Umgang mit der Krankheit danach

#1
Hallo ihr Lieben,

nach langer Zeit wollte ich mich einmal wieder melden, weil ich hier immer sehr viel Unterstützung erfahren habe.
Ich habe ein ganz bestimmtes Anliegen. Ich habe damals meinen Account wohl gelöscht (zumindest kann ich ihn nicht wiederfinden), weil ich abschließen wollte. Ich hatte einige auch private Kontakte hier, die ich damals beendet habe, weil ich "alleine" sein musste. Ich musste sowohl aus den Wunschträumen von Schlankheit als auch aus der schützenden Gemeinschaft der Erkrankten austreten. In dieser "Welt" war ich vor den eigenen Emotionen und Erlebnissen irgendwie sicher, konnte sie aufarbeiten und fand Verständnis, Hilfe, msich weiterzuentwickeln. Aber das Ziel war es, anzufangen, zu Leben - unabhängig davon, ob ich mir vorher dazu die "Berechtigung in Kilogramm" erhungert hatte. Dafür brauchte ich den Alltagstest im Alleingang.

Vor allem aber habe ich meinen Account wohl auch gelöscht, weil ich nirgendwo mehr als "die Irre da" rumlaufen wollte.

Inzwischen habe ich gemerkt, ein offenerer Umgang mit der Thematik vermutlich gut sein würde. Von vielen Freunden bleibe ich immer etwas abgekapselt, weil ich ja nur eine bestimmte Seite zeigen kann; nicht weil ich ihnen misstraue, weil ich denke, sie könnten absichtlich und bösartig "tratschen". Aber auch sie sind nur Menschen und ihnen könnte etwas rausrutschen...
Vor allem merke ich neben dieser mich oft sehr verletztenden sozialen Abschottung auch, wie dringend mir das Bedürfnis ist, anderen Frauen zu helfen und in unserer Gesellschaft Bewusstsein zu schaffen. Bewusstsein dafür, dass Essstörungen kein reines Produkt des Schlankheitswahns sind (!), sondern Ausdruck tiefsitzender Verletzungen, Traumata, Entwicklungs- oder Persönlichkeitsstörungen. Eine Bulimikerin braucht keinen zugeschweißten Klodeckel und dicke Models. Eine Bulimikerin braucht Hilfe, ihr "Ich" wahrzunehmen und zu entwickeln. Dennoch möchte ich auch ein Bewusstsein gegen den Schlankheitswahn entwickeln - oder genauer gesagt - gegen unseren gesamtgesellschaftlichen Narzissmus, der Menschen reihenweise dazu treibt, ihr Heil darin zu suchen, einen bestimmten Lifestyle zu erreichen. Der favorisierte ist derzeit der schlanke, fitte, der "etwas für sich tun"-Style, der nur auf quälende Trainingsprogramme und überteuertes In-Food hinausläuft. Und weil alles so erreichbar scheint - das ideale Aussehen, das ideale Gewicht, die optimale Gesundheit - und man unheimlich viel Anerkennung dafür bekommt, fallen ihm reihenweise junge Mädchen zum Opfer, die - wie die meisten Bulimikerinnen - unter einer narzisstischen Persönlichkeit oder sozialer Angst leiden. Das schnelle Versprechen der besseren Welt und einer Daseinsberechtigung. Aber es ist Schein und abends bricht man über dem Klo zusammen.

Ich habe mich also dafür entschieden, wieder offener mit meiner Vergangenheit umzugehen. Ich habe mich dafür entschieden, das als Teil meiner Geschichte zu sehen, weil es, nach aller Quälerei, sehr viel Gutes in mir hevorgebracht hat. An erster Stelle sehe ich da die Fähigkeit, das Leid anderer überhaupt zu sehen sowie meine eigene Selbstverpflichtung, nicht wegzusehen: Ich hätte mir selbst viele Jahre lang verständnisvolle Hilfe gewünscht, habe aber - gerade von Therapeuten - eher Schädigung erfahren. Wobei ich meine langjährigste Therapeutin ausnehmen möchte; sie ist bis heute ein Vorbild für mich, was Weiblichkeit und Charakter angeht. Ich will meine Erfahrungen und Fähigkeiten weitergeben und anderen früher eine Perspektive bieten, als ich sie hatte. Ich bin keine Psychologin und werde wohl auch nie eine werden, weil ich betroffen bin; ich bin nicht distanziert.

Ich habe den endgültigen Weg raus allein gefunden. Das ist keine Empfehlung. Jeder braucht irgendwann therapeutische Hilfe, um das analytische Denken zu erlernen, das es braucht, um mit sich selbst fertig zu werden. Aber irgendwann kommt der Alltag. Kommt jeden Tag eine neue soziale Situation, die den Dämonen im eigenen Kopf Futter liefert, um lautstark ihr Recht zu fordern, einen wieder in die Krankheit zu stoßen. Ich musste allein üben, ihnen dann die Luft abzudrehen. Das ist mein Weg, es muss nicht Eurer sein.


Gut, jetzt ist das ein langer Beitrag geworden, aber ich wollte das sagen. Vielleicht bin ich auch hier, weil das ein neuer Schritt raus ist? Weil ich noch etwas lernen muss? Der Austausch gerade über den Umgang mit dem "Danach" wäre mir sehr wichtig.
Ich will aber - wenn ich sage, dass ich helfen will - niemanden missionieren. Die meisten hier dürften mich nicht einmal mehr kennen und ich habe auch nicht das emotionale Potential, alle aufzufangen. Aber ich möchte mich austauschen. Und ich will diesen Aspekt meines Lebens wieder "anschließen".

