Re: Bericht einer Ehemaligen

#95
Hi.

So, an meinem freigenommenen Tag (Wohnung ist inzwischen jetzt schon wieder etwas bequemer) möchte ich mal von Pleiten, Pech und Pannen erzählen:

Ich immer super Schülerin usw. Kam dann an die Uni, habe mich in einen Deppen verliebt. Und dieser Depp hat mich ins Schwanken gebracht, mußte alles überdenken.
Davor aber schon sechs Jahre oder so Bulimie gehabt, zwischendrin ein Jahr in Amiland gewesen, für mein erstes Studium (Medizin) geschuftet wie blöde, um es dann mal eben einfach so aufzugeben.

Jetzt schufte ich wieder wie eine Blöde, werde es aber dieses Mal nicht aufgeben, sondern Abschluß machen. (Der ist nun auch schon aus meiner Sicht in erstaunlich fast schon greifbarer Nähe. Gott hab' Dank.)

Ich frage mich sehr oft: Wann fängt man an zu leben?
Ich habe immer etwas, was erledigt werden muß, bevor ich es angehe. Das ist v.a. weil ich nie irgendein Spezialinteresse in irgendwas hatte, folglich auch kein Studium, keine Ausbildung und gar nichts, da ich dachte: So ja, ganz genau jetzt und nur das will ich machen.

Jetzt denke ich - und das kostet manchmal Überzeugung: Alles wurscht, nur ne'n Abschluß sollst Du jetzt mal haben.

Es ist so ätzend, wenn man wie ich, dann mal acht Jahre nur studiert. (Okay, daneben habe ich noch eine Eßstörung bewältigt, aber trotzdem:) Im Wesentlichen nur am Studieren. Und ja nicht faul oder so, mußte ständig viel für's Studium ackern. Kein Bock mehr, will jetzt mal was richtiges, so mit Geld verdienen usw. machen.
Habe schon das Gefühl, dass ich da wegen fucking (pardon) Eßstörung nachhinke.

Manchmal krieg ich's nicht aus dem Hirn, wenn manche andere Maßstäbe haben.
Keine Ahnung, aber z.B.: Wenn man niemals so wirklich damit befasst war, sich psychisch herumzuquälen, dann kann man vielleicht andauernd über, von, mit, bei g'scheiter Bildung reden. Für mich - trotz des großen Wissens - scheint all das aber oft auch einfach nur ein Labern.

Ich kann z.B. nicht viele Fremdworte. Ich habe sie schlicht nicht mitbekommen, weil ich eben keine Zeitung mit 16 gelesen, sondern, naja, halt geko... habe. Und das finde ich depremierend, dass Leute soviel daran bemessen. An sich müßte ich voll oft fragen: Was heißt das (blablaxfremdwortyblanixversteh)? Tue ich nicht, ich lächle dumm, tu mal so, als hätte ich verstanden.
Ergo: Bin ich in den falschen Kreisen?
Ich bin alles andere als dumm. Gar nicht. Aber Bildung, sowas kenne ich nicht. (Dank Studium kann ich da jetzt so manches nachholen.)

Aktion: Weiter aufräumen.

LG,
wie immer: großen Dank für's Lesen (ich glaub ich fange bald an mich in meinem Zeugs zu wiederhohlen),
Anna

Re: Bericht einer Ehemaligen

#96
Ich lese Deine Beiträge immer und sehr gerne.

Ich gewinne so langsam den Eindruck, Anna, dass Du mit aller Gewalt etwas aufholen möchtest, was Du durch die Bulimie verpasst hast. Das beginnt mit den Ausbildungen, geht weiter über soziale Bindungen bis hin zum eigenen Selbstbild, welches Du noch etwas auf der Suche bist.

Das Tempo ist mir zu hoch, was Du dabei an den Tag legst. Du setzt Dich teilweise schon wieder unter Druck, welchen Du noch durch sehr gute Selbstreflektion in Deine "schlechten" Tage kompensierst. Aber Du verbrauchst eine Unmenge an Energie, Dich in dieses "neue" Leben endlich implizieren zu dürfen, dass ich glaube, Du gehst an diesem Tempo etwas kaputt.

Du vergleichst Dich bereits wieder mit anderen, anstatt sich erst mal selbst genug zu sein. Weil dort beginnt eigentlich das Leben. Sich einfach selber zu gefallen und sich nicht mehr pausenlos zu hinterfragen. Leben beginnt mit einer inneren Ruhe, Du hast aber eine ganze Menge Unruhe in Dir.

Du bist "lebenshungrig" mit jeder Faser Deines Körpers, aber man muss das Leben in kleinen Happen zu sich nehmen, nicht alles auf einmal. Weil sonst verschluckt man sich sehr schnell daran. Und Jahre, die man verloren hat (und das wird nun etwas weh tun, zu lesen) kann man nicht mehr "aufholen". Aber man kann mit dem, was noch vor einem liegt, sehr glücklich werden. Wenn man es richtig angeht.

