unter meinem schreibtisch krampfen müde die eiskalten füße, suchen sich festen halt am boden. es sind meine füße, aufgeschwollen, die trockene haut ist völlig rissig geworden im laufe der vergangenen nacht.
wir alle hier wissen - mehr oder weniger - was bulimie ist. oder sein kann. welche symptome, auswirkungen, welche tatsachen sie mit sich bringt, dieses "bulimie".
DOCH was BEDEUTET es, so krank zu sein?
was heißt es, diese suchterkrankung zu haben?
welche bedeuteung hat bulimie für mich, was verspricht mir bulimie, warum bediene ich mich ihrer unablässig, was erwarte ich mir davon?
Während ich mich zermürbt in mein badezimmer schleife, halte ich ein taschentuch auf meine nase. die finger, so angeschwollen, dass jede bewegung schmerzt, nehmen das tüchlein und meine vereiterten augen erkennen: "blut!"
blut, verdammt, da sind mir wohl gefäße gesprungen, wie im gesicht, wo sich rötliche adern abzeichnen. als nächstes "erwischt" es dann die gefäße im gehirn, das ist mir völlig klar.
ich beobachte mich selber, wie ich vor dem spiegel stehe und einen zertrümmerten körper versorge, bestrebt, zumindest den anschein von unversehrtheit wiederherzustellen.
parallel blickt ein teil von mir auf die blutigen finger. "COOL", entdeckt er, "COOL, endlich blut! endlich ist es raus!" und lächelt befriedigt mit diebischer freude.
mit protestierender freude, wie ein kleines kind. wie das kleine mädchen, dass sich aufbäumt gegen die eigenartige, kalte, verwirrende welt um sie herum.
dieses kleine mädchen, verunsichert, verängstigt, das alles spüren muss - die emotionale erkrankung der mutter, den alkoholwahn des vaters, die verzweiflung des bruders. es hört die worte der anderen menschen, weiß sie wohl in charakter und farbe zu deuten, doch weiß der kopf sie noch nicht zu verstehen.
sie wollen hinaus, die eindrücke.
am besten blutrot.
"da seht ihr", sagt sie, "da seht ihr was ihr tut. ich behalte es nicht länger für mich. ich darf in worten nicht erzählen, was ich spüre, fühle, höre, wovon ich stumme zeugin werde. ABER ich kann BLUTROT erzählen!"
dieses mädchen ist in mir, sie ist ein teil von mir. ich nehme sie an, ich setze sie auf meinen schoß.
ich streichle ihren kopf, lausche, ermutige sie, weiter zu erzählen. diese liebevolle annahme, die ihr verwehrt sein sollte. bis jetzt.
ich versöhne mich mit dem kleinen, gekränkten, verunsicherten, angewiderten mädchen in mir, nehme sie in die arme, wir weinen beide.
und sind ein verdammt starkes team zusammen.
wir wollen nicht mehr bluten, nicht aus der nase, nicht aus dem hals, nicht am handrücken, nicht aus dem magen oder dem darm. niemand darf uns soetwas antun.
heute haben wir - verzeihung, habe ich - worte für all das, was unausgesprochen bleiben musste, heruntergeschluckt, verdrängt, kaschiert.
nicht länger muss ich das am schlachtfeld körper austragen.
heruntergeschlucktes ist herausgekotzt, verdrängtes zeichnete sich über rote äderchen an der oberfläche ab, wasserödeme, die kaschieren sollten, darf ich lassen.
die bulimie hat ihren zweck erfüllt.
jetzt ist die zeit zu handeln gekommen, nicht am körper, sondern am "schlachtfeld" des alltags, der mitmenschen, der welt "da draußen", vor der ich mich so lange und erfolgreich schützen musste.
ich DARF hier sein, ich habe auch ein recht, am leben teilzunehmen. ich darf mich lieben!
Ich darf GANZSEIN.
ICHSEIN.
Ich, Mañana
was es bedeutet, an bulimie erkrankt zu sein
#1
Zuletzt geändert von Mañana am Mo Dez 21, 2009 10:29, insgesamt 1-mal geändert.
THEN IS NOW.