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von aire
Lernen und Gedächtnis
„Gedächtnis“ ist die Fähigkeit, Informationen zu speichern und abzurufen.
Gedächtnisprozesse
Es gibt drei mentale Prozesse, die vonnöten sind, um Wissen zu einem späteren Zeitpunkt nutzen zu können.
Enkodierung führt zu einer mentalen Repräsentation im Gedächtnis. Diese Repräsentation bewahrt die wichtigsten Eigenschaften vergangener Erfahrungen.
Speicherung ist das Aufrechterhalten von enkodierter Information.
Abruf ist die Wiedergewinnung von Information zu einem späteren Zeitpunkt.
Die Interaktion dieser drei Prozesse ist sehr komplex. Um den Satz „Sie ist so mutig wie Jeanne D’Arc“ zu verstehen, muss man die Bedeutung der einzelnen Wörter abrufen, ebenso Informationen über Deutsche Grammatik und Kulturwissen, wie mutig Jeanne D’Arc.
Kurzzeitgedächtnis
Das Kurzzeitgedächtnis (KZG) ist kein Ort im Gedächtnis, sondern ein Mechanismus, der die kognitiven Ressourcen auf eine kleine Menge hin bündelt. (Besp: Eine Telefonnummer, die man vergessen hat, sobald sie gewählt ist). Das KZG hat eine Gedächtnisspanne von schätzungsweise zwei bis vier Items. Diese Kapazitätsbeschränkung kann durch Rehearsal und Chunking verbessert werden. Reahearsal heißt aufrechterhaltendes Wiederholen und Chunking bedeutet, dass mehrere Items zusammengefasst werden zu einer Gruppe und mit einer Bedeutung assoziiert werden. Dieser Chunk nimmt dann nur die Kapazität für ein Item in Anspruch. Das KZG hat eine sehr schnelle Abrufleistung. (Es gleicht einer Bibliothek, aus der man nur drei Bücher gleichzeitig ausleihen kann. Aber den Büchern kann man die Informationen mit Lichtgeschwindigkeit entnehmen. Sternberg berechnete, dass Testpersonen 400 Millisekunden zum enkodieren und reagieren brauchten und 35 Millisekunden zum Vergleich eines Testreizes mit eben Gesehenen Items.)
Langzeitgedächtnis
Der Begriff „Langzeitgedächtnis“ (LZG) bezeichnet Gedächtnisinhalte, die oft lebenslang bestehen..
Der Erwerb neuer Langzeitinformationen fällt oft leichter, wenn eine Schlussfolgerung voran gestellt wird. Diese Schlussfolgerung bietet einen Rahmen, innerhalb dessen die eintreffenden Informationen verstanden werden können. Das Erinnerungsvermögen wird am besten sein wenn die Umstände, unter denen Informationen kodiert wurden gut zu denen passen, unter denen sie abgerufen werden.
Enkodierspezifität: Das Prinzip, dass der spätere Abruf von Informationen verbessert wird, wenn die Hinweisreize beim Abruf mit jenen der Enkodierung übereinstimmen. Als Hinweisreize dienen können ungewöhnliche Gerüche, die beim Enkodieren und Speichern anwesend sind. Oder Hintergrundmusik in einer bestimmten Geschwindigkeit. Beim Lernen für eine Klausur bilden andere Informationen oft den Kontext. Es ist empfehlenswert, die Reihenfolge der eigenen Notizen beim Lernen zu variieren. Sonst kann es passieren, dass man sich an die zutreffende Antwort nicht erinnert, wenn der Prüfer auf eine andere Art nach einem Sachverhalt fragt. Versuchen sie, die Informationen auf neue Art zusammen zu bringen.
Verbunden mit dem Kontextwechsel ist der serielle Positionseffekt: Ein Charakteristikum der Suche im Gedächtnis. Beim Abruf werden Beginn und Ende einer Liste besser erinnert als Items in der Mitte. Primacy Effekt bezeichnet die verbesserte Erinnerungsleistung für Items zu Beginn einer Liste. Recency Effekt bezeichnet die verbesserte Erinnerungsleistung für Items am Ende einer Liste. (S. Schaubild S. 312) Das gilt auch für Informationen am Anfang und am ende eines Seminars, den ersten Tag, an dem man eine Person kennen gelernt hat und den letzten, an dem man sie sah. Die Frage „Welcher Tag ist heute?“ können Menschen am Anfang und am Ende einer Woche eine Sekunde schneller beantworten. Die Erklärung für dieses Phänomen liegt in der kontextuellen Unterscheidbarkeit. (Bild der Bahngleise S. 312) Dies führt zu der Annahme, dass mittlere Informationen besser erinnert würden, wenn sie unterscheidbarer gemacht würden. Zum Beispiel, indem zwischen dem Lesen der mittleren Items größere Pausen gelassen werden.
Der Einfluss unterschiedlicher Testmethoden (zum expliziten Gedächtnis) auf die Leistung
Abruf (Recall). Eine Abruffrage ist offen formuliert, z.B. „Was ist der serielle Positionseffekt?“
Wiedererkennen (Recognition) ist die Aufforderung, Testreize zu beurteilen, d.h.. Multiple Choice Fragen. Wiedererkennen ist i.d.R. einfacher.
Als Hinweisreize beim Abruf dienen Stimuli, die bei der Suche nach einem bestimmten Gedächtnisinhalt verfügbar sind. Diese können von außen kommen, z.B. durch die Fragestellung oder von innen generiert werden, indem man sich selbst befragt. Die Zielsetzung, mit der man nach einem Gedächtnisinhalt sucht, hilft oft. Je präziser der Hinweisreiz ist, desto hilfreicher („Wie heißt der Herrscher nach Cluasdius?“ im Vergleich zu „Wie heißt der Herrscher, dessen Name mir gerade nicht einfällt?“ Es hilft, wenn man in einer Prüfungssituation auf der Suche nach einer Antwort sich überlegt, in welchem Zusammenhang man die Information gelernt hat.
Interferenz: Ein Gedächtnisphänomen, das auftritt, wenn Hinweisreize auf mehr als einen Gedächtnisinhalt verweisen.
Proaktive Interferenz („wirkt nach vorne“) bezeichnet Umstände, in denen früher Gelerntes den Erwerb neuer Informationen erschwert.
Von Retroaktiver Interferenz („wirkt zurück“) ist die Rede, wenn der Erwerb neuer Informationen das Behalten ältere erschwert. (Bsp.: Umzug Telefonnummer)
Fazit: Wenn Kontext bei Enkodieren und Abruf nicht übereinstimmt, dann können Hinweisreize es sogar erschweren, den Gedächtnisinhalt zu finden.
Die Theorie der Verarbeitungstiefe besagt: Wenn Verarbeitung mehr Analyse, Interpretation, Vergleich und Elaboration umfasst, dann sollte sie in einer besseren Gedächtnisleistung resultieren. (z.B. kann man dazu verschiedene Fragen zu „TRAUBE“ beantworten.
Verbesserung der Gedächtnisleistung bei unstrukturierten Informationen
Elaborierendes Wiederholen: Um das Enkodieren zu verbessern, wiederholt man das Wort und reichert das Informationsmaterial an, indem man dazu sich ein Bild merkt oder eine kleine Geschichte erfindet.
Mnemotechnik. Der Begriff ist abgeleitet von dem griechischen Wort für „erinnern“. Dabei werden Folgen von unbekannten Fakten mit schon bekannten Informationen verbunden. Diese Lerntechnik hilft, ansonsten zufälliges Material zu strukturieren.
Methode der Orte: Hierbei wird eine Folge von Objekten oder Abschnitte einer Rede mit einer Folge von vertrauten Orten assoziiert, z.B. dem Weg zur Arbeit. Zum Abruf geht man entlang dem Weg und erinnert sich an den Orten an die entsprechenden Items.
Wäscheleinemethode: Bei dieser Methode werden Items einer Liste mit Hinweisreizen verbunden. Typischerweise sind das Reime mit Zahlen. Anschließend wird zwischen jedem Reim und einem Item ein Satz erfunden.
Als Metagedächtnis bezeichnet man Wissen über Gedächtnisfähigkeiten und effektive Gedächtnisstrategien; Kognitionen über das Gedächtnis. Teil davon ist das Gefühl, etwas zu wissen. Forschungen haben ergeben, dass man diesem Gefühl meistens vertrauen kann. In einer Prüfungssituation sollte man erst den gesamten Test überlegen und die Fragen zuerst beantworten, die einem am meisten das Gefühl geben, die Antwort zu wissen.
Weitere praktische Tipps:
Lernstoff, der kurz vor einer Prüfung gepaukt wurde, wird schnell wieder vergessen. Damit Wissen bestehen bleibt, ist es notwendig, sich damit auseinander zu setzen und es an bisherige Lernprozesse anzuschließen.
Ebbinghaus fand heraus, dass umso mehr Lernaufwand gespart wird, je öfter die Fakten früher schon mal gelernt wurden. Das heißt, man hat es leichter mit dem Lernen, wenn man jede Woche die Inhalte wiederholt, anstatt erst ein paar Wochen vor der Prüfung die Aufzeichnungen auszugraben. Das setzt voraus, dass man mitgeschrieben hat. Es ist nicht empfehlenswert, Skripte von anderen zu verwenden, da es nicht die eigene Lernform ist. (S. 294 Schaubild)
Quelle: Zimbardo/Gerrig: „Psychologie“. Person Verlag. 16. Auflage
Pausen alle 90(?) Minuten. Klavier spielen, Tanzen