Nimm den Aktionismus etwas zurück, Anna. Schnaufe mal hin und wieder durch und sei Dir einfach gut. Du bist es nämlich - gut !

glG
Caruso
Zuletzt geändert von Caruso am Mi Nov 12, 2008 17:18, insgesamt 1-mal geändert.
Die Weisheit lief mir nach, doch ich war schneller .....

Re: Bericht einer Ehemaligen

#97
Lieber Caruso,

zum etwas Weinen (nichts dramatisches, ganz angenehm, ich mag das, so ab und an) bringen mich doch die wenigsten Leute.

Du hast natürlich absolut recht. Und es ist immer wieder schön, wenn es Leute merken. (Von anderen würde ich mir das zuweilen wünschen.)

Naja, wenn ich nicht aufhohlen wollte, dann würde auch etwas nicht stimmen.
Leider kann man nicht hingehen, und sagen: Hör zu, ich hatte Bulimie, ich brauch mal noch ne Weile. Vielleicht kann man, aber ich habe es nie getan.

Aber ich merke das, wie ich auf dem Zahnfleisch gehe (und das nicht seit gestern), und trotzdem ist da dieser Wunsch, doch einfach so sein zu können.
Und dann muß man wieder einsehen: Scheiße, nein, so geht's jetzt nicht.

Ich bin immer latent überfordert, aber ich wachse dann daran. Gleichzeitig gehe ich aber auch - wie du es schon sagtest - etwas zu Grunde.
Nun ist die Frage: Was will man machen?

Inzwischen nehme ich es echt schon oft sehr cool hin: Ich denke: Okay, für Dich (xy) ist es jetzt vielleicht nicht so viel, diesen Schein XY gemacht zu haben, aber für mich ist das Leben.

Das klingt jetzt übertrieben, aber: Für mich bin ich der größte Kämpfer (bzw. Kämpferin), die ich kenne. Ich schlucke unendlich viele Dinge am Tag einfach herunter, weil ich mir denke: Bringt jetzt nichts, da irgendwo bei xy stehen zu bleiben, und sich da noch mehr zu involvieren.
Tränen bis zum Orient teilweise. Also heute nicht mehr, aber bis vor so zwei Jahren.

Ich hatte immer dieses 'Ding', und das hat mir auch geholfen:
Ich habe mir gewschworen: Auch wenn ich sterbe, ich möchte auf MEINEM Weg gewesen sein. Ich habe kein Ziel, als kein besonderes, kein bestimmtes, aber ich will gehen (laufen, meinen Weg, ganz normal eben).

LG,
Anna
P.S.: Danke

Re: Bericht einer Ehemaligen

#98
ich habe meinen Thread noch etwas erweitert oben :wink:
Ich habe mir gewschworen: Auch wenn ich sterbe, ich möchte auf MEINEM Weg gewesen sein. Ich habe kein Ziel, als kein besonderes, kein bestimmtes, aber ich will gehen (laufen, meinen Weg, ganz normal eben).
wunderschön !!!!
(okay, so bischen Ziele haben, ist nicht verkehrt ...)
Du wirst Deinen Weg gehen, Anna. Da bin ich mir sehr sicher. Aber gehe ihn - renne ihn nicht ! :wink:
Nimm Dir Zeit auf diesem Weg, auch mal spazieren zu gucken. Eindrücke zu geniessen. Für Dich selber.
Verharre mal dort, wo Du es als schön empfindest, auch wenn dieser Eindruck Dich nicht primär nach vorne bringt. Aber er bringt Dir eine ganze Menge. Für Dich.

*drück Dich mal*

Caruso
Die Weisheit lief mir nach, doch ich war schneller .....

Re: Bericht einer Ehemaligen

#100
Spazieren mit verheulten Augen war jetzt doch nicht so der Brenner gewesen. Aber ich habe mir mal für heute Abend noch was nettes ausgesucht: Einen Vortrag zur Golbalisierung heute und einhergehenden sozialen Ungleicheiten.
Ich hätte auch noch zu einem Vortrag zur wohl beabsichtigten Änderung des Völkerrechts gehen können, aber mir hat es jetzt schon gereicht, von diesem Vorhaben zu lesen. (Die Welt ist - also manchmal; oft kann ich's nicht verstehen.)

Ich bin gerne alleine. (Um mal mein Plaudern noch ein bißchen forzuführen, und weil ich das so selten mache.)
Ich bin gerne alleine, und gehe gerne alleine Wege. Ich will nicht so viel zu Gruppen oder ganz arg fest gebunden zu anderen Leuten gehören.
Vermutlich auch, weil ich mich eben tatsächlich auch (nach wie vor; oh, wann wird's nur enden) selber finden muß.

