lus dienstagspredigt

#1
Von lu Am 29.05.2001

es ist einwenig befremdend, zu lesen und zu realisiern, daß man mit dem muster des eigenen verhaltens nicht alleine ist. seltsam, daß man doch himmel und erde in bewegung setzt, um es zu verbergen und sich dennoch wünscht es gäbe jemanden der verstünde oder ähnlich empfände. - alles widerspricht sich.
im grunde ist das was man tut nicht real. es kostet mich eine gewisse anstrengung und überwindung drüber nachzudenken. wenn man gegessen hat,... nunja, man weiß was man tut, aber dennoch setzt das eigentliche bewußtsein doch erst wieder dann ein, wenn man das bad verläßt, die tür hinter sich geschlossen hat und zurück in dem eigentlichen leben ist.
ich hatte nur vor einwenig (eher zögerlich und halbmotiviert) nach adressen zu schauen, an die ich mich (vielleicht, eventuell und nur wenn ich einen besonders guten tag erwischen sollte) wenden könnte, denn eines steht fest, man muß sich selbst bewegen und sich bewußt sein, daß man die verantwortung für das trägt was man sich antut.
auch wenn ich etwas ändern möchte, so bin ich noch unsicher über den weg. anstatt darüber zu schreiben wer ich bin, wieviel ich wiege und wie lange ich schon tue was wir wohl alle täglich praktizieren, möchte ich hier eher meine stärke wiederfinden. eine stärke, die jeder mensch hat, die vielleicht aus tausend gründen verschütt gegangen ist und der man einen weg zurück ins leben geben muß. es ist alles eine frage der haltung und auch wenn man noch so häufig von traurigkeit heimgesucht wird und sich müde mit allerlei ausreden (sich selbst und anderen gegenüber) davon abhält den eigenen zustand zu ändern, so ist es wichtig klar zu sehen und sich nicht aus der verantwortung herauszuwinden. ich empfinde es einwenig kompliziert über dererlei empfindungen zu schreiben, ohne pathetisch zu klingen. es ist dies auch mein erster versuch zu benennen was ist, denn darüber sprechen tue ich nicht. ...nicht weil es nichts zu sagen gäbe, sonderen eher aus unschlüssigkeit darüber, was ich damit bezweckte.
vor drei jahren habe ich es einem damals vermeintlich gutem freund gesagt.
...die beweggründe sind mir noch immer unklar.
es war vielleicht vielmehr ein vertrauensbeweis und gleichzeitig ein versuch dieses thema mehr in mein bewußtsein zu zerren, es als debatte in den raum zu stellen und dadurch, das es einen menschen gibt, der mir mehr als alles andere bedeutete und vor dem ich eben nicht als krank und schwach darstehen wollte, aufhören würde.
besonders vor den menschen, für die man innige zuneigung empfindet, möchte ich im grunde dieses spiel zwischen küche und wc verbergen. ich würde nicht wollen, daß mich jemand so sieht, sei es ein fremder, ein flüchtiger bekannter oder ein nahestehender freund.
seit damals hat sich nichts geändert, vielleicht nur soviel, als daß ich seit eben jenem abend nie wieder, weder mit ihm, noch mit einer anderen person darüber geredet habe und auch jetzt noch mit mir unschlüssig darüber bin, ob es überhaupt positiv ist, es jemandem mitzuteilen, der diese erfahrungen eben nicht kennt.
von zeit zu zeit würde ich es einer freundin gerne sagen (warum auch immer!?), aber... nunja, vielleicht würde ich mehr verlieren als gewinnen, ihr eher trauer bringen und doch kein verständnis finden und ihr eine verantwortung nahelegen, die ihr nicht zukommmt und der sie schlichtweg nicht gewachsen wäre.

ich hoffe das war nunmehr nicht allzu theatralisch, eben das, was mir gerade durch den kopf ging...
... und wer weiß, vielleicht ist dies doch die möglichkeit sich gegenseitig etwas unter die arme zu greifen und einander zu helfen den eigenen selbstwert wiederzuentdecken und sich sein selbstbewußtsein zurück zu erkämpfen.

man muß sich selbst der beste freund sein, ansonsten funktioniert es nicht.

lu

#2
Von Anna Am 31.05.2001

Hallo Lu!

