Ich glaube viele machen es sich immer viel zu einfach. Soein Mensch mit seinen Empfindungen is ne hochkomplexe Sache. Anfangs hab ich mich auch das alles gefragt. Mittlerweile weiß ich, dass da sehr sehr sehr viele Dinge ineinanderspielen. Manchmal einfach zufällig.
Um erstmal deine ganz konkreten, direkten Fragen an mich zu beantworten:
Nein, es hat mir niemand einfach gesagt, dass diese und jene Erfahrung traumatisch war. Niemand hat mir irgendwas auf einem Silbertablett serviert, schön wärs. (das kann ja auch keiner so wirklich wissen)
Man hat mir nur entsprechende Gedankenanstöße gegeben, die ich dann selbstständig weitergedacht habe. Ich denke, mein Interesse trieb mich.
Dass meine ganze Kindheit ein einziges Trauma darstellen müsste war eine Schlussfolgerung die bestätigt wurde.
Die ganz komplexen Sachen habe ich mir angelesen. Und nicht nur Bücher über Borderline, PTBS und allen möglichen anderen Psychosen-Kram und diese ganze ober-pathetische Scheiße, sondern auch einfach nur Bücher darüber wie es "richtig" wäre oder was generell die menschliche Psyche betrifft, Einführungen usw. usf. Was mir so in die Finger kam. Ich hab mich also in der Hinsicht erstmal versucht sehr umfangreich allgemein zu bilden. Alles, Psychologie, Soziologie, alles was ich finden konnte.
Und mit diesem Wissen konnte ich mir einiges erschließen worauf ich vorher nicht gekommen wär. Da gab es jetzt auch keinen wirklichen "Aha-Effekt", falls man das jetzt erwartet oder sich erhofft, es kam nur schleichend die Erkenntnis, dass einfach mit meiner psychischen Entwicklung was schiefgelaufen ist.
Ich weiß, dass die meisten garnicht wissen wie kompliziert das eigentlich ist und nur sturr und naiv nach irgendeinem "Ding" suchen... Vielleicht sogar noch nen Schuldigen oder irgendwas auf ein einziges Ereignis schieben wollen. Das ist alles Quatsch. Spielt alles hinein, ja, ist aber nicht die "Lösung" des Rätsels.
Dieser inflationär gebrauchte Begriff "Trauma" triffts meiner Meinung nach nicht ganz oder ist zumindest irgendwie leicht übertrieben. Gerade wenn es "Traumata" betrifft die eben nicht auf ein einziges Ereignis zurückzuführen sind. Dann wirds nämlich komplizierter und man sollte nicht mehr allein nach einem "traumatischen Ereignis" suchen.
Bei mir ist das so, falls du n konkretes Beispiel willst, dass mir als Kind Dinge vorgelebt wurden und abverlangt wurden, die meine kindliche Psyche überfordert haben. Es wurde sich eben nicht "gekümmert", ich musste zu früh mit mir und meinen Gefühlen allein klar kommen (z.b.: "wenn ich traurig bin ist es meine Schuld und ich sollte mich schämen") und mich zusätzlich noch um die Familie kümmern, bzw. unabänderbare Grausamkeiten mit ansehen und eben ertragen. (wenn meine Eltern sich grün und blau prügelten, oder mein Bruder sich oder mich irgendwo schon wieder in Lebensgefahr brachte usw.) Das war ein permanenter Zustand, mit dem mein Kinder-Gehirn noch nicht fertig wurde, weil da einfach die psychische Entwicklung noch nicht fortgeschritten genug war. Und permanenter Stress oder sehr langanhaltende, häufig, bis ständig auftretende "traumatische" Erlebnisse (eben Dinge die einen überfordern, die nicht angemessen verarbeitet werden können, weil das z.b. einem Kindergehirn noch nicht ausreichend möglich ist), dann entsteht daraus allerhöchstwahrscheinlich eine "komplexe Posttraumatische Belastungsstörung". So.
D.h.:
Erstmal war ich mit Stress überfordert und dann konnte ich durch all das wichtige Dinge nicht lernen. Ich war so sehr mit meinem Umfeld beschäftigt und mit dem von-allein-Überleben, dass die altersgemäße Entwicklung meiner Psyche dabei völlig auf der Strecke blieb. Ich sollte, ich
musste eben funktionieren und fertig, sonst wäre ich untergegangen.
Ich hab halt völlig falsche Grundannahmen gelernt. Bzw. hab ich ein falsches Bild von der Welt und von mir bekommen. (halt z.b.: menschen sind böse, meine Gefühle sind nicht wichtig usw.)
Ich glaube es hängt dann widerrum von einem selbst ab ob man damit "glücklich" werden kann. Hängt bestimmt von Charakter und Intelligenz ab, schätze ich mal. Jeder baut sich seine Welt mit seinen zur Verfügung stehenden Mitteln. Auch als schizoider kann man seine ganz eigene Form von Glück erleben. Glaube ich.
Da kommen wir also zu dem Punkt: "Jeder erlebt und verarbeitet Traumata auf seine Weise". Manche verarbeiten manche Sachen ganz von selbst mit der Zeit, mit denen andere vielleicht ihr Leben lang nicht allein klar kommen. Z.B. wurde ich als Kind mehrfach von Männern s*x**ll* belästigt (nicht v*rg*wa*ig*, "nur" belästigt. also unter den Rock fassen, an den Po fassen usw.) und hatte teilweise danach auch monatelang tierische Angst vor Männern, mit Schweißausbrüchen und panikartige Fluchtversuche wenn einer in meine Nähe war. Das war ein Trauma wie es im Buche steht. Aaaaber: ich habs von allein verarbeitet und einfach überwunden. Heute ist davon keine Spur mehr... Ich liebe Männer! Ich liebe Sex. Ich glaube das ist mitunter noch der einzige Lebensbereich indem ich völlig "normale" Ansichten und Verhaltensweisen habe. Völlig natürlich und ungezwungen. Keine Spur von irgendwelchen Belästigungen oder Traumatisierungen oder so die mich früher total fertig gemacht haben... Glaube ich zumindest
Weiter im Text:
Mein Bruder z.b. hat das ganze irgendwie anders verkraftet. A: er ist ein Junge, B: er ist ein Jahr älter. Heute ist er eben ein dominantes, gefühlskaltes, brutales Drecksschwein, was sich notfalls überraschend intelligent seine Fassade basteln kann.
So wie ich eben auch.
Ich vergleiche das auch oft: was ist mit meinem Bruder passiert und was mit mir? Ich bin ihm sehr ähnlich was unsere "Symptome" betreffen. Klar, wir haben unterschiedliche Charaktere, aber unsere Denkweisen scheinen gleich. Ich wirke, so wie er, extrem autark und distanziert. Einfach, weil ich (wir) es so gelernt haben. Da wo ich herkomme sind diese Eigenschaften wichtig. (klingt jetzt beknackt, aber, ist sone Art "Ghettoprinzip")
Und wenn man irgendwann aus der "Hölle" entlassen wird, die man nie bewusst als "Hölle" kennengelernt hat, sondern halt einfach als normales Umfeld in dem und mit dem man eben gewachsen ist, lässt man ja nicht sein Ich und seine Persönlichkeit fallen, die man so lange Jahre antrainiert bekommen hat. Man ist eben wie man ist.
Äh, ich komme gerade etwas ab.
Ich glaube, wirklich unglücklich bin ich nur dann wenn ein Mensch kommt der mir zeigt, dass ich eigentlich nur Liebe will. Dass sich hinter meiner coolen, unnahbaren, altklugen, arroganten Fassade nur Schwäche, Unsicherheiten und Angst vor Nähe verstecken.
Ich dachte immer: son Quatsch! Zieht ab! Ich brauch euch alle nicht ihr Wichser!
Es war die ganz große Erkenntnis, dass da theoretisch sehr wohl Gefühle usw. in mir drin sein müssten die eben anscheinend nur nen Umweg finden (durch Implosionen (z.b. Bulimie) und/oder Aggression nach Außen). Dass es doch iiiiirgendwo in mir Regungen geben muss wie sie andere Menschen auch haben. Meine Regungen sind eben nur sehr viel extremer, weil ich A: immer gewohnheitsmäßig mit extremen Regungen und Aktionen konfrontiert wurde und B: (dadurch) nie gelernt habe sie zu regulieren. Somit läufts in mir gefühlsmäßig chaotisch ab...
Und *lufthol* jeeedenfalls: seit ich versuche Zugang zu meinen Gefühlen zu finden geht es mir anders. Ich glaube das ist auch das Prinzip von Therapien: Gefühle ergründen, spüren lernen und damit umgehen usw.
Seit dem spüre ich erst den Schmerz. Der Schmerz der eben vorher unterdrückt wurde. Garnicht mal von mir! Eben von meinem Gehirn was den Stress nicht ertragen konnte und somit in den "Koma-Modus" umgeschaltet hat, sozusagen. Selbstschutz, Überlebensmechanismus.
Hmmmm... ich hatte noch nie ne Therapie. Strebe aber eine an.
Zur Zeit leide ich an mittelschweren Depressionen die sich verchronifiziert haben (eben permanente Überlastungen führen irgendwann dazu, die Kraft ist weg) und tue mich schwer damit nen Platz zu suchen, verdammte Wartezeiten usw. ...
Ähm, die 2. Frage war, ob ich glaube, dass das "aufarbeiten" dieser Erlebnisse zu mehr Glücksseeligkeit führen.
Hm. Haben wir wieder ein neues Wort : "Aufarbeitung".
Man kann die Kindheit nicht nochmal durchleben. Und man kann nicht all das versäumte im gleichen Maße nachholen. Die Chance ist vertan, man ist nur einmal Kind in diesem Leben.
Das klingt pessimistisch, ich will damit aber nur sagen, dass das Wort "aufarbeiten" im eigentlichen Sinne hier nicht so passt.
Ich schrieb ja vorhin:
"Jeder baut sich seine Welt mit seinen zur Verfügung stehenden Mitteln."
Ich glaube man kann
neu lernen mit dem eigenen "Input" was anderes anzufangen. Mit den Dingen die man an die Hand bekommen hat anderes zu tun, anders umzugehen. Vielleicht etwas dazulernen was das ganze neu interpretiert, neu ordnet. Man kann das Weltbild auffrischen, erweitern, etwas renovieren.
Ich glaube das geht.
Aber ich bin mir nicht sicher wie das genau funktionieren soll in der Praxis und ob es mir dann soooo viel besser geht kann ich jetzt auch noch nicht sagen, aber die Möglichkeit besteht durchaus.
Ich nehme alles so hin wie es eben ist. Ich suche keine Schuldigen. Das ist alles zwecklos, das hilft überhaupt nix. Jedenfalls mir nicht.
Soooo, ich hoffe ich konnte nen kleinen Einblick geben, der dir irgendwie hilft.
Ich hab auch nicht alles auf Anhieb verstanden. Vielleicht musst du mehr über die Entstehung von Boderline oder so lesen, dann erschließt sich das vielleicht für dich...
LG!