#7
von aymone
Es klingt so, als ob Du davon enttäuscht wärst? Ich bin mir gerade nicht so sicher.
Bestimmt hast Du Dir mehr erwartet, aber er war krank. Und er ist ja nicht nur Alkoholiker gewesen, weil er körperlich abhängig war. Sucht setzt immer emotionale Probleme voraus. Und vielleicht war das, was er da zu Dir gesagt hat, das Maximum, das er ausdrücken konnte? Immerhin hat er an Dich und an Deinen Sohn gedacht und wollte Dir etwas für Euch beide mitgeben.
Er scheint sich bemüht zu haben. Und auch wenn das weitaus weniger ist, als andere Väter und ihre Töchter an Beziehung haben, so war das doch wenigstens etwas...
Ich weiß, dass das nur schwacher Trost ist, aber es geht darum, dass Du für Dich irgendwann Deinen Frieden damit machen kannst, ohne Dich allein gelassen oder verraten zu fühlen. Und dazu gehört, dass Dein Vater eben krank war, dass es deshalb viele Probleme gab - die Dir auch offensichtlich sehr geschadet haben! - dass er aber trotzdem der einzige Vater war, den Du haben wirst. Und als solcher hat er zumindest an seinem Lebensende versucht, es besser zu machen.
Du musst jetzt nicht trauern, wenn vielleicht sogar auf der Problemseite viele Lasten von Dir abgefallen sind? Vielleicht ist es jetzt eher an der Zeit, dass Du Dich von allem erholst und beruhigst? Vielleicht wirst Du erst später trauern können, trauern im Sinne von vermissen, bedauern, jemanden noch brauchen. Tod ist nicht immer gleich der schlagartige Verlust, der einen weinend in die Knie zwingt. Das passiert wohl eher bei den Menschen, die einem immer nahe standen, um die sich der ganze Alltag dreht, mit denen man gute Beziehungen hatte und die einem plötzlich entrissen werden.
Wenn Du Deinen Vater selten gesehen hast, hat sein Tod erst einmal kaum Auswirkungen auf den Ablauf Deines Alltags, alles bleibt in diesem Sinne normal. Wenn die Beziehung oft schwierig war, dann sind auch erst mal viele Probleme weg. Die menschliche Nähe, um die Du trauern könntest, wartet schlichtweg nicht an jeder Ecke auf Dich und das ist in Ordnung. Das heißt nicht, dass Du gefühlskalt oder taktlos bist. Es spiegelt nur die Beziehung wieder, wie sie war. Du wirst dann um das trauern, was Dein Vater für Dich war, wenn Du darauf stößt.
Es wird sehr schwer sein, so eine unvollendete Entwicklung jetzt loslassen zu müssen. Sicherlich wäre es leichter, wenn Du irgendwann eine gute Beziehung zu Deinem Vater bekommen hättest oder Dich damit hättest abfinden können, dass es nun mal gar nicht miteinander geht oder die Treffen zu Geburtstagen und Weihnachten völlig reichen.
Jetzt musst Du diesen Abschluss allein finden. Und vielleicht kann diese Beruhigung ja darin liegen, Dir zu sagen, dass er eben seine Probleme hatte und versucht hat, rauszukommen. Damit entwertest Du Deine eigenen Probleme nicht, die Du sicherlich durch seine Krankheit mitbekommen hast, aber Du musst ihn auch nicht auf ewig hassen und kannst irgendwann Deinen Frieden damit schließen.
Ich denke, das ist für Dich richtig, aber auch für Deinen Sohn. Wenn die Mutter in der Familie Probleme hat und sie nicht lösen kann (womit ich nicht meine, dass Du einfach so funktionieren sollst und es allen Recht machen sollst, ich spreche von wirklichen Entwicklungen ud Lösungen, die für alle gut sind!), dann wird das auch das Kind mitbekommen und die Missverhältnisse irgendwie in sein eigenes Leben mitnehmen. Probleme werden in Familien weitergegeben. Dein Vater ist alkoholsüchtig, Du bist ess-brech-süchtig und Dein Sohn wird?, Dein Großvater/Deine Großmutter war? Es ist wichtig, dass Du den Schlusspunkt setzt - schon allein, um selbst gesund zu werden.
Ich sage das, um Dir klar zu machen, wie wichtig es ist, dass Du auch nach seinem Tod eine Einstellung zu Deinem Vater entwickelst, ihn versuchst, zu verstehen, und versuchst, zu verstehen, was das mit Dir gemacht hat. Das ist durch seinen Tod schwerer geworden, aber Du kannst niemals irgendwann morgens aufstehen und einfach alles richtig machen und Dein Leben wird gut. Essstörungen sind lange entwickelte "gestörte" Wahrnehmungen über sich selbst und über die Welt. Und die gilt es, zu ändern. Und das heißt, dass Du Deine Familiensituation für Dich lösen musst. Ich denke, dann wirst Du auch zu dem gelangen, was Du als Trauer empfinden kannst.
Man ist nicht negativ anders als andere, man nimmt sich nur so wahr, weil es einem eingeredet wurde. Daher verhält man sich anders und erfährt dafür Ablehnung, nicht für die eigene Person.