werden könnte, aber dafür müssen sie mich dann eben beim Bewerbungsgespräch näher kennen lernen. Aber jetzt kommt wieder der Gedanke: Ich bin doch überhaupt nicht krank genug, wenn ich im Vergleich zu allen anderen noch nicht in der Klinik war. Und mein Therapeut meinte ja auch, dass ich da nicht zwingend hin muss, weil meine Sucht ja nicht lebensbedrohlich ist. Naja, und da sind wir ja wieder bei dem Punkt, dass ich so einen Platz in der Wohngruppe ja vergessen kann, weil ich nicht krank genug bin. Es gibt so viele Menschen mit Anorexie und typischer Bulimie, die den Platz sofort brauchen, um wieder körperlich gesund zu werden und an ihrer ES nicht zu sterben. Und bei mir geht es js nur darum, dass ich psychisch wieder auf den Damm komme- physisch ist ja noch alles ok. Und trotzdem fühle ich mich einfach schlecht und missverstanden.

Jeder, der es geschafft hat, diesen langen Text zu lesen und nicht wegen des wirren Geschreibsels durchzudrehen, kriegt von mir nen Keks.^^ Nene Scherz, ich bin einfach nur froh und dankbar, wenn sich jemand die Zeit genommen hat. Danke!

@CordaLexis
Ich hoffe, dass es so ist, wie du es schreibst- dass wir erst in der primären Phase sind, wo wir unsere Gefühle kaum kontrollieren können und sie einen quasi mit massiver Wucht überrollen. Ich muss sagen, mein Essverhalten war in den letzten Tagen mal wieder so schlecht, dass ich gar nicht wirklich mehr mit heftigen Gefühlen in Kontakt gekommen bin, aber ich werde dennoch versuchen, weiter an mir zu arbeiten.
Ich musste schmunzeln, als ich das mit dem Zertrümmern von Sachen gelesen hab- ist aber echt ne gute Idee! Vor allem hab ich voll viel Keramikzeugs hier stehen(hehe^^).
Gefühle analysieren ist immer so eine Sache: Ich stelle mir nämlich schon dauernd die Frage: Warum habe ich einen RF? Geht es mir schlecht? Was bedrückt mich?
Und ich muss sagen, dass ich zwar Hypothesen entwickeln kann, aber in mir drin spüre ich es sowieso nicht, ob meine Hypothese wahr oder falsch ist. Einfach weil sich das Meiste ja im Unterbewusstsein abspielt…schwierig, schwierig.

Schon komisch: Man sollte sich ja eigentlich darauf freuen, wieder clean werden zu können- was eh schon schwer genug ist und dann kommen statt des Triumphs erstmal diese Gefühle, mit denen man auch zu kämpfen hat. Und dann, wenn man die auch bewältigt hat, darf man nie mit der Gewissheit leben, dass man nie RFs hat, weil die Sucht ja quasi noch im Hinterkopf drin steckt. Fazit: Ist man erstmal an einer ES erkrank, ist das Leben schwer…
Aber das sind alle keine Gründe nicht zu kämpfen!! Wir schaffen das!!
