Essen & Gefühle | 1 Antwort

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Von Ute am 25.05.2002

Hallo,

ich bin heute zum ersten Mal auf dieser Seite. Ich selbst habe seit 17 Jahren Bulimie - mal mit besseren, mal mit schlechteren Phasen. Vorher hatte ich eine kurze Magersüchtige Phase.

Ich habe mir die Krankheit selbst jahrelang nicht als Krankheit anerkannt. Ich dachte immer "meine Güte, Du mußt Dich doch nur ein bischen mehr zusammenreißen". Aber damit war es leider nicht getan. Je nachdem ob ich mich mehr oder weniger abgelenkt habe (mit exessiv arbeiten, sporteln, weggehen & feiern, Alk zum runterschlucken und abschalten...) ging es mir besser oder nicht - aber sobald ich zur Ruhe kam kam es immer wieder!

Und mit jedem mal Kotzen und "es nicht schaffen" habe ich ein kleines Stückchen Selbstbewußtsein und Achtung vor mir selbst mehr verloren. Außerdem hatte ich immer mehr das Gefühl, zwei Personen in einer zu sein. Die eine nach außen perfekt, die andere mit ihrer maßlosen Krankheit. Der Verlust meines Selbstbewußtseins ging ganz schleichend. Bis letztes Jahr auch noch ein paar private Dinge dazu kamen und ich in einem so endlos tiefen Loch saß, daß ich nicht wußte, wie ich dort wieder heraus kommen sollte. Ich habe mich am Ende dafür gehaßt, daß ich noch nicht einmal den Mut hatte, dem ganzen ein Ende zu setzen.

Zum Glück hatte ich ein paar sehr gute Freunde, die mich sehr unterstützt haben, mir Hilfe zu suchen und ich hatte das Glück, in einer für mich sehr guten Klinik zu landen bei einem Therapeuten, der sehr viel in mir bewirkt hat.

Ich ging hin mit der Erwartung, mich 4-8 Wochen intensiv darum zu kümmern, aber dann müsse es ja auch endlich gut sein. Heute weiß ich, daß ich noch einen ca.2 Jahre langen harten Weg vor mir habe bis ich hoffentlich symptomfrei bin.

Ich habe begriffen, daß mein Hunger immer dann am größten ist, wenn ich mich selbst, meine Gefühle & Bedürfnisse kaum spüre. Ich habe mich jahrelang für völlig unsensibel gehalten. Heute weiß ich, daß die Gefühle alle in mir sind, ich aber verlernt habe, meine Gefühle zu spüren. Ich habe mir meine Gefühle wegrationalisiert nach dem Motto "Du hast kein Recht, wütend, traurig, ängstlich, oder was auch immer zu sein." Und weil diese innere Leere sehr schwer zu ertragen ist, esse ich.

D.h. mein Weg wird es sein, mehr und mehr wieder an meine Gefühle heranzukommen und wenn ich sie dann spüre auch danach zu handeln. D.h. wenn ich z.B. wütend bin, weil jemand meine Grenzen überschreitet werde ich danach handeln müssen und etwas tun, damit derjenige beim nächsten mal meine Grenzen respektiert.

Ich hatte schon den ein oder anderen kleinen Erfolg wo ich mich mal wieder gespürt habe und parallel gemerkt habe, daß dieser Scheiß kräftezährende Hunger wie von Zauberhand verschwunden ist. Diese kleinen Erfolgserlebnisse lassen mich durchhalten - auch wenn die Rückschläge nach wie vor schwer zu ertragen sind.

Ich weiß, daß es an mir liegt, ob ich gesund werde oder nicht. Ich weiß aber auch, daß dazu Hilfe brauchen und zwar Hilfe vom Therapeuten und nicht von einem Freund / Freundin - egal wie gut sie es mit mir meinen. Ich habe viele Jahr "verschwendet", indem ich immer wieder naiv glaubte, es würde irgendwann von alleine verschwinden. Diese Hoffnung muß ich euch leider nehmen, denn ich glaube nicht, daß man den Weg alleine schaffen kann. Was ich aber glaube ist, daß man, wenn man sich selbst und seine Krankheit ernst genug nimmt und vor allem bereit ist, Kraft und Zeit in die Therapie zu stecken und bereit ist (bzw. den Mut hat), Verhaltensmuster zu ändern, irgendwann symptomfrei werden kann!!!

Ich kenne auch das Gefühl dieser grenzenlosen Einsamkeit selbst wenn ich unter Freunden bin. Aber auch hier habe ich gelernt, daß ich zuerst einmal dahin kommen muß, mich selbst zu lieben und mich bei mir selbst wieder zu Hause zu fühlen. Es hängt auch sehr viel damit zusammen, wieviel Nähe ich zu meinem Gegenüber zulassen kann. Auch daran muß ich arbeiten.

Aber ich weiß, ich kann es schaffen - das gibt mir die Kraft, die ich momentan benötige.

Ich wünsche Euch allen den Mut und die Kraft, Euch professionelle Hilfe zu holen. Probiert verschiedene Therapeuten aus, denn nicht jeder passt für jeden. D.h. ihr werdet selbst spüren, wenn ihr euch bei jemandem gut aufgehoben fühlt. Verzweifelt nicht, wenn der erste Therapeut nicht gleich der passende ist.

Eure
Ute

bisherige Antworten:


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Betreff: Re: Essen & Gefühle / an euch alle!!!
Von MR am 25.05.2002


Hi Ute!
Du sprichst mir von der Seele!
Hab auch schon 8Jahre diese Eßstörung MS+BU bunt gemischt. Ich dachte genau so wie du,das ich mich ja nur ein bischen zusammenreißen muß.
Ich stehe auch immer im vollgasstreß.Ruhe darf es keine geben sonst fall ich wieder in die Bulimie.Und die ist auch streßig. Könnte oft mein Leben verfluchen. Hab heute bis 9Uhr geschlafen,sagte mir im Bett noch das ich heute den Tag mit ruhe angehen will,aber beim Früstück bekomme ich schon Streß.Bin alleine.Mir gehen 100000 Sachen durch den Kopf die ich erledigen will,werde müde. Ich glaub ich muß wieder auf den Berg rennen um nicht in die Krankheit zu fallen.Hab Angst vor dem heutigen Tag.

Tut mir leid bin jetzt etwas abgeschweift.
War auch schon 2xin einer Klinik und mache ambulant weiter.
Mir tut es total weh wenn ich oft lese wie tief die Leute drinnen hängen und sich keine Hilfe hohlen.Dabei wär es so wichtig.
Bin auch der Meinung das man ohne proffesioneler Hilfe nicht symtomfrei werden kann.
Du hast völlig recht wenn du sagst das es um die Gefühle geht die dahinter stecken wenn wir wieder Essen.
Welche Gefühle haben wir vor dem Essen???
Um diese Frage geht es. Wir mußen ehrlich nachspüren,so weh oft die Gefühle auch tuen.

Warum versetzten wir uns in Streß?Warum sporteln wir?Warum Fressen wir? Was steckt dahinter?
Wir mußen uns den Gefühlen stellen und nachgehn.

Auch mein Ziel ist es wieder mich Selbst zu akzeptiern und zu lieben. Möchte auch meine Zwei Personen die in mir stecken wieder vereinen. Möchte das sich meine Selle wieder in meinen Körper wohl fühlt. Meine Therapeutin hat völlig recht.Sie sagte mal:Kein wunder das ich nicht mit mir alleine in Ruhe sein kann.Oder wer hält es mit seinem größten Feind alleine in einen Raum aus??? Der größte Feind den ich hab ist leider immer bei mir und das bin ich selber.
Klinkt alles ein bischen arg,hab aber seit einer Woche wieder einen leichten Depri. Genau deswegen weil ich mich wieder einmal nicht mag.

Also meine Lieben,akzeptiert euch! Ihr seit alle sooooo wertvolle liebe Menschen. Es ist doch so schön das es Leute gibt die sich mit seinen innersten ICH beschäfftigen. Da geht es um das wesentliche,und nicht um den Materiellen scheiß in unserer Gesellschafft.Wagt es euren Gefühlen wirklich einmal zu stellen,und geht den Gefühlen nach,anstatt zum Kühlschrank.
Habt viel mut,ich drück euch Medardus