Ich verlier mich...

#1
Ich lese hier so gerne, denn es gibt mir viel Kraft und Hoffnung. So oft habe ich hier noch nicht selber schreiben können; irgendwas hindert mich daran…auch im „normalen“ Leben fällt es mir schwer über all das zu reden oder mir eventuell sogar Hilfe zu holen. Ich möchte aber heute gerne etwas los werden; zu wissen, dass irgend jemand da draussen die Zeilen liest, könnte mich entlasten.

Wie alles anfing….
Mit 14 wurde ich bulimisch und ich leide somit seit fast 14 Jahren unter der Essstörung. Jetzt wo ich es „schwarz auf weiß“ habe, dass ich mir echt schon fast mein halbes Leben das Alles antue, macht mich unglaublich traurig und lässt mich verzweifeln! Wie alles anfing …weiss ich nicht; ich weiß nur dass ich ein rebellisches Kind war, absolut pubertär, despressiv und immer irgendwie unzufrieden. Ich hatte immer viele Freunde und die Jungs fanden mich auch ganz nett; ich war (jetzt im Nachhinein betrachtet) ein hübsches Mädchen.

Ich machte zu der Zeit meinen Eltern und Geschwistern das Leben zur Hölle. Wie gesagt Pubertät wie es im Buche steht. Ich war unaustehlich! Und auch nicht im „normalen“ Sinne, sondern ich war einfach nur unfair. Ich kann leider nicht viel dazu sagen, weil ich einiges ausgeblendet habe, aber ich weiss, dass meine Eltern nicht mehr konnten; ich fing an wahllos Lebensmittel in mich reinzustopfen, die ich nach einigen Monaten auch erbrach.

In den ersten 6 Jahren meiner ES hatte ich eine Depression, die mir das Leben zur Hölle machte; meine ES wechselte sich ab….mal hatte ich FA s mit anschließendem Erbrechen, mal hatte ich am Wochenende Fas und hungerte die Woche zum Ausgleich. Dann gab es ein halbes Jahr in dem ich mir ausgewählte Lebensmittel (das waren nicht mehr als 5) erlaubte und es gab eine Zeit in der ich mir sagte, dass warme Lebensmittel schädlich sind. In der Zeit ging ich viel feiern, betrank mich gerne, einfach um alles zu vergessen. Das gepaart mit einer unausgewogenen Ernährung war schlimm; ich benahm mich daneben und ich wurde willenlos. Das wiederrum erschütterte mich so stark, dass ich mich oft für Wochen zurückzog und mich praktisch versteckte, dann aß ich nur noch und vegetierte dahin. Das war für meine Eltern absolut grausam. Ich brach meine Schule ab und machte das einzig Sinnvolle: eine stationäre Therapie. Insgesamt war ich dreimal in einer Klinik und machte unzählige ambulante Therapien (meist brach ich diese ab, weil ich mich nie verstanden fühlte)

Der weitere Verlauf….
Ich hatte zwar noch einige schlimme Phasen, doch ich war weniger depressiv. Ich fing an zu kämpfen und stellte mich der Krankheit. Nach dem ich einige Anlaufschwierigkeiten hatte, fing ich vor drei Jahren mit meinem Studium an – das Beste was ich machen konnte. Ich dachte immer, dass ich das eh nicht schaffen kann, doch ich bin so gut wie fertig und werde wohl einen recht guten Abschluss haben. Ich habe ein tolles Verhältnis zu meinen Eltern – durch sie habe ich gelernt, dass man auch verzeihen muss. Ich bin sehr dankbar dafür! Doch scheinbar kann ich mir nicht verzeihen….

