#6
von Antja
Liebstes Traumsternchen,
ja, die Ursachen kenne ich. Da kam einiges zusammen:
Ich war sehr jung, meine heißgeliebte Oma starb, mein Vater war immer sehr buissy, insgesammt war alles eine Zeit der größeren Probleme im Geschäft meines Vaters usw. Ich fand mich aus meiner kindlichen Perspektive betrachtet in einem Wirrwarr von Dingen, mit denen ich nicht so wirklich umgehen konnte. Hatte da an Überforderung gelitten, mußte aber sozusagen 'funktionieren', weil irgendwo keine Zeit blieb damals sich mit Fragen wie: Was ist eigentlich 'tot', wo sind Menschen, wenn sie 'tot' sind, was machen die da, warum? usw. blieb.
Ich hatte also vieles regelrecht 'in mich hineingefressen', um alles irgendwo im und mit dem Essen zu verarbeiten. Ich empfand das Essen und Kotzen immer als: Probleme und Gefühle zulassen (essen), sie wieder loswerden (kotzen). Manchmal auch andersherum: Probleme ignorieren oder 'betäuben' (essen), dann merken: oh scheiße, ich habe zuviel gegessen und mir ist schlecht (ich glaube da ist etwas, was ich fühle), dann kotzen: okay, ich habe meinen gefühlen freien Lauf gelassen.
So in etwa. Ich finde es gibt sehr viele varianten für dieses Essen und Kotzen, sie verändern sich (jedenfalls bei mir war das so), und man entwickelt quasi verschiedene, mal mehr, mal weniger bewußte Strategien.
Ja, ich war in Therapie.
Zunächst war das eine Verhaltenstherapie gewesen. Das hatte ich ganz gut gefunden, auch weil ich nie empfand, tiefgehende Probleme zu haben, sondern mehr mit den Problemen, die ich hatte sinnvoll tiefgehend umzugehen. Mir hatte diese Therapie als Einstieg sehr geholfen.
Dann war ich von dort aus für ca. drei Wochen in einer Art 'psychosomatische Kurklinik' (so würde ich das nennen) gewesen. Das hat mir gutgetan, weil ich lernte: es gibt auch andere mit anderen oder/ und teils ähnlichen Problemen, die sind ganz nette Menschen und man kann sich - egal, wie alt man ist, was man sonst so im Leben (beruflich) macht und 'ist' (mutter, tocher, Freund usw.) - über fast alles nett, liebenswert usw. unterhalten.
Zum Abschluß hatte ich dann nochmals ein paar Stunden bei einem Hausarzt, der - großes Glück - zugleich Dipl. Psychologe war. Dort konnte ich dann nochmals über meine Erfahrungen reden, was für ein Mensch ich bin, wie ich mir die Dinge so wünsche (mal ne Familie haben, ordentlich studieren usw.), und was für eine Leistung es doch auch ist, die Bulimie überwunden zu haben.
Jo, das meine Geschichte.
Vielleicht kann ich hier ein bißchen "helfen", das wäre schön. Ich muß es nur gleich sagen: meine Möglichkeiten sind begrenzt, und sehr oft halte ich es für sehr wichtig, dass 'Betroffene' (oh ich "hasse" dieses Wort, sind ja auch Menschen, sozusagen, !!!, halt 'Sensibelchen' - nett gemeint!!! bin ja auch so eine) -
Also Betroffene sollten glaub immer ganz unbedingt zu Menschen in ihrer nächsten Nähe, ihrem Umfeld gehen. Man braucht auch ab und an mal jemanden, der einem kurz 'die Hand nimmt', tatsächlich berührt usw. das kann (jedenfalls bei mir) wahre Wunder 'auslößen'.
Mein erster Hausarzt (der mich dann zur Verhaltenstherapie brachte; habe ihn gewechselt, weil ich heute woanders lebe), der hatte mich mal so berührt, quasi 'ärztlich 'gestreichelt'', auch etwas väterlich war das durchaus gewesen, und das war für mich dann so 'der Anfang vom Ende' gewesen.
Wie gesagt: wenn ich kann: ich helfe total gerne. Aber andererseits muß auch jeder da seine 'lebensspezifischen' Wege gehen. Ich selbst habe das immer als sehr blöd empfunden, wenn mir andere ihre 'Visionen' 'aufbrummten', als hätten gerade sie das Rezept für jedwege Probleme. Man sollte glaub immer auch bei sich (und da nicht zuletzt) 'um Rat' fragen.
Gibt vieles von sich, was man nicht weiß, aber eigentlich sofort wissen könnte. Vielleicht findet man mehr oder weniger temporäere Begleiter, die einem helfen das, dieses 'Körnchen Gold', dieses 'Sensibelchen' zu finden.
meine Mutter sagte einmal - und damit will ich das hier mal aufhören, ist ja megalang geworden:
"Stell' Dir mal alle deine Freundinnen in einer Reihe vor. Und nun stell dich dazu: Für wen würdest Du Dich entscheiden, zu wem würdest du gehen, wem würdest du helfen?" Ich sagte (und merkte!): "Ich natürlich!" Ich, ich würde immer zu mir gehen. 'Die da' (ich) kenne ich. Sie ist zwar so und so, aber hey, ich mag dich (mich).
"Amen."
Anna