hallo,
nun sind es nur noch einige tage, die mich von meiner heimreise trennen. es wird zeit, eine bilanz zu ziehen. doch bevor ich das mache, möchte ich euch noch von meinen katastrophalen letzten drei wochen erzählen. also so krank wie hier war ich auch schon lange nicht mehr gewesen. erst hatte ich eine normale erkältung, die sich ziemlich verschlechtert hat. ich bin sogar zum arzt gegangen (was bei mir eher selten vorkommt und was ja in einer fremden sprache noch einmal schwieriger ist), der mir dann auch sagte, dass es allerhöchste zeit war, weil mein husten gerade dabei ist, sich festzusetzen und die gefahr besteht, dass er in asthma übergehen könnte. ich bekam dann so ein spray un hustensaft, was ich beides jetzt über drei wochen nehmen musste. der husten wurde echt krass. ich konnte kaum noch eine nacht durchschlafen und schon gar nicht lange strecken in der metro fahren, ohne einen gehörigen hustenanfall zu bekommen. hin und wieder hatte ich dann fieber, doch ich bin weiter ins praktikum - von dem ich im anschluss noch erzählen werde - und in die vorlesung gegangen, was eindeutig ein fehler gewesen war.
es kam natürlich wie es kommen musste: irgendwann ging gar nichts mehr und ich lag einige tage nur im bett, alleine in diesem eher kalt eingerichteten, sehr kleinen wohnheimzimmer, was nicht gerade zu einer psychischen, aber immerhin zu einer körperlichen besserung beigetragen hat. psychisch gesehen ging es in dieser zeit eher bergab mit mir, ja, ich wurde schon leicht depressiv. nicht, weil ich unzufrieden mit dem semester war oder weil ich krank war, sondern schlichtweg deshalb, weil ich solches heimweh hatte, mich nach meinem freund und meiner familie sehnte und es satt hatte, hier immer und immer wieder in diese welt von leeren höflichkeitsfloskeln einzutauchen, die dir letztendlich gar nichts an ehrlicher wärme oder geborgenheit gibt. dazu muss ich sagen, dass ich mich im laufe des semesters ziemlich von der erasmus gruppe abgekapselt hatte, einfach weil ich merkte, dass es mir nicht gut tut, ständig mit menschen zusammen zu sein, die dich fragen, wie es dir geht, aber sich eigentlich kein bisschen für die antwort interessieren, die ständig party machen und mit dir zusammen rumhängen, aber letztendlich keine ahnung von dir haben. die auf oberflächlichkeiten wert legen und über die wirklich wichtigen dinge im leben mit einem aufgesetzten lächeln hinwegsehen. viele haben mich immer gefragt, ob ich mich nicht einsam fühle - aber ganz ehrlich, wenn ich alleine war, hab ich mich hier echt am wohlsten gefühlt. es gibt nichts schlimmeres, als sich inmitten einer großen belebten menschenmasse so richtig einsam zu fühlen. nun, die zeit zog sich dahin und ich konnte einfach an nichts mehr anderes denken als an zuhause. ich hatte das gefühl, hie schon längst alles erreicht zu haben, was ich hätte erreichen können, ja es fühlte sich an, als würde ich auf der stelle treten und eh nicht mehr weiterkommen. und so müsste ich ausharren, bis ich endlich gehen durfte.
diese düstere stimmung hat sich dann leider auf mein herz übertragen. ich habe ja jetzt schon seit über zwei jahren herzrhythmusstörungen, die mir schon mehrmals das bewusstsein genommen haben, wegen denen ich schon bei sämtlichen ärzten war, die mir letztendlich immer nur diagnostizieren konnten, dass es psychisch wäre und dass man bei mir nichts anderes machen könnte, als mir einen herzschrittmacher einzusetzen, wofür ich allerdings noch zu jung wäre. es wäre also meine eigene entscheidung, entweder das ganze hinnehmen oder eben eine op, die einfach noch viel zu krass für mich wäre.