Mit lieben grüßen,

Filialunae
Zuletzt geändert von aymone am Di Jan 25, 2011 12:26, insgesamt 1-mal geändert.
Man ist nicht negativ anders als andere, man nimmt sich nur so wahr, weil es einem eingeredet wurde. Daher verhält man sich anders und erfährt dafür Ablehnung, nicht für die eigene Person.

Re: Umgang mit der Krankheit danach

#5
Man, das gibts ja nicht...Cool...Du wieder hier??? Ich freu mich und gehöre auch zum Kreis derer, die Dich noch kennen! Allerdings hab ich inzwischen auch nen neuen Namen, weil ich zwischenzeitlich mal verschwunden war! Ich war Krümelchen78 falls Dir das noch was sagt :D Ich freu mich, dass Du wieder da bist! Ich finds schön, dass Ehemalige zurückkehren. Halte das für wichtig! Nicht zuletzt um denen, die noch drin stecken zu szeigen, dass es doch einen Weg raus gibt wenn man es will!

Freue mich auf Deine Beiträge und sende bis dahin liebe Grüße!!!

Nadine

Re: Umgang mit der Krankheit danach

#6
Hallo!

Erst einmal Danke für die lieben Willkommensgrüße, damit hatte ich gar nicht gerechnet. :D
An die Namen erinnere ich mich noch und auch an Teile Eurer Geschichten, aber vielleicht bequatschen wir das alles bei Zeiten noch einmal?

Liebe Grüße,

Filia
Zuletzt geändert von aymone am Do Feb 17, 2011 14:15, insgesamt 2-mal geändert.
Man ist nicht negativ anders als andere, man nimmt sich nur so wahr, weil es einem eingeredet wurde. Daher verhält man sich anders und erfährt dafür Ablehnung, nicht für die eigene Person.

Re: Umgang mit der Krankheit danach

#8
wow, was du schreibst ist wirklich tief. ich bewunder dich das du deine gefühle und ängste so deuten kannst. das gibt mir total viel mut! es kostet viel zeit aber auch echte überwindung immer weiter zu machen auch nach rückschlägen.
aber genau da will ich auch hin, mein essgestörtes verhalten so umdeuten zu können. genau zu wissen welche ängst das jetzt sind usw.
naja ich bin erst am anfang, habe am 24. nov 08 aufgehört. zuerst war es so neu. ich wusste garnicht was ich ohne mein symptom machen sollte. soviel zeit...
aber jetzt lerne ich es mehr und mehr zu schätzen. mein neues leben.
und natürlich hatte ich auch schon rückfälle(3) aber ich lass mich aber nicht unterkriegen. zum glück habe ich tolle hilfe und therapeuten gefunden. bei dir höert es sich ja so an als wenn du wirklich alles alleine gemacht hast. das könnte ich nicht. respekt!!!!
lg a

Re: Umgang mit der Krankheit danach

#9
Was heißt allein? Ich habe seit Jahren einen sehr lieben Freund, eine sehr gute Beziehung zu meiner Mutter und ich habe viel gelesen. Über die Krankheit, über Narzissmus, über soziale Angst. Das hat mir sehr geholfen. Und ich konnte anfangs immer hier schreiben, als alles noch so schlimm war, dass ich es lieber anonym im Internet gemacht habe als draußen.
Man ist nicht negativ anders als andere, man nimmt sich nur so wahr, weil es einem eingeredet wurde. Daher verhält man sich anders und erfährt dafür Ablehnung, nicht für die eigene Person.

Re: Umgang mit der Krankheit danach

#10
das hört sich ganz anders an! schön. von meinem freund hab ich mich getrennt, weil er nichts wusste...aber ich vermisse ihn nicht..-
leider hab ich auch keine familie. aber wie gesagt ich habe anderen halt beim therapeuten und in der suchberatungstelle..
ja und dieses forum hilft auch sehr, da geb ich dir recht.
hast du nen guten buchtipp für mich?
lg a.

Re: Umgang mit der Krankheit danach

#11
1. Ulrike Schmidt, Jeanette Treasure; Die Bulimie besiegen. Ein Selbsthilfeprogramm (mein erster Schritt raus)

2. Bärbel Wardetzki; Weiblicher Narzissmus. Der Hunger nach Anerkennung (hebt sehr auf die Rolle der Mutter ab, man muss sich selbst überlegen, ob es bei einem selbt die Mutter war oder jemand anderes, bei mir war es nicht meine Mutter; mir hat das Buch sehr geholfen, zu verstehen, wonach ich eigentlich die ganze Zeit strebe und wieso ich das nicht erreichen kann)

Gilian Butler, Schüchtern, na und? (gegen soziale Angst)

Das sind meine drei "essentials". Daneben hatte ich einige Bücher aus dem PAL Lebenshilfe-Verlag, bei denen ging es weniger um Analyse als um kognitive Verhaltenstherapie, also die Veränderung von Empfindungen und Handlungen. Aber ich finde, man muss erst immer rausfinden, was man hat, bevor man es nachhaltig ändern kann.
Man ist nicht negativ anders als andere, man nimmt sich nur so wahr, weil es einem eingeredet wurde. Daher verhält man sich anders und erfährt dafür Ablehnung, nicht für die eigene Person.

Re: Umgang mit der Krankheit danach

#15
@Lebensseiltänzer

Leider nein, Pinar und ich haben viel geschrieben/gechattet, aber wir sind nicht identisch.
Man ist nicht negativ anders als andere, man nimmt sich nur so wahr, weil es einem eingeredet wurde. Daher verhält man sich anders und erfährt dafür Ablehnung, nicht für die eigene Person.