Mein Leben jetzt….
Ich weiss was Glück bedeutet; ich bin ein sehr impulsiver und lebensfroher Mensch…ich habe tolle Freunde und eine super Familie …irgendwie bin ich stolz auf mich, denn ich habe einige Hürden genommen. Ich kämpfe gegen die Bulimie und auch oft mit Erfolg. In den letzten drei Jahren, hatte ich echt gute Zeiten, doch auch sehr schlechte. Der letzte Monat war wieder der Horror – ich behalte nichts bei mir, ich esse und esse und k****…ich hasse mich dafür – all mein Geld schmeiße ich zum Fenster raus und meine Gesundheit gleich mit. Nach einem schlimmen Wochenende seh ich heute wieder schlimm aus, leicht grau im Gesicht, Steine im Magen, Hamsterbacken und ich bin völlig betäubt. Ich spüre nichts - ich kann durchaus sagen…ich bin mit der Bulimie nicht ich selber, absolut nicht mehr….sie vernichtet mich…und ich bekomme Angst! Ich liebe das Leben; zwar erst seit wenigen Jahren, aber ich liebe es, aber irgendwas in mir will mich vernichten…und kämpfen wird anstrengender…wie toll die guten Phasen auch sind, die schlechten werden schlimmer als je zuvor. Ich kann einfach nicht mehr….ich vermisse mich, mein Leben…ich bin so unsagbar traurig, denn was ist, wenn der Sieger doch Bulimie heisst?

Re: Ich verlier mich...

#2
Wow Ein ganz liebes Hallo..ich frag mich grad ob ich das geschrieben habe ..bis auf ein paar Daten ist es bei mir ähnlich...ich komme auch aus einem super Elternhaus und hatte immer Unterstützung obwohl ic böse und gemein war..Einige schlimme Ereignisse haben mich damals in die Sucht getrieben und auch ich habe damals unzählige erfolglose Theras hinter mir ..Heute weiß ich warum sie Erfolglos waren..weil ich damals noch nicht bereit war wirklich gesund zu werden..

Leider habe ich viel zu spät angefangen zu kämpfen und bin durch die Folgeerkrankungen unheilbar krank geworden und stehe nun mit 29 vor der Rente weil ich nicht mehr Arbeiten gehen kann.

Ja es ist traurig wie viele Jahre man sich dadurch verbaut hat aber ich habe eines Erkannt..Wenn man immer wieder zurück schaut dann kann es nach vorn nicht besser werden..Es ist verdammt schwer und ein langer Weg den Weg nach draußen zu finden aber es gibt ihn..Du musst wieder Perspektiven finden für die es sich für dich lohnt zu kämpfen..und wenn dich der Heisshunger überkommt musst du versuchen mit verschiedenen strategien dem auszuweichen..den Ort verlassen spazieren gehen und vieles mehr hauptsache du versuchst den gedanken abzubringen klar gelingt das nicht immer aber an jedem Tag wo es klappt sammelt man Stärke und wieder Hoffnung..

Es gibt ein gutes Sprichwort..wenn man mit einer Hand an der Vergangenheit festhällt hat man nur eine Hand für die Zukunft frei..

Schreie dir auf einen Zettel welche Träume und Wünsche und Ziele du hast..Setz dich mal mit deinen Eltern hin und rede mit ihnen wie sehr es dir weh tut wenn du böse zu ihnen bist aber das es die andere Person ist die dich dazu zwingt..es wird dir gut tun alles mal rauszulassen..du darfst weinen ,schreien...lass alles raus was dein Herz bedrückt..

Und fang an zu kämpfen..Du willst leben das merkt man wie sehr es dich belastet und du möchtest kämpfen...doch in diesen Momenten wo es ganz stark im Kopf ist da muss dann all deine Kraft hin..nicht denken ach es ist doch eh egal..nein das ist es nicht ..du hast nur dieses eine Leben ..und dafür lohnt es sich zu kämpfen...

Lass die Bulimie nicht der Sieger sein!! Es liegt an dir..!!!

Re: Ich verlier mich...

