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von jen
hallo, liebes mondlicht!
erst einmal möchte ich dir sagen, dass es einfach wahnsinnig toll von dir ist, dass du dich über die krankheit informieren willst und fragst, wie du helfen kannst. damit hast du schon einen riesigen sehr hilfreichen schritt getan: du bist bereit, etwas zu tun, was deiner tochter helfen könnte, nur weißt du leider nicht, was.
ich denke, mit dieser frage bist du hier genau richtig, weil die meisten hier betroffen sind oder aus der bekanntschaft erfharungen damit gemacht haben, welche reaktionen vielleicht hilfreich, welche eher verstärkend waren.
ja, deine tochter leidet unter bulimie. bulimie wird in der gesellschaft oft so hingestellt, als würden die betroffenen nur erbrechen, doch das ist nur eine ziemliche verallgemeinerung, die immer wieder zu verwirrung führt. es gibt natürlich nicht "die" bulimie, sondern viele verschiedene arten. manche hungern und erbrechen das bisschen, was sie zu sich nehmen, manche bekommen regelmäßig essanfälle und erbrechen, manche erbrechen "nur" in krisensituationen. des weiteren gibt es auch sportbulimie, bei der man essanfälle hat und sie durch exzessiven sport wieder rückgängig zu machen versucht - und abführmittel können auch eine art sein, ebenso wie das erbrechen, das gewicht zu reduzieren oder beizubehalten. all diese methoden sind verdammt schädlich und je früher man etwas gegen diese sucht unternimmt, desto besser...
ich selbst hatte an die drei jahre lang essstörungen. mit vierzehn habe ich, wie deine tochter, angefangen, weniger zu essen, ein ganzes jahr lang gehungert. mit fünfzehn bekam ich dann bulimie, habe regelmäßig erbrochen. erst als ich 17 war, habe ich mich meinen eltern anvertraut, nachdem ich allerdings schon einige monate bei einer psychotherapeutin gewesen war ( zu der ich auch heute noch gehe). ich habe ihnen von meiner krankheit erzählt und bin immer noch erstaunt, wie sie reagiert haben. es mag fürchterlich klingen, doch bevor ich es ihnen erzählt hatte, hatte ich mir eins gewschworen: wenn sie mich daran hindern, muss ich mich umbringen. ich war zu diesem zeitpunkt noch tief in der krankhheit gesteckt und war noch nicht bereit, mich zu lösen, weil ich panische angst davor hatte. so große angst, dass ich eher den tod gewählt hätte.
doch meine eltern haben sich weitgehend aus meinem essverhalten herausgehalten, mich aber öfter mal gefragt, wies mir so geht. das hat mir schon viel geholfen. hätten sie mich zum essen gezwungen, hätte ich nur wieder erbrechen müssen und daran konnte mich zu diesem zeitpunkt keiner hindern.
ich habe mich noch einige monate so dahingeschleppt, doch kam irgendwann an einen punkt, an dem es nicht mehr weiterging. ich war so depressiv, dass ich etwas unternehmen musste. da ich nichts mehr zu verlieren hatte, außer der bulimie, die ich ja irgendwo auch hasste, entschloss ich mich zu einer stationären therapie.
ich muss sagen, hierbei hätte ich mir mehr unterstützung gewünscht. meine mutter war zuerst völlig dagegen ( was werden denn die nachbarn denken? und so schlimm ist es doch auch nicht, oder?), was mich nochmal stark ins schwanken gebracht hat. gegen den willen meiner mutter habe ich mich dann doch einweisen lassen, die, als ich vom arzt kam und ihr davon erzählte, ihre reaktion schon bereute.
aufgrund dieser erfahrung kann ich dir nur sagen: sollte deine tochter auch nur irgendetwas andeuten, von wegen klinik oder so, dann geh darauf ein und nimm sie ernst.
und auch sonst, sprich sie an, auch wenn sie genervt reagiert, denn im grunde braucht sie deine nähe, sie kann sie vielleicht nur nicht zulassen. frag sie, wie es ihr geht, hör ihr zu, wenn sie von etwas erzählen will.
das wichtigste ist einfach, dass du ihr das gefühl gibst, hinter ihr zu stehen und für sie da zu sein. vielleicht könnt ihr auch irgendein zeichen ausmachen, wenn sie reden will aber keinen anfang findet, so dass du sie fragen kannst, was ihr vielleicht leichter fällt.
du meinst, sie erzählt ihrem pschotherapeuten nicht alles. hat sie denn schon eingesehen, dass sie krank ist, will sie etwas verändern?
vielleicht soltest du auch darüber mal mit ihr sprechen. sag ihr einfach, dass du besorgt bist, doch unterstelle ihr nichts. vielleicht nimmt sie dich ja auch mal mit, zu einem familiengespräch?
ich kann dir keine anleitung geben, doch ich denke, du findest schon das richtige.
wünsch dir alles liebe und ganz viel kraft
lg, jen