Aire... wieso bist du bloß immer so bockig und zickig?!
Warum habe ich angefangen zu kotzen? Ich kann mich nicht so genau erinnern!
Ich weiß nur dieses hier:
Damals zu der Zeit stellte ich plötzlich fest, dass ich "dick" war, zumindest dicker als jemals zuvor. Ich war vielleicht 13 oder 14 und ich vermisste den dünnen Körper den ich hatte als ich mir noch gefiel. Ich vermisste ihn sooo sehr!
Bis dahin hatte ich noch nie irgendwas von Diäten und Gewichtsreduktion usw. erfahren. Ich hab mir damals noch nie Gedanken über Essen gemacht, kam irgendwie auch garnicht direkt auf den Gedanken, dass die Figur was mit dem Essverhalten zutun haben könnte. Ich wusste zwar: man wird angeblich dick wenn man "zu viel" isst, aber das konnte ich mir nicht so richtig vorstellen. Ich wusste nicht was denn "zu viel" ist und überhaupt... , ich hatte mich einfach noch nie damit beschäftigt... inwiefern man seine Figur beeinflussen kann indem man die Nahrungsaufnahme kontrolliert. Mir war der Gedanke auch irgendwie total fremd und kam mir absurd vor auf irgendwas zu verzichten und einzusparen und und und...
Aber nun vermisste ich den kindlichen Körper in dem ich mich noch wohl fühlte. Mit 13 fühlte ich mich nicht mehr wohl! Und mein Vater sagte: "Du kannst wieder so aussehen, wenn du nurnoch die Hälfte isst!"
Aber das funktionierte nicht, denn ich liebte es zu essen. Ich war regelrecht süchtig danach!
Der Preis kam mir zu hoch vor und ich hatte auch Angst es würde nicht funktionieren und alle Anstrengungen wären umsonst und und und... Haufenweise qualvolle Gedanken kreisten mir im Kopf herum.
Mit 13 fing das also an. Zeitweise vergaß ich es auch, aber ich ertrappte mich immer häufiger dabei wie ich mich mit anderen verglich, wie ich mich vor dem Spiegel drehte und mehr und mehr überkritisch zu bewerten begann. Mit 14 startete ich dann die ersten Diätversuche. Bis dahin hatte ich mich schon über alles bestens informiert, hatte Bücher durchgewälzt, wusste was Kalorien sind, hatte einen Gesamt-Überblick über die gesamte Thematik Essen-Figur-Diät. Trotz allem konnte ich nicht die Finger vom Essen lassen. Ich war süchtig!! Essen tröstete mich, ich brauchte es so sehr, das spürte ich plötzlich. Vor meinen Diätversuchen war das schon so, ich hatte es nur nie so bemerkt. Doch dann, als ich etwas verändern wollte, bemerkte ich, dass mein Verhältnis zu Essen meinen Plänen irgendwie hinderlich war. Ohne zwanghaftes Essen konnte ich nicht leben.
Ich las dann Bücher über süchtiges Essen und wie man das bearbeiten kann. Da stieß ich dann auch das erste mal auf den Gedanken, dass überstarker Stress und Minderwertigkeitsgefühle und unverarbeitete Konflikte dahinterstecken könnten. Ich kam das erste mal mit Psychologie in Kontakt - ohne es jedoch zu ernst zu nehmen.
Wie ich zu erbrechen anfing weiß ich nicht mehr. Es muss irgendwie so nebenbei mal passiert sein, nix besonderes - ich war in jeder Hinsicht schon ziemlich abgebrüht.
Ich wusste einfach, dass das geht - sich etwas in den Hals stecken und den Mageninhalt nach draußen zu befördern. Ich musste das nicht erst rausfinden oder so. Das haben eine Freundin und ich schon damals in der Grundschule manchmal so zum Spaß gemacht. Manchmal auch um im Sekretariat ganz sicher behaupten zu können uns übergeben zu haben und dann abgeholt zu werden. (Sie -meine damalige Freundin- hatte übrigens Jahre später mit 16 einen Selbstmordversuch)
Ich tat es einfach. War keine große Sache, irgendwie normal, so als würde ich eben meine Nägel schneiden oder meine Haare nochmal durchkämen.
Ich weiß auch nichtmehr was ich mir dabei gedacht habe. Wahrscheinlich erstmal nix weiter.
Ich dachte mir eigentlich nichts dabei und vor allem hätte ich nie gedacht, dass das eine "Essstörung" sein soll! Es war so normal für mich und bis dahin habe ich auch von Außen nie irgendwas über "Bulimie" oder "Anorexie" erfahren. Weder von den Begriffen, auch nicht dass es eine Krankheit ist, noch sonst irgendwie. Ich bin von ganz allein darauf gekommen, ohne konkreten äußeren Anreiz. Ich dachte auch sehr lange Zeit ich wäre die Einzige die das macht. Erst Jahre später habe ich verstanden, dass es "krank" ist, eben nicht normal und dass es schädlich und hinderlich ist und dass es "Bulimie" heißt... es hat mich umso mehr schockiert! Aber damals hätte ich das nie geglaubt.
Ich gehöre nicht zu denen die sich ausgesucht haben Bulimiker zu sein und stolz darauf sind! Es hat sich von ganz allein, aus meinem tiefsten Inneren so entwickelt, als wäre es schon immer in mir gewesen...
Mit 15 hatte ich dann erste, sichtbare Abnehmerfolge und mit 16 entwickelte es sich noch weiter. Ich sehnte mich mittlerweile nicht mehr nach meinem alten Kinderkörper in dem ich mir noch gefiel, sondern ich dachte plötzlich ein dünner Körper würde mir einfach besser stehen. Es nistete sich richtig tief in meinem Hirn ein. Ich wollte einen gänzlich veränderten Körper. Mit einem dünnen, neuen Körper hab ich viele tolle Sachen verbunden, sowas wie eine neue Identität. Ein neues Ich. Ich wollte mich irgendwie neu erschaffen, inszinieren. So wie ich mir ein neues Kleid anziehe, oder meine Haare anders mache, wollte ich einen komplett neuen Körper der nicht mehr nach der alten Para aussieht, der an nichts mehr von mir erinnert!
Seit 16 hege ich nonstop, rund um die Uhr Abnehm-Pläne. Jede Woche ist eingeteilt in Diät-Einheiten. Manchmal halte ich mich an sie, manchmal nicht. Phasenweise kotze ich sehr viel, phasenweise auch mal garnicht. Es schwankt. Wenn ich mich an meine Diätpläne halte und ich auch tatsächlich abnehme, dann gibt es für mich nichts schöneres, ich strebe dann der neuen Identität sicher entgegen. Bisher bin ich aber noch nie wirklich ins richtige UG gekommen, nur kurze Zeit mal, denn zwischendurch komme ich ab und zu noch zu Sinnen und glaube auch daran, dass es vielleicht ein falscher Weg ist.
Aber der Gewichtsverlust ist nach wie vor verbunden mit so viel Romantik - auch wenn das wirklich merkwürdig klingt!
Man will es nicht gern aufgeben.
Das Kotzen, nunja, es wurde zunehmend lästigt, zumal sich ja auch schleichend körperliche Folgen zeigen! Der Tiefpunkt lässt ja nicht sehr lange auf sich warten.