Dein Beitrag hat mich sehr bewegt, primär wohl deshalb, da ich mich im Moment mit dem Gedanken spiele, einige in mein geheimes Leben einzuweihen. Ich habe so viele Freunde, aber trotzdem bin ich einsam. Einsam, weil ich mit den wichtigsten Menschen in meinem Leben nicht darüber sprechen kann, was mich wirklich bewegt, was mir am Herzen liegt, welche Ziele ich habe, wie schlecht ich mich oft fühle.

Aber wie soll ich es ihnen sagen? Was soll ich ihnen sagen, sehen sie mich danach nicht in einem ganz anderem Licht? Verliere ich durch mein Outing nicht mein Ansehen, werde ich dadurch zu einem schwachen, hilflosen Wesen, das unfähig ist, normal zu essen, das hemmungslos Lebensmittel in sich hineinstopft, um sie anschließend zu erbrechen? Und - bin ich das im Endeffekt nicht eh?

Es ist so schwierig, auf der einen Seite möchte ich die Isolation durchbrechen auf der anderen Seite fürchte ich die Konsequenzen.

Besonders akut ist das Thema, da ich im Sommer für zwei Monate zur stationären Therapie ins AKH gehe. Ich habe noch keine Ahnung wie ich das in der Firma kommunizieren soll geschweige denn meinen Freunden.

Aber ja, irgendwann, irgendwie ...
Anna

#3
Von lu Am 01.06.2001

dir anna,

selbst beim schreiben ist der beginn immer einwenig schwierig, besonders wenn man einander nicht wirklich kennt - abgesehen von der gewißheit, daß man einige gemeinsamkeiten im stillen teilt.

es ist bedauerlich, daß du meinst, du seist schwach und hilflos - das ist niemals der fall!
mich selbst verfolgen solche gedanken wahrscheinlich ähnlich häufig wie die meisten menschen, aber zu hören, daß ein anderer in diesen kategorien über sich denkt ist dennoch schwer zu verstehen und unerträglich. vielleicht ist es ein klassisches und weit verbreitetes verhalten, das uns für andere stark sein läßt, uns allerdings nicht dazu befähigt, für uns selbst ebensoviel stärke aufzubringen. wenn es darum geht für freunde dazusein, zuzuhören, darauf einzugehen was sie bewegt, ihnen vielleicht eine lästige oder unangenehme aufgabe abzunehmen usw. usf., dann ist das alles nicht wirklich ein problem.
wenn mir von freunden berichtet wird, daß sie selbstzweifel an ihrer person hegen, dann kann ich aus meiner tiefsten überzeugeung mit sicherheit bekunden daß es eine unumstößliche tatsache ist, daß es sich um eine trügerische illusion handelt, daß sie keinerlei grund haben, ihre liebenswürdigkeit und ihren selbstwert auch nur im geringsten in frage zu stellen.
die herausforderung die an uns gestellt wird ist daher wohl eher, daß man mit demselben selbstverständnis und derselben überzeugung das man anderen entgegenbringt, sich selbst begegnet. ich möchte dabei gewiß keine egozentrik proklamieren, sondern schlichtweg sagen, daß es vielleicht geradezu überlebensnotwendig ist, sich selbst anzunehmen und zu versuchen, die eigene freude nicht von anderen abhängig zu machen, sondern in sich selbst ein unerschütterliches vertrauen zu entwickeln, das es einem ermöglicht die eigenen vorstellungen zu entdecken und umzusetzten - und zwar eben ohne jene angst davor, was andere über einen denken, was das umfeld dazu meint, ob die familie und freunde es gut heißen oder nicht. ich denke, daß das wahrscheinlich sogar eher die lebensaufgabe an sich ist und das alle widrigkeiten denen wir begegnen uns peu á peu trainieren zu uns selbst zu stehen.