Ich war mal im Münster hier bei mir - das "muß" ich jetzt erzählen! - und da hatte ich so ein 'Erlebnis':
Ich saß da, recht traurig, muß ich sagen, ich habe mir die Leute und das Gebäude (Bauwerk, wäre wohl besser zu sagen) angeschaut, wie immer, und ich dachte mir so: Oh scheiße, Du bist echt alleine.
Na jedenfalls habe ich da dann dieses Bild gesehen. Äh, ich habe es schon öfter gesehen, denn es ist das Altarbild, und man muß schon krampfhaft auf den Boden starren, um ihm nicht dann doch das eine oder andere Mal vis-à-vis zu begegnen. Ich sah das Bild - also keinesfalls außergewöhnlich -, aber dann war es irgendwie anders, das Bild. Es schien 'zu mir zu sprechen'. Naja, und irgendwie ging es auch 'auf', also es 'öffnete' sich, so kann man sagen. Und dann hatte ich so einen Gedanken im meinem Kopf: Ja, aber Du kannst das sehen. Das klingt jetzt total bescheuert, aber in dem Moment, da war mir, als würde ich so einen winzigen Hauch Paradis 'erkennen'. Also würde ich es ein kleines bißchen jetzt genau dort in dem Moment sehen dürfen.

Ich habe so eine Oma, die besuche ich immer da. In diesem Gebäude. Naja, sie ist 'tot', wie man so schön sagt. Für mich nicht. Bei mir spielt das gar keine Rolle, wo wer gerade ist. Wenn ich sie mag: Im Zweifelsfalle: Immer bei mir.

Ich sinniere.
LG,
Anna

Re: Bericht einer Ehemaligen

#101
Anna, nur kurz, habe leider nicht viel Zeit zum Schreiben... Finde toll, was du schreibst. Und ich finde mich auch darin wieder, was mich dann doch sehr erfreut, da du ja ehemalig bist (ich bin erst drei Monate clean). Schön, dass du deinen Weg gehst und findest!

Alles Liebe, die kleine Colour
If defeat is for quitters, then the victory remains in the try.

Re: Bericht einer Ehemaligen

#102
Liebe Colourful,

danke.
Ich glaube da bestehen bei Dir auch keine Zweifel.
Und ich wünsche es Dir natürlich auch von ganzem Herzen. Zudem: Drei Monate, das ist schon ganz schön viel. Außerdem scheint es ja wohl eine Zeit gewesen zu sein, in der du noch viel mehr lernen konntest, als clean zu bleiben. Das freut mich. Es ist wirklich schön, hier ab und an zu teilen.

Liebste Grüße,
Anna

Dann schreib ich mal noch kurz an dem hier unten weiter... :-)

Hi everybody,

ich schreibe wie fast immer 'wild' drauflos:

Glaube Weinen ist wie eine 'Dusche von innen'.

Naja, also im Rahmen meines 'Fortschritt-Programmes' freue ich mich darauf im Februrar diesen bereits mal irgendwo erwähnten "Vortrag" (Uni, Studium) zu halten. Nur muß ich mal meine eigenen Ansprüche daran etwas niederer ansiedeln.

Jetzt hat mir Colourful so nett geschrieben: Da habe ich schon wieder alles vergessen. :-) Früher war ich immer alleine (mit diesem Kranksein), und hier jetzt - bald "tausende" (naja, etwas übertrieben, aber fast so könnte man es nennen; nur dass es so, wie es tatsächlich ist, noch viel schöner ist, weil: man lernt sich überschaubar dann doch das ein oder andere mal ein bißchen weiter kennen) - "Tausende", die das und oder die Probleme fast alle kennen.

Morgen beginnt es wieder, das 'volle Leben'. Vielleicht jedoch sollte ich mir die Mittwoche (und vielleicht auch noch die Sonntage) immer in dieser Weise freinehmen. Und vielleicht schaffe ich es ja sogar, die noch angenehmer, wohlfühliger oder so zu gestalten. Vielleicht kann ich's wirklich lernen.
Heute jedoch bin ich eine Plaudertasche:

Wir haben so einen kleinen Berg hier (Hügel sollte man's nennen), und da gehe ich immer laufen (spazieren; bin nicht so für übersportliche Ambitionen). Damit beginnen meistens meine Tage: Mit Luft und diesem Hügel. Aber man kann die ganze Stadt von da oben bestaunen.
Ich schaue da immer auch ein bißchen nach Vögeln "usw.". Also ich kenne mich nicht aus, keinesfalls, aber neulich sind da so zwei (von der gleichen Art, also zwei, die sozusagen 'zusammengepasst' ^^ haben) hintereinanderhergeflogen, und das war wie in diesem Zeichentrickfilm 'Merlin'. Kennt ihr den? Da bringt Archimedes dem Jungen (dann ein Vogel) das Fliegen bei. Naja jedenfalls: Da sind die auch so durch die Lüfte geflogen.