#3
hallo krisi...
ich fühle mich ähnlich angesprochen wie jeany.Die rebellischen Pubertätsphasen,als auch das aufgeweckte lebensfrohe Wesen.Impulsivität.Und in diesem ganzen extremen Wirbel dann noch die Hölle der K+++++ei.Du schreibst,daß die Phasen immer schlimmer daherkommen,was ich gerade selbst durchlebe.Die Spannung und Blässe im Gesicht sind dabei fast noch das kleinere Übel.Ich fühle mich gefangen.Doch denke ich gerade im Hinblick auf die Zukunft:"Es geht wieder aufwärts."Du hast geschrieben das das Studium eine sehr gute Entscheidung war.So in etwas denke ich jedes Mal,wenn ich etwas tue was mich beschäftigt und unter Leute bringt.Das denke ich ist mit das A und O.Immerwieder heraus gehen.Etwas für sich und auch andere tun.Trotz des Teufelskreis an die Sonne.Manchmal ist mir,als traute ich mich niemehr unter Menschen.Das erste Lachen jedoch treibt mich wieder an.Mir hilft es oft,wenn ich mich nicht so in das Chaos hereinsteiger.Heißt das ich ,wenn schon k++++technisch aktiv,wenigstens das Köpfchen mit Gutem versuche vollzubekommen.Pläne,Träume etc.Es ist ja irgendwie immer und immer wieder nach vorne schauen.Ich wollte dir einfach ein paar Zeilen zukommen lassen,welche 1.sagen:"Ich erkenne mich wieder" und 2."eventuell etwas beruhigen oder guttun".Das finde ich jedenfalls immer ganz gut.Verstehende und motivierende Worte von aussen.Schöne Grüße

Re: Ich verlier mich...

#4
liebe jeany, liebe agniezka

vielen lieben Dank für eure wundervollen & warmen Worte. Ich war einfach sehr gerührt!! Wenn ich manchmal nicht sofort zurück schreibe, dann liegt es daran, dass ich über einiges erst nachdenken muss und momentan viel Zeit dafür brauche.

In meinen vielen ambulanten Therapien wurde meist die Ursache der ES in der Familie gesucht; das war für mich ganz schlimm, denn wenn ich etwas wusste, dann das die Familie mich vor Schlimmeren bewahrt hat. Klar es gibt Dinge die man verdrängt, weil man sie nicht wahr haben will und ja meine Eltern haben auch ihre Fehler gemacht; trotzdem...ich weiss, dass dort die Ursache nicht liegt und eigentlich kenne ich sie bis heute nicht. Vielleicht ist auch das der Grund warum ich einer weiteren Therapie aus dem Weg gehe. Denn wie Jeany auch schon so schön formulierte : Ich will nicht mehr in der Vergangenheit leben, ich will mein Leben leben. Das "komische" ist, dass ich immer alleine gekämpft habe ohne eigentlich alleine zu sein. Also, meine Eltern und meine Freunde (!!) habe in den Zeiten, in den ich von Therapie zu Therpie ging an meiner Seite gestanden; haben mich aus einigen Notlagen gerettet. Ich bin Ihnen sehr sehr dankbar. Zu der Zeit hatte ich keinen Lebenswillen und das Schlimmste was ich Ihnen damals antuen konnte, war Ihnen dies auch klar zu vermitteln. Wie schlimm ist es, wenn ein Mensch, den man so lieb hat, offenkundig zeigt, dass er nicht mehr mag????

Jetzt nachdem ich mein Leben wirklich lebe und nicht mehr offensichtlich von depressiven Phasen gezeichnet bin, bin ich oft alleine. Wenn mich jemand fragt, wie es mir geht und es mir wirklich schlecht geht, dann sage ich oft auch "Ne, mir gehts echt schlecht"; aber das war s, das ist zwar ein guter Anfang, aber für meine wahren Empfindungen bleibt der Mund verschlossen. Oft habe ich das Gefühl nicht mehr sprechen zu können. Ich rufe irgendwo an und sage mir vorher, "alles was dich belastet lässt du raus"..aber es kommt nichts...es geht nicht! Zum einen denke ich, dass es damit zusammenhängt, dass ich mich dafür schäme und ich niemanden mehr zumuten möchte, alles nochmal durchzustehen. Aber mir ist auch aufgefallen, dass ich mich oft bei Therapeuten so verhalte. Deshalb hat mir eine Therapie auch nur minimal geholfen, weil ich mich nicht öffnen kann oder weil ich bagatellisiere. Ganz klassisch ist für mich, dass ich etwas sage, wie : "Ach gestern da hatte ich 4 Rückfälle; habe die 'Nacht nicht geschlafen, weil ich einen Horrortraum nach dem nächsten hatte und mein Herz so gerast hat. Aber heute gehts mir wieder voll klasse und ach...die Sonne scheint, gleich geh ich laufen, dann muss ich lernen, dann mit Freunden treffen, dann auf die Party von dem und dem ...ach das Leben ist schön."....VERRÜCKT...
Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich vieles nicht mehr verheimlichen, denn ich habe starke Hamsterbacken und sehe auch sonst etwas ungesund aus. Obwohl es heute auch schon wieder besser ist. Ich habe die letzten Tage sehr stark gekämpft und hatte seit 3 Tagen keinen FA...zum Glück. Darauf bin ich zwar stolz, aber die letzten Tage waren wir ein kalter Entzug und es waren einsame Tage...!

@JEANY
Wie bereits erwähnt, lese ich viel in diesem Forum und ich weiss daher, was du alles durchmachen musstest. Es macht mich wahnsinnig traurig zu sehen, wie viel ein Mensch durchmachen muss. Aber es macht mich auch wahnsinnig glücklich zu sehen, wie sehr du jetzt für und nicht gegen dein Leben kämpfst. Ich bewundere dich dafür sehr. Ich bin auch eine Kämpferin....doch zur Zeit würde ich gerne mal kurz ne Pause machen und raus aus dem Boxring!
Ich lese gerne von dir, denn deine Worte sind voller Wärme und sie geben den Menschen hier sehr viel. Du bist eine tolle Person (und das kann ich sagen, ohne dich zu kennen).

@AGNIEZKA
Deine Worte haben mich sehr berührt. Einfach weil sie tatsächlich von mir kommen könnten. Seit einigen Jahren habe ich einen absoluten Lebenswillen entwickelt, der nicht mehr zu bändigen ist :-)...ich will das Leben in vollen Zügen erleben. Doch dann kommt die Bulimie wieder und zwar kraftvoller als je zuvor. Manchmal glaube ich, dass sie merkt (komisch von der Bulimie als "Person" zu schreiben...), dass ich mich von ihr verabschieden will und dann zeigt sie nochmal wie sehr ich sie brauche. Verstehst du was ich meine?
Du hast Recht, auch ich fühle mich gefangen. Ich gucke aus dem Fenster, die Sonne scheint und ich will raus, ich will da draussen mit mischen und so oft entscheide ich mich noch dagegen - geh zum Supermarkt und gebe Unsummen an Geld aus, nur um mich zu betäuben....und ja, dann sehe ich die Sonne nicht mehr und die Vögel sind stumm. Aber diese Betäubung, die will ich nicht mehr. Denn das hat nichts mit Leben zu tun. Mehr und mehr wird mir bewusst wie stark diese Sucht ist...!
Aber ja...ich kenne gute Tage und die lassen mich (zum Glück) immer wieder aufwachen...und das ist das was mich in vielen schweren Momenten am Leben hält...das ich weiss, dass ich gerne gebe und dafür viel bekomme, dass Menschen mich lieben und ich lieben kann, dass Menschen mir zeigen, dass sie an mich glauben, dass ich gerne lache, dass ich gerne Menschen anlächel, dass ich mich unsagbar lange darüber freuen kann, wenn die Sonne scheint...

euch beiden weiterhin viel Kraft und Danke fürs Zuhören (das tat mir unbeschreiblich gut)
lieben gruß, krisi
Zuletzt geändert von krisi am Do Feb 24, 2011 10:37, insgesamt 3-mal geändert.

Re: Ich verlier mich...

#5
Oh ha das hat mir gut getan so was zu hören..weils mir heut auch nicht gerade super gut geht..und ich mir wieder ne andre Klinik raussuchen muss weil sich keiner an den Darm mehr rantraut aber die Hoffnung stirbt zuletzt..

Oh ne Pause vom kämpfen hätt ich auch gern und würde mir bestimmt auch gut tun, aber die kann ich mir nicht leisten also weiter gehts