die herzprobleme haben mich dann natürlich noch zusätzlich belastet. es ist ein furchtbares gefühl, zu spüren, wie das herz langsam runterfährt und du nur noch auf den nächsten schlag wartest, wie es dir fast die luft abschnürrt. aber gut, ich sagte mir all die zeit, keine panik - denn dann wird es bei mir ja noch schlimmer - das ist nichts schlimmes, das kennst du ja schon.
letzte woche donnerstag war ich dann auf einer party. ich gehe wie gesagt hier nie auf partys, doch das war eine der zwei ausnahmen, zu denen ich nur deshalb gegangen bin, weil eine, mit der ich mich ganz gut verstehe, geburtstag hatte und weil diese partys eigentlich keine wirklichen partys sind, sondern eher zusammensitzen und reden. da kann sogar ich noch einen sinn drin sehen

... mir ging es an diesem abend nicht so ganz gut, doch ich wusste nicht warum. ich hab mich dann intuitiv lieber früher verabschiedet und bin nach oben in mein zimmer gegangen, um mich schlafen zu legen.
ich lag wach bis zum morgen. ich konnte kein auge zumachen, weil mein herz so furchtbar schlug und mir immer und immer wieder schwarz vor augen und schwindlig und schlecht wurde. die ganze nacht über musste ich gegen diese drohende ohnmacht ankämpfen. als es dann "endlich" daraus hinauslief, dass ich eigentlich gar nichts mehr tun konnte, reagierte mein körper so, wie es mir mal ein arzt erklärt hatte: wenn es ihm zuviel wird, versucht er ballast loszuwerden - man bekommt durchfall oder muss sich übergeben. letzteres war dann der fall. zunächst ging es mir kurz besser, doch dann bekam ich fürchterliche bauchkrämpfe und mir war so übel, auch die herzprobleme kamen wieder zurück.
das ganze lief dann darauf hinaus, nachdem ich mich unzählige male übergeben hatte und nur noch verkrampft un heulend am boden lag, dass eine komilitonin so lieb war, hilfe zu holen und ich von sanitätern aus dem wohnheim geschoben und in eine krankenstation gebracht wurde. dort lag ich dann den kompletten nachmittag und es stellte sich heraus, dass ich eine magenentzündung hatte. im nachhinein war ich froh, dass ich dort war, denn zu beginn meinten sie, dass vieles, was ich an symptomen berichtete, sogar auf einen herzinfarkt hingewiesen hatte. sicher ist sicher. lieber einmal zuviel untersucht, hab ich mir da gedacht.
nun, seitdem war ich jetzt wieder eine woche rumgelegen, doch diesmal war es sehr schön, mich langsam zu genesen,weil meine eltern meinem freund die fahrkarte gezahlt und ihn zu mir geschickt haben, was mich sehr sehr aufgebaut hat. ich habe ihn nach einer woche gestern wieder verabschiedet, doch jetzt sind es nur noch fünf tage, die uns voneinander trennen und das ist ja wohl nichts im vergleich zu dem, was nun hinter uns liegt.
mir geht es mittlerweile wieder viel besser, doch meine gesundheit ist natürlich noch leicht angeschlagen und ich habe ziemlich viel abgenommen, was wiederum zu meinem oft noch sehr schwachen kreislauf beiträgt. doch ich habe wieder richtig appetit und esse wieder richtig gut, so dass ich schon in dieser woche, in der mein freund da war, wieder etwas mehr auf die rippen bekommen habe, was ich echt gut finde. schon allein hier merke ich, was für krasse fortschritte ich in den letzten jahren gemacht habe. gewicht bedeutet für mich mittlerweile stärke. wenn ich abgenommen habe, dann ist das für mich immer ein zeichen von kranksein. und richtig stark fühle ich mich auch erst mit meinem normalen gewicht, dass ich jetzt schon seit einigen jahren mit wenigen schwankungen wie eben krankheitsbedingten gut halten kann. da bin ich echt stolz auf mich

...
nun. eine bilanz ziehen.
ich bin sehr froh und stolz auf mich, dass ich dieses semester hier verbracht habe. die stolpersteine, die mir am anfang das gehen unerträglich zu machen schienen, haben mich tatsächlich um einiges stärker gemacht.
als ich hier ankam, kam ich ja gar nicht mit der gegend klar. ich hatte oft angst auf dem heimweg und traute mich auch nicht, nach einer gewissen uhrzeit noch außer haus zu gehen. das hat sich geändert. ich bin ziemlich selbstsicher geworden. ich habe gelernt, selbstbewusstsein auszustrahlen, so aufzutreten, dass ich auch in ruhe gelassen werde. ich habe gelernt, zu kontern. mich zu wehren. vor allem aber schwierige situationen zu durchschauen und richtig zu reagieren. ich habe gelernt, wieviel körpersprache aussagt und was ich wie ausdrücken kann. mir war am anfang nicht bewusst, dass ein freundliches lächeln von mir völlig missverstanden werden kann. ich habe mir eine härte angeeignet, die ich allerdings nur in dieser gegend hier zeige. ich habe gelernt, nein zu sagen. vorbeizugehen. aufdringliche männer klar abzuweisen. deutlicher in meinen worten zu werden. ich habe gelernt, auch laut zu werden, wenn es sein muss. ich kann gefahren nun richtig einschätzen und traue mir voll zu, richtig damit umzugehen. ich habe kaum noch angst hier - weil ich weiss, wem oder was ich wie ausweichen kann und muss.
ich hatte zu beginn immer angst, "es" könnte hier wieder passieren. dass ich hier belästigt oder gar v*rg*wa*ig* werde. ich habe mich innerlich komplett gewandelt. ich habe es geschafft aus der passiven "oh gott, sowas könnte passieren" rolle in eine aktive, defensive "denen werd ichs schon zeigen" rolle über zu gehen. ich habe die bereitschaft entwickelt, mich zu wehren. und die wiederum gibt mir die nötige sicherheit, die ich ausstrahlen sollte.
auch meinen eigenen weg habe ich hier gefunden. das, was ich vorhin schrieb. wo ich zu beginn noch unsicher war, ob ich auch party machen soll, habe ich bewusst auf meine innere stimme gehört und das getan, was mir gut getan hat. ich wurde oft als spießer hingestellt. aber ich selbst habe mich mit dieser haltung einfach nur stark gefühlt. ich habe viel alleine unternommen. viel zeit mit mir selbst verbracht. auch das ist zeichen von stärke. vielleicht mehr, als immer nur in großen gruppen auf partys zu gehen. auch das ist mir klar geworden.
ich gehe nun mit einem zufriedenen lächeln. im studium hab ich alles erreicht, was ich hätte erreichen können, ja noch mehr. ich habe mich zusätzlich noch an der uni eingeschrieben, weil ich mich in der hochschule unterfordert gefühlt habe. ich habe krasse kurse wie einführung in die lateinische sprache und interkulturelle psychologie zwischen tauben und normal hörenden belegt, die ich mir zuvor niemals zugetraut hätte. ich kann wieder fließend französisch sprechen. und ständig fragt man mich, woher ich komme, weil ich keinen deutschen akzent mehr habe. ich habe zwei arbeiten an einem tag verfasst, an dem ich noch krank war. ich hab mri keinerleri anweisungen durchgelesen, sondern einfach geschrieben, wie ich es für richtig hielt - und trotzdem bestanden.
ich bin stolz auf mich.
ich habe hier große fortschritte gemacht. es war gut, dass ich hier war. ich denke, es war sogar besser, als wenn ich an einem ort gewesen wäre, an dem ich nicht hätte kämpfen müssen. nur so konnte ich reifen und mich weiterentwickeln. nur so.
und jetzt schaue ich mit strahlenden augen in die ferne und freue mcih auf die nächste woche. bald bin ich wieder zuhause und kann mich dort eine weile von wärme und geborgenheit tragen lassen.
lg, eure jen
Lauf der Sonne entgegen, anstatt auf sie zu warten...