Anna mit lieben Grüßen
Zuletzt geändert von Antja am Mi Nov 12, 2008 19:58, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Bericht einer Ehemaligen

#103
Hallo!

Lust ein bißchen aktiv an meinem Studium teilzunehmen?(!):

Mich erwartet heute - mal wieder - der amerikanische Bürgerkrieg (davon lerne ich gerade).

Für die, die Lust haben, da sozusagen "mitzumachen" habe ich eine Frage:
Woran denkt ihr, wenn ihr das hört (amerikanischer Bürgerkrieg)? Was verbindet ihr (so ganz spontan, aus dem Gedächtnis sozusagen) damit?

Grund meiner Frage: Ich soll ein Referat über die 'Erinnerungskultur' betreffs dieses Bürgerkrieges halten, und für mich wäre es total cool, so etwas, wie eine 'kleine Studie' zu haben, was denn bei Leuten davon im Kopf ist. (Und danach kann ich mir dann überlegen, wie das wohl zustande gekommen ist; oder ihr könnt' es mir auch selbst gleich berichten, wenn ihr mögt.) Wichtig wäre: Relativ spontane Antwort! (Also nicht jetzt googeln oder irgendwo nachschlagen!)

Geht nicht darum Eure "Dummheit" zu 'testen'. Kann gleich sagen: Mir wäre dazu wohl nicht viel eingefallen.

Na als wer Lust hat: Ich würd' mich abartig freuen!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

LG,
Anna

Re: Bericht einer Ehemaligen

#104
Hallo Ihr alle!

Möchte was teilen. (Ich red manchmal Englisch, weil ich viel englische Geschichte mache und mal ein Jahr in Amiland war; sprich: nicht irritieren lassen.)

'I feel like I am drifting away from Bulimie.'
Das ist an sich gut; nicht wahr. Nicht nur an sich: das ist generell gut, absolut gut, ohne wenn und aber. Ja, das ist es.

Ich kann mich immer weniger in die 'bulimischen Dinge' (so nenne ich es etwas affig mal) 'einfühlen'. Ich will es auch nicht mehr. Ich "fühle" mich jetzt in meine Studienthemen "ein". Ich 'verwirkliche' mich sozusagen da, nicht mehr im Bulimischen. (Naja, das - Bulimie - ist natürlich keine Verwirklichung; aber eine 'falsche', fehlgeleitete', 'gestockte' oder 'gehemmte' Verwirklichung kann man sie wohl auch nennen, denn: Man ist nicht inaktiv, man arbeitet und schuftet, auch wenn sich dieses Schuften vornehmlich erstmal auf die Destruktion des eigenen Lebens bezieht.)

Erst dachte ich: Weil ich es kenne (Bulimie) würde ich die super entsprechende Ärztin werden. Zumal: Das war ja auch das einzigste, was ich konnte.
Aber ich wollte es nicht. Ich wollte nicht eine Krankheit mein ganzes Leben ausgestalten lassen.

Ich muß jetzt gehen. Vll. schreibe ich da später weiter.
Anna mit Grüßen

Re: Bericht einer Ehemaligen

#105
Anna1 hat geschrieben:Erst dachte ich: Weil ich es kenne (Bulimie) würde ich die super entsprechende Ärztin werden. Zumal: Das war ja auch das einzigste, was ich konnte.
Aber ich wollte es nicht. Ich wollte nicht eine Krankheit mein ganzes Leben ausgestalten lassen.
:?

Ich sehe das ein bisschen anders, ziehe da andere Schlüsse draus. Ja, ich versuche das, was die Bulimie mir beigebracht hat, anzunehmen und bin dafür auch sehr dankbar, ohne jedoch an der Krankheit hängen zu bleiben, die Krankheit mein Leben gestalten zu lassen. Ich ordne mich ihr nicht unter, ich nutze lediglich das, was sie mir beigebracht hat. Meinen Horizont zu erweitern, zu fühlen, mitfühlend zu sein, aber auch meine Grenzen zu erkennen und einzuhalten. Und Verantwortung an dem Punkt abzugeben, an dem ich sie nicht mehr tragen darf.
Und ja. Bei mir ist das Medizinstudium gerade das, was ich nicht kann.
Interessanter Denkansatz.
Nach vier Jahren das Studium aufzugeben erfordert schon sehr, sehr viel Mut! Respekt!

Alles Liebe, Colourful
If defeat is for quitters, then the victory remains in the try.
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