Wie lernt man nicht wütend zu werden?

#1
Hallo,
ich war noch nie in einem Forum, aber ich habe ein grosses Problem und keine Erfahrung mit Bulimie. Meine Freundin (wir sind seit 9 Monaten zusammen) hat seit langer Zeit STARK Bulimie. Sie hat es mir ziemlich frueh erzählt, was ich ihr auch hoch anrechne. Allerdings weiss man erst was es mit sich bringt, wenn man mit der Person zusammen lebt.
Sie hat Tage, an denen sie sich SEHR zusammen reisst, an anderen ist es sehr schlimm. Ich liebe sie sehr und will ihr nur helfen, doch ich merke ich ich aus Sorge fast umkomme. Ich werde wütend, nicht auf sie, sondern darauf das ich IMMER falsch reagiere. Sie fühlt sich kontrolliert wenn ich sie auf das was sie isst anspreche...versteckt Lebensmittel oder "frisst" heimlich. Ich drehe schon immerlich durch, wenn ich nur irgendein Schokopapier rascheln höre. * Müsli [edit] schafft sie ohne Probleme in ein paar Minuten aufzuessen. Wenn sie nicht kotzten will, kann sie nur rohen Salat, Gemüse oder irgendwas essen was ZERO Kalorien hat. Ich versuche mich anzupassen, nicht vor ihr zu essen, doch es ist SO SCHWER. Emotinal & s*x**ll* zieht sich sich oft zurück. Das tut so weh und ich nehme es (unbewusst) oft persönlich. Ich sage ihr, sie kann IMMER mit mir reden, doch sie hat eine so hohe Mauer aufgebaut.... Und ich kann mich ab und zu nicht stoppen und werde aus Sorge so sauer und spreche sie auf das an was sie isst.... warum sie nach all der starken Zeit DAS jetzt essen muss.... ich weiss das ist falsch, aber ich kann mich so schwer stoppen. Soll ich sie machen lassen und zugucken wie sie sich kaputt macht? Das kann ich nicht. Ich liebe sie, trennen will ich mich auch nicht. Wie geht man mit der Person am besten um? Das schlimme ist, um sich von dem Essen abzulenken, wird dann gerne mal zum Alkohol gegriffen...was ja nun auch keine tolle Alternative ist. Ich will sie echt nicht stressen, aber mit meinem Verhalten enge ich sie glaub ich ein.... Soll ich sie einfach machen lassen? Und nichts sagen? Wer hat Ideen??? Ich wäre euch so sehr dankbar....

Liebe Grüsse,
Leigh Ann
Zuletzt geändert von Anonymous am Fr Sep 28, 2012 16:27, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Wie lernt man nicht wütend zu werden?

#2
Hallo Leigh Ann,

ich finds sehr schön das du deine Freundin so magst und ihr helfen willst.

Allerdings wirst du nicht sehr viel für sie tun können. Ich denke nicht das du aufhören solltest vor ihr zu essen. Es kann eventuell sogar helfen wenn du ihr ein gesundes Essverhalten vorlebst.
Am besten du lebst dein Leben weiter, unternimmst viel .. vielleicht lässt sie sich dadurch ein bisschen mitreißen.
Was läuft in ihrem Leben denn schlecht, mal abgesehen von der Bulimie? Das wären vielleicht Dinge wo du ihr helfen kannst. Sobald ich zufriedener mit meinem Leben an sich bin, hab ich auch nicht das Bedürfnis zu essen.
Wobei bei ihr Essanfälle, so lange sie sich in ihrer "cleanen" Zeit nur von Gemüse ernährt, wohl auch körperlich bedingt sein werden. Also so lange sie hungert, sind die FAs vorprogrammiert.

Kontrolle und Kommentare über ihr Essverhalten sind eher kontraproduktiv (aber das weißt du ja schon :) ). Im Grunde kannst du sie nur machen lassen.
Vielleicht kannst du sie zu einer Therapie ermutigen wenn sie noch keine gemacht hat?

Vielleicht gibt es bei euch eine Beratungsstelle für Essstörungen? Da kann man auch als Angehöriger einen Termin vereinbaren und sich Tipps holen und einfach ein bisschen Ballast von der Seele reden. Ich hab mich mal bezüglich einer Suchterkrankung (keine Essstörung) einer Freundin beraten lassen, das kann wirklich sehr gut tun.
Sie sollte auf jeden Fall selbst für ihre Lebensmittel aufkommen und auch alles ersetzen was sie wegisst (wenn ihr das nicht ohnehin so macht).

Liebe Grüße und Alles Gute!
Mowjie

Re: Wie lernt man nicht wütend zu werden?

#3
littleseagull hat geschrieben:Ich sage ihr, sie kann IMMER mit mir reden, doch sie hat eine so hohe Mauer aufgebaut....
"Für sie da zu sein" ist glaube ich auch das einzig richtige. Aber reden ist nicht leicht, vielleicht kann sie auch gar nicht wirklich in Worte fassen, was sie dazu veranlasst.
Sag nicht nur, dass sie mit dir reden kann/du für sie da bist, sondern sei es auch. Ich weiß ja nicht, wie euer Alltag aussieht, aber manchmal wünscht man sich von einem nahestehenden Menschen doch einfach ein "Wie gehts dir" oder eine ehrlich Umarmung.
Es ist leicht gesagt, aber ich denke, wenn ich von mir ausgehe, sie braucht einfach einen Grund, es nicht zu tun und außerdem einen Grund, ihrem Körper auch mal "normale" Nahrung zu gönnen, ohne sie sich wieder "wegzunehmen".
Natürlich spielt da auch Kontrollverlust eine große Rolle - mit einem "Grund es nicht zu tun" meine ich eben Ablenkung, Spaß.
Wenn es die Umstände zulassen und sie es "schafft", ist es vll ganz gut, mit ihr mal auswärts zu essen und danach nicht gleich heim zu gehen. Es muss ja auch keine große Aktion sein, vll einfach irgendwo hinsetzen und die Sonne genießen, irgendwas. Wahrscheinlich fühlt sie sich dabei unwohl. Aber ein Vorteil vom auswärts essen (Lokal, Imbiss, Dönerbude, was auch immer): Man bekommt eine vorgefertigte Portion, das verhindert Kontrollverlust.
Eigtl klingt das grade alles ziemlich dämlich, du kannst sie ja nicht kontrollieren, bzw. solltest du nicht!
Und sprich sie bitte nicht darauf an, sie weiß selber, was sie tut!
Rede lieber über schöne Dinge mit ihr.
Ab einem bestimmten Punkt denke ich aber leider, kannst du einfach nichts machen. Was sie macht ist Selbstvergewaltigung, und die Gründe dafür sitzen tief. Vielleicht kannst du versuchen, ihr den Respekt entgegen zu bringen, die sie selbst für sich nicht aufbringen kann.

Re: Wie lernt man nicht wütend zu werden?

#4
Ohne jemals in dieser konkreten Situation gewesen zu sein - ich kann mir vorstellen, dass es sehr schwierig ist, die unbedingt nötigen Grenzen zu ziehen und das Symptom Essen nicht zum zentralen Thema in der Beziehung werden zu lassen. Denn: Die Probleme mit dem Essen sind immer nur die Spitze des Eisbergs, in Wirklichkeit liegen die "wahren Probleme" meist sehr viel tiefer.
Ich kann nur aus meiner jetzt Jahre oder fast schon Jahrzehnte zurückliegenden Erfahrung mit meinen Eltern resümmieren: Sobald in irgendeiner Weise "Druck" auf mich ausgeübt wurde - "du isst deine Portion nun auf" - habe ich mit Gegendruck reagiert; nicht direkt und konfrontativ, dazu war ich viel zu konfliktscheu, aber ich habe dafür gesorgt, meine gestörten Verhaltensweisen dort auszuleben, wo ihr Einfluss auch mich endete. Es war ein Machtkampf - letztlich war es für mich essentiell, über meinen Körper in letzter Instanz selbst bestimmen zu können, wenn ich mich schon in vielen Lebensbereichen so hilflos fühlte.

Was ich damit sagen will: Zu viel direkten Einfluss ausüben zu wollen, gerade wenn es um den Tanz ums Essen geht, kann letztlich nur kontraproduktiv sein, das führt zu ungesunden Verstrickungen, die die Krankheit eher aufrechterhalten als sie zu bessern. Es könnte auch sein, dass in deiner Freundin (vielleicht unbewusst) die Überzeugung entsteht, dass sie sich deiner Sorge und Zuwendung nur dann sicher sein kann, solange sie "krank" und hilfsbedürtig bleibt (das alles sind, wie gesagt, natürlich nur Spekulationen, dazu weiß ich zu wenig über eure konkrete Situatioen).
Mir ist natürlich klar, dass es unendlich schwieirig sein kann, einfach nur dabei zuzusehen, wie sich ein geliebter Mensch zugrunde richtet. Auch wenn es hart klingt, vielleicht kannst du ihr eine Art Ultimatum setzen: Wenn dein gesundheitlicher Zustand zu kritisch oder lebensbedrohlich wird, dann sehe ich mir das nicht länger an, dann musst du dir professionelle Hilfe holen, oder ich trenne mich -einstweilen - von dir.
Vielleicht kannst du ihr vermitteln, dass du sie als Person - auch als kranke Person - jederzeit akzeptierst, nicht aber ihren Drang zur Selbstzerstörung. Vermutlich ist auch das leichter gesagt als getan. Nicht zuletzt ist auch die riesige Scham über das eigene, also solches empfundene Versagen ein wesentlicher Grund dafür, warum es Essgestörten so schwer fällt, sich Hilfe von außen zu suchen.

Trotz allem: Achte bei aller Sorge um sie immer auch auf dich, auf deine eigene emotionale Stabilität. Niemand ist geholfen, wenn es euch beiden immer schlechter geht und ihr euch gegenseitig hinunterzieht. Du kannst deine Freundin unterstützen, indem du für sie da bist, wenn sie reden will oder emotionalen Halt braucht - aber immer nur unter der Voraussetzung, dass du selbst die nötige Kraft dafür aufbringst. Versuche auch nicht, zu viel zu wollen, du kannst sie nicht "heilen", das kann sie höchtens selbst, vielleicht mit professioneller Unterstützung von außen, von Personen die nicht mit ihr derart emotional verstrickt sind.

Und vielleicht hilft es, bewusst "Inseln" zu schaffen, zu denen die Essstörung keinen Zutritt hat: gemeinsame Hobbies, Freizeitgestaltung, die unabhängig vom Essen ist, woran hattet ihr zu Beginn eurer Beziehung Spaß, wie seid ihr da miteinander umgegangen?

Viele Essgestörte sind tief in sich selbst davon überzeugt, nicht liebenswert zu sein, die Anerkennung von anderen nicht verdient zu haben - dieser Grundüberzeugung entgegenzuwirken ist lägerfristig sicher eines der Dinge, die längerfristig die größte Chance auf Erfolg haben -und dabei kannst du sie in kleinen, stetigen, nicht immer geradlinigen Schritten sicher unterstützen.

Alles Gute für euch :wink:

Re: Wie lernt man nicht wütend zu werden?

#5
Ihr Lieben,
10000 Dank für eure Antworten. Das hilft mir sehr, denn ich bin (noch immer) sehr ratlos. Es ist sehr schwer, wenn man eine Person so liebt, es mit anzugucken. Und ich weiss mir einfach nicht zu helfen! Es war das beste, hier einfach mal nachzufragen, mir "Tips" zu holen - danke danke danke. Es ist wie ein "Zwang" das ich sie jedes mal ansprechen muss. Ab und zu gelingt es mir, dies nicht zu tun. Ich weiss mittlerweile auch, das ICH ihr nicht helfen kann. Dazu stecke ich emotional zu tief drin.
Es sind Kleinigkeiten, die ich nicht verstehe... Wir waren heute essen (mein Vater hat mich eingeladen) Sie hat einen Salat bestellt (ohne Dressing, ohne alles) nun war aber ein "Spritzer" Öl auf dem Salat (die haben das in der Küche verpeilt) und BÄM! das war die perfekte Einladung zum binging: Danach wurde nur noch gegessen. Pommes....Schokolade.....CremeSuppe....ZUCKER im Kaffe (sonst gibts nur Süssstoff) Ist das wirklich so, das ein bisschen Öl sowas auslöst? Und WO lässt sie das ganze essen (sie hat die ersten Mahlzeiten drin gelassen) Sie isst es auch nicht mit genuss...nein.... es wird gestopft. Sie "Muss" es essen. Erst Abends nach dem sie zu HAuse auch viel gegessen hat, wurde alles ausgek***. Ich merke wie ich komisch werde....versuche nichts zu sagen.... dann sehe ich wie sie wieder was zu essen nimmt....und dann platzt es nur so aus mir heraus... a lá Wieso Weshalb Warum. Nicht hilfreich, ich weiss.... Aber was ist es? Was löst das bingen frei? Ist es echt eine Kleinigkeit vom falschen essen?

Ich liebe sie sehr - mit oder ohne Krankheit. Doch die Krankheit spielt schon eine grosse Rolle. Ich weiss, das ihre Eltern absolut unmöglich sind. Schon als Kind MUSSTE sie immer ihre Teller aufessen, sie musste perfekt sein, sie durfte nicht weinen, es wurden keine emotionen gezeigt und dazu wurde ihre Schwester immer bevorzugt. Das wird daher kommen, klar! Ich wünschte, ich könnte ihr helfen....

Ich kann mir sehr gut vorstellen, das es sehr schlimm ist, diese Krankheit zu haben. Doch als Partner "fühlt" man sie sehr mit. Es ist nicht das ich sauer bin oder mich ekele das sie kotzt: Es zerreist mir das Herz in Fetzen....

Ich danke euch für alle Tips - das Hilft mir so sehr!

Beste Grüsse,
L.A.