es ist gut zu hören, daß du im sommer ein therapie beginnen wirst. immerhin ist es ein erster schritt und ein definitives zeichen dafür, daß du mit dem jetzigen zustand unzufrieden bist und die kraft gefunden hast, es verändern zu wollen. du magst es vielleicht nicht so sehen und empfinden, aber auf mich wirkt es sehr willensstark, besonders auch dadurch, da du es anscheinend doch ganz alleine eingeleitet hast, daß du (falls ich dich recht verstehe) eben nicht durch freunde dazu aufgefordert wurdest, oder es dir wer auch immer abgenommen hat, dich zu informieren und diesen klinikaufenthalt zu organisieren. das aufstehen ist schwer, aber einmal das eis gebrochen wirst du bestimmt einen ganz eigenen weg finden der nur positiver sein kann, als der momentane.

was die sache mit freunden anbelangt, so ist es für mich wichtig, nach der motivation zu fragen; danach, was ich mir erhoffe, wünsche, was ich vielleicht fälschlicher weise erwarte. zur zeit ist es ein chaotischer mix von allen möglichen gedanken, die mir einerseits sagen, daß ich es eventuell mitteilen möchte, um quasi mein gewissen zu erleichtern, mich von dem druck des geheimhaltens zu befreien, andererseits auch, weil ich mir vielleicht mitgefühl erhoffe, aufmerksamkeit und einwenig liebevolle fürsorge. wie gesagt, ich sehe nicht klar was meine beweggründe anbelangt; bin mir jedoch insofern sicher, als daß ich nicht darüber sprechen werde, solange ich nicht weiß warum.
in den beiträgen der anderen, ist dieses "outing" durchweg immer ein thema und meistens damit gekoppelt, das wohl eine gemeinsame erfahrung war, daß sich die jeweiligen freunde früher oder später langsam verabschiedet haben. für mich - und auch vor dem hintergrund meiner eigenen erfahrung - sehen ich den grund dafür in jener unklarheit der eigenen motive.
als ich es damals dem erwähnten freund gesagt habe, war es aus dem affekt heraus. ich habe relativ unüberlegt gesprochen und wußte nicht wirklich was ich da eigentlich veranstalte. das resultat dieses jämmerlichen abends war, daß wir frage-und-antwort gespielt haben. er war fürchterlich verunsichert, war bestimmt guten willens verstehen zu wollen, wußte aber nicht wie mit diesem thema umzugehen; wie den schmalen grad zwischen interesse und takt zu meistern, ohne mir zu nahe zu treten aber auch ohne den anschein zu erwecken, daß ihn das reichlich wenig bewegt und er dererlei intimitäten vielleicht gar nicht wissen wolle. er hat recht vorsichtig gefragt seit wann ich so handeln würde; - danach fiel ihm schlichtweg nichts mehr ein. - mir auch nicht!
wir haben nach ein paar stotterern und peinlich langen pausen angestrengt über andere dinge geplaudert und versucht die beklemmung die wir beide empfunden haben, souverän zu überspielen.
....lange rede..... der punkt ist nur, daß ich denke, daß ich heutzutage versuchen würde dem anderen klarer gegenüber zu stehen. sicher würde es mich überwindung kosten es zur sprache zu bringen, aber ich für meinen teil möchte nicht wieder eine düstere botschaft verkünden, ohne dem anderen gleichzeitig eine möglichkeit aufzuzeigen um leichter zu reagieren.
der punkt für den anderen ist doch, daß man etwas mitgeteilt bekommt, was ungesehen immer da war und das doch automatisch die frage im raum steht,

"warum sagt sie es mir jetzt, warum nicht schon früher