Nicht das eigentliche Problem, aber...

#1
Nunja...

Da ich hier schon seit einiger Zeit mitlese, möchte ich mich auch mal ein bisschen einbringen.
Wie schon im Threadtitel angedeutet, ich habe zurzeit keine besonders "schwere" Form von Essstörung. Als Jugendliche war ich einige Jahre untergewichtig, d.h. magersüchtig, habe das aber in einer Form betrieben, die zumindest keine körperlichen Folgeschäden hinterlassen hat. Schlimmer fand ich die Folgejahre. Was nach außen hin wie eine Spontanheilung aussah, war in Wirklichkeit eine äußerst ungewollte Gewichtszunahme infolge von Fressattacken. Kotzen konnte oder wollte ich nicht, blieben also nur Sport und Hungern als mäßig erfolgreiche Gegenmaßnahmen. Das Leben wurde dadurch sehr anstrengend und ich zunehmend depressiv.
Mit den Jahren - ich werde heuer 30 - ist die Symptomatik langsam und schleichend ein bisschen in den Hintergrund gerückt. Der wichtigste Schritt hin zur Normalität war sicher, dass ich irgendwann eingesehen hatte, dass es nicht ohne ausreichend Essen geht. In letzter Zeit beliefen sich meine "Fressattacken" meistens nur noch auf etwas größere Portionen von Süßigkeiten, ohne die ich schwer auskomme, alles andere reizt mich nicht mehr sonderlich.

Momentan ist in meinem Leben vieles im Umbruch. Meine Noch(?)-Beziehung, besser gesagt genau das Fragezeichen daran, hat mich ein wenig in die Krise gestürzt und zugleich belasten mich Kindheitserinnerungen, beides empfinde ich als Versagen, mit 30 "muss" man doch irgendwann mit den alten Geschichten abgeschlossen haben, oder nicht? :roll: Beruflich kann ich es mir eigentlich auch nicht leisten, weniger belastungsfähig zu sein.
Nun hat sich seit einigen Wochen irgendwas in meinem Essverhalten geändert. Anfangs war ich einfach nur appetitlos, genauso wie ich kaum schlafen konnte, ich habe das eigentlich für eine den Umständen entsprechend "normale" Reaktion gehalten. Parallel dazu habe ich mein Sportpensum ziemlich erhöht, weil Sport für mich die Droge mit den geringsten negativen Nebenwirkungen ist - also jedenfalls besser als sich Drogen, unter dem Decknamen von "Medikamenten", in unvernünftigen Dosierungen einzuwerfen... :(
Zu viel Sport, ein bisschen zu wenig essen, logische Folge: Gewichtsabnahme. Und die beginnt mir nun doch zu gefallen, so dass ich mittlerweile auch dann bei den etwas kleineren Portionen bleibe, wenn der Appetit eigentlich da wäre.
Einerseits sage ich mir: Das ist harmlos, schließlich hungerst du weder noch hast du Fressattacken. Andererseits, die Absichtlichkeit daran ist irgendwie... die sollte nicht sein. Die Freude darüber, dass plötzlich die kleineren Hosen im Schrank wieder passen. Aber es ist eine der wenigen Freuden, die ich im Moment habe.

Eines ist mir schon klar: Ich muss mich an die "echten" Probleme herantrauen, in erster Linie den vertrackten Beziehungsstatus klären. Das Herumgetue mit dem Essen ist ja bloß ein Ablenkungsmanöver, weil es irgendwie bequemer und kontrollierbarer ist, ein Ess- anstatt eines Beziehungsproblems zu haben. Ja, die Kontrolle ist ein wichtiger Punkt. Es ist so verdammt unkontrollierbar, was andere Menschen mit einem machen, dass ich irgendeinen Bereich in meinem Leben brauche, in dem ich Kontrolle ausübe. Das erscheint mir schlicht und ergreifend notwendig.

So... keine konkrete Frage, keine konkreten Erwartungen. Der Text ist auch länger geworden, als ich eigentlich vorhatte.
Ich fühle mich gerade ein bisschen einsam mit dem Ganzen.

Re: Nicht das eigentliche Problem, aber...

#2
Das Herumgetue mit dem Essen ist ja bloß ein Ablenkungsmanöver, weil es irgendwie bequemer und kontrollierbarer ist, ein Ess- anstatt eines Beziehungsproblems zu haben. Ja, die Kontrolle ist ein wichtiger Punkt. Es ist so verdammt unkontrollierbar, was andere Menschen mit einem machen, dass ich irgendeinen Bereich in meinem Leben brauche, in dem ich Kontrolle ausübe. Das erscheint mir schlicht und ergreifend notwendig.
ja, das trifft es auf den punkt.. die bulimie ist schrecklich und wird auch so empfunden, aber sie hält gewissermaßen, was sie verspricht. abstumpfung, abschottung, ein gewisses maß an erzwungener ablenkung. die gedanken an FA's kamen bzw. kommen bei mir auch immer, wenn ich mich ungerecht / nicht mit genügend zuneigung behandelt fühle oder in einer vertrackten situation stecke. von dem gedanken "jetzt ist es eh schon egal, jetzt kannst du dich genauso gut noch tiefer in den dreck stampfen" abzulassen, ist dann so schwierig.
"Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte. Achte auf deine Worte, denn sie werden Taten. Achte auf deine Taten, denn sie werden Gewohnheiten. Deine Gewohnheiten werden dein Charakter, dein Charakter wird dein Schicksal."

Re: Nicht das eigentliche Problem, aber...

#3
abstumpfung, abschottung, ein gewisses maß an erzwungener ablenkung.
Genau das ist es.
Schrecklich empfinde ich das Ganze im Moment zwar nicht, weil wie gesagt, ich habe mein Essverhalten gut - vielleicht zu gut - im Griff, und daraus resultiert kein unmittelbarer Leidensdruck. Und der Sport erzeugt Glückshormone und eine angenehme Müdigkeit bzw. Gelassenheit danach - oft falle ich nach dem Duschen nur noch ins Bett und erspare mir dadurch abendliche Grübelstunden.
Aber: Ich merke, dass ich körperlich ein bisschen am Limit bin, eine alte Muskelverletzung in der Wade meldet sich wieder, was mich ziemlich nervt, und manchmal habe ich einfach nur noch schwere Beine - etwas mehr Regeneration würde wahrscheinlich nicht schaden, aber das geht ja nicht so einfach, wenn man den Sport als Stimmungsregulator beinahe täglich braucht.

Das Gefühl, mich "nur noch tiefer in den Dreck stampfen zu lassen", hatte ich eher in Fress-Phasen, jetzt ist es dagegen eher "ich habe da etwas für mich - den Sport und die Kontrolle über den Körper - was Spaß macht und mir niemand nehmen kann". Letztlich ist es ein Versuch, mit gefühlter Einsamkeit zurechtzukommen, indem ich mir die Illusion schaffe, so wenig wie möglich von außen zu brauchen.

Re: Nicht das eigentliche Problem, aber...

#4
Hm, wie ich eigentlich von Anfang an befürchtet hatte, habe ich essentechnisch wieder ein bisschen zu pendeln begonnen, zwischen mal zu viel und dann vermutlich wieder zu wenig und finde es ziemlich zermürbend. :( Auch wenn das Ausmaß objektiv sicher noch nicht so schlimm ist.

Beziehungsende ist immer noch unausgesprochen, bin wie gelähmt und kriege meinen Mund nicht auf, ich hasse meine Konfliktscheuheit, echt :twisted:
Und ich ziehe mich zurück, weil ich nicht darüber reden und meine Stimmung niemand zumuten will. Aber irgendetwas vorspielen, was nicht ist, kann und will ich auch nicht mehr.
Nach außen hin wirke ich damit vermutlich unzugänglich. Eine Kollegin, mit der ich befreundet bin, hat mich gestern nach 2h harmloser Kaffeeplauderei gefragt, ob irgendetwas los sei, ich wirke so bedrückt. - Ja, ist, aber ich will nicht darüber reden. Und damit war das Thema mit 3 Sätzen auch wieder erledigt. :?
Meine beste Freundin ist zurzeit auf Fortbildung im Ausland (und zu weit weg für einen schnellen Besuch) und ich merke gerade, dass ich sonst keine richtige Vertrauensperson habe. Nicht, weil sonst kein soziales Umfeld vorhanden wäre - aber weil es mir einfach unendlich schwer fällt, meine Misstrauensbarriere zu überwinden.