Hallo ihr Lieben,
nach langer Zeit wollte ich mich einmal wieder melden, weil ich hier immer sehr viel Unterstützung erfahren habe.
Ich habe ein ganz bestimmtes Anliegen. Ich habe damals meinen Account wohl gelöscht (zumindest kann ich ihn nicht wiederfinden), weil ich abschließen wollte. Ich hatte einige auch private Kontakte hier, die ich damals beendet habe, weil ich "alleine" sein musste. Ich musste sowohl aus den Wunschträumen von Schlankheit als auch aus der schützenden Gemeinschaft der Erkrankten austreten. In dieser "Welt" war ich vor den eigenen Emotionen und Erlebnissen irgendwie sicher, konnte sie aufarbeiten und fand Verständnis, Hilfe, msich weiterzuentwickeln. Aber das Ziel war es, anzufangen, zu Leben - unabhängig davon, ob ich mir vorher dazu die "Berechtigung in Kilogramm" erhungert hatte. Dafür brauchte ich den Alltagstest im Alleingang.
Vor allem aber habe ich meinen Account wohl auch gelöscht, weil ich nirgendwo mehr als "die Irre da" rumlaufen wollte.
Inzwischen habe ich gemerkt, ein offenerer Umgang mit der Thematik vermutlich gut sein würde. Von vielen Freunden bleibe ich immer etwas abgekapselt, weil ich ja nur eine bestimmte Seite zeigen kann; nicht weil ich ihnen misstraue, weil ich denke, sie könnten absichtlich und bösartig "tratschen". Aber auch sie sind nur Menschen und ihnen könnte etwas rausrutschen...
Vor allem merke ich neben dieser mich oft sehr verletztenden sozialen Abschottung auch, wie dringend mir das Bedürfnis ist, anderen Frauen zu helfen und in unserer Gesellschaft Bewusstsein zu schaffen. Bewusstsein dafür, dass Essstörungen kein reines Produkt des Schlankheitswahns sind (!), sondern Ausdruck tiefsitzender Verletzungen, Traumata, Entwicklungs- oder Persönlichkeitsstörungen. Eine Bulimikerin braucht keinen zugeschweißten Klodeckel und dicke Models. Eine Bulimikerin braucht Hilfe, ihr "Ich" wahrzunehmen und zu entwickeln. Dennoch möchte ich auch ein Bewusstsein gegen den Schlankheitswahn entwickeln - oder genauer gesagt - gegen unseren gesamtgesellschaftlichen Narzissmus, der Menschen reihenweise dazu treibt, ihr Heil darin zu suchen, einen bestimmten Lifestyle zu erreichen. Der favorisierte ist derzeit der schlanke, fitte, der "etwas für sich tun"-Style, der nur auf quälende Trainingsprogramme und überteuertes In-Food hinausläuft. Und weil alles so erreichbar scheint - das ideale Aussehen, das ideale Gewicht, die optimale Gesundheit - und man unheimlich viel Anerkennung dafür bekommt, fallen ihm reihenweise junge Mädchen zum Opfer, die - wie die meisten Bulimikerinnen - unter einer narzisstischen Persönlichkeit oder sozialer Angst leiden. Das schnelle Versprechen der besseren Welt und einer Daseinsberechtigung. Aber es ist Schein und abends bricht man über dem Klo zusammen.
Ich habe mich also dafür entschieden, wieder offener mit meiner Vergangenheit umzugehen. Ich habe mich dafür entschieden, das als Teil meiner Geschichte zu sehen, weil es, nach aller Quälerei, sehr viel Gutes in mir hevorgebracht hat. An erster Stelle sehe ich da die Fähigkeit, das Leid anderer überhaupt zu sehen sowie meine eigene Selbstverpflichtung, nicht wegzusehen: Ich hätte mir selbst viele Jahre lang verständnisvolle Hilfe gewünscht, habe aber - gerade von Therapeuten - eher Schädigung erfahren. Wobei ich meine langjährigste Therapeutin ausnehmen möchte; sie ist bis heute ein Vorbild für mich, was Weiblichkeit und Charakter angeht. Ich will meine Erfahrungen und Fähigkeiten weitergeben und anderen früher eine Perspektive bieten, als ich sie hatte. Ich bin keine Psychologin und werde wohl auch nie eine werden, weil ich betroffen bin; ich bin nicht distanziert.
Ich habe den endgültigen Weg raus allein gefunden. Das ist keine Empfehlung. Jeder braucht irgendwann therapeutische Hilfe, um das analytische Denken zu erlernen, das es braucht, um mit sich selbst fertig zu werden. Aber irgendwann kommt der Alltag. Kommt jeden Tag eine neue soziale Situation, die den Dämonen im eigenen Kopf Futter liefert, um lautstark ihr Recht zu fordern, einen wieder in die Krankheit zu stoßen. Ich musste allein üben, ihnen dann die Luft abzudrehen. Das ist mein Weg, es muss nicht Eurer sein.
Gut, jetzt ist das ein langer Beitrag geworden, aber ich wollte das sagen. Vielleicht bin ich auch hier, weil das ein neuer Schritt raus ist? Weil ich noch etwas lernen muss? Der Austausch gerade über den Umgang mit dem "Danach" wäre mir sehr wichtig.
Ich will aber - wenn ich sage, dass ich helfen will - niemanden missionieren. Die meisten hier dürften mich nicht einmal mehr kennen und ich habe auch nicht das emotionale Potential, alle aufzufangen. Aber ich möchte mich austauschen. Und ich will diesen Aspekt meines Lebens wieder "anschließen".
Mit lieben grüßen,
Filialunae
Umgang mit der Krankheit danach
#1
Zuletzt geändert von aymone am Di Jan 25, 2011 12:26, insgesamt 1-mal geändert.
Man ist nicht negativ anders als andere, man nimmt sich nur so wahr, weil es einem eingeredet wurde. Daher verhält man sich anders und erfährt dafür Ablehnung, nicht für die eigene Person.