so, liebe annemarie, jetzt kommt endlich meine lange versprochene antwort auf deinen beitrag über diese gewissen foren. also ich war circa ein jahr einem proforum, ein relativ bekanntes, das damals sogar auf ard in einem bericht vorgestellt wurde. zu der zeit kam das phänomen gerade auf.
davor war ich bei HO, und ich fand die stimmung dort ehrlich gesagt nicht pasend für mich. ich hing noch sehr an meiner ES und dort wurde die krankheit von vorne bis hinten verdammt. jeder, der keine therapie machte, wurde ständig dazu genötigt. außerdem wollte ich endlich mal lesen, was andere essgestörte so essen. ich sehnte mich nach plänen, kalorienangaben, diättipps, usw, wollte wissen, womit andere abgenommen haben.deshalb habe ich mich nach so etwas umgeschaut.
ich möchte betonen, dass mich das proforum nie von meinen eigenen überzeugungen abgebracht hat. überhaupt wird dort wenig echt persönliches gesagt, es herrscht schon eine große angst, jemand könne sich angegriffen fühlen.
ich wollte damals wie jetzt die bulimie loswerden, habe abführmittel abgelehnt und die magersucht nur bis zu einem gewissen grad als gut angesehen. ich wollte es schaffen zu fasten - und endlich abnehmen, aber was manche mädels dort gemacht haben, fand ich einfach nur zu extrem. ich habe damals drogen befürwortet, um damit gewicht zu verlieren. das hat sich dann doch sehr geändert, im vergleich zu jetzt.
was ich zu deinen beobachtungen denke:
die leute scheinen völlig aneinander vorbeizu reden- alles ist süß, lieb und super, es gibt keinen tieferen kontakt.
das war bei uns nicht durchgehend so. es war wesentlich familiärer als HO, das hat mich dort auch besonders angesprochen. es gab auch "vernünftigere" mitglieder, die schon mal geschrieben haben, "pass auf", wenn ein mädel es übertrieben hat. bestätigt hat eigentlich keiner eine, die extrem ug war, aber die vernünftigen beiträge waren trotzdem sehr vorsichtig gehalten. schließlich durfte die ES ja nicht schlechtgeredet werden. es ging viel um schadensbegrenzung, vitamine, zahnpflege, was hilft den haaren, der haut, dem magen nach der tortur...
im nachhinein finde ich es albern. heute würde ich schreiben "iss einfach mal ein stück pute mit ner handvoll reis und einer handvoll gemüse, dann brauchst du nicht stundenlang zu fachsimpeln, welches vitamin b-präparat jetzt hochwertiger ist.
damals hätte ich das als angriff empfunden und total abgeblockt. deshalb fand ich das forum im nachhinein gar nicht so schlecht. immerhin habe ich diese leute - im gegensatz zu allen anders denkenden - an mich rangelassen. ich sag immer "you can't push a river" - und ohne deren tipps hätte ich heute vielleicht mehr gesundheitsschäden...?
wenn ihr kind eine ES hat, wird der jenige beschimpft und es wird ihm verständnislosigkeit unterstellt-
das haben wir nicht gemacht. wir haben derjenigen unsere sichtweise dargelegt, und oft hat die mutter ihr kind dadurch sogar etwas besser verstanden. weggejagt haben wir keinen, der ernsthaft was wissen wollte. nur offensive leute, die außer beschimpfungen nichts geschrieben haben.
dort kommt ganz offensichtlich soviel selbsthass und zwang rüber, es ist kaum auszuhalten
da muss ich dir recht geben. die kranken persönlichkeitszüge werden natürlich gehegt und gepflegt, eine weiterentwicklung zum gesunden denken wird ja nicht angeregt. es tut weh, immer wieder zu lesen, wie sich andere kaputtmachen. aber man hält es dort eben nur aus, wenn man in der phase ist, wo man genauso denkt, und deswegen fällt es einem wohl auch nicht so auf. das kranke daran, meine ich.
mir ist auch aufgefallen, dass es tatsächlich kein thema außer der es gibt. unterforen, die sich mit anderem beschäftigen, wurden kaum besucht. vielleicht noch ein bisschen was über mode, kosmetik, ein neues piercing oder so. aber richtige hobbys hatte keiner von uns, den platz hat eindeutig die ES innegehabt.
der renner waren bei uns damals übrigens zwei unterforen: das mit den kotztipps und das mit den hilfsmitteln medizinischer und drogentechnischer art, um abzunehmen, gerne auch illegales, hauptsache wirksam.
was mich wirklich auf die palme brachte, war das thera-forum. da schrieben die leute, wenn sie gegen ihren willen eine therapie machen mussten, wie sie ihre therapeuten belogen, die stunden mit ausreden schwänzten usw. so was habe ich noch nie verstanden. wenn ich was nicht will, dann lass ich es und koste meiner krankenversicherung nicht unnützes geld. ich hätte mich auch mit 13 zu keiner thera gegen meinen willen zwingen lassen, so was fand ich einfach nur als ausnützen der gesellschaft. jemand anders will gesund werden und findet keinen platz. aus dem thera-forum hab ich mich immer rausgehalten.
ich habe damals ein tagebuch im forum geschrieben, also eigentlich ein reines ess- und sporttagebuch, und ich habe es dann auch tatsächlich geschafft, die bulimie sein zu lassen, weil ich mit dem ansporn des forum abnehmen wollte und irgendwie haben nur die reinen msler ordentlich was abgenommen. ich habe mein ziel erreicht. im forum galt ich als musterbeispiel, weil ich nicht kotzte und keine afm genommen habe. aber wenn ich heute daran denke, wovon ich mich ernährt habe, um mein ziel in ein paar monaten auf biegen und brechen zu realisieren ... dann graust mir wirklich davor. das war alles andere als gesund, und es ist gefährlich, so etwas - im licht von noch viel krasseren anderen schicksalen - als gutes beispiel darzustellen.
ich kann nur hoffen, dass keiner heute mehr meine alten beiträge raussucht und meinen ach-so-tollen essplan nachmacht, weil man damit ja so schnell so und so viel abnehmen kann
aber wie gesagt, wie erreicht man leute, die in einem bestimmen stadium sind und alles andere abblocken? ich denke, es ist echt eine gratwanderung, einerseits ist das pro-forum ein kontakt zur außenwelt und eine auseinandersetzung mit der es, aber es führt ebenso zur isolation und zur fixierung auf die krankheit. was abgemildert fürs contra-forum leider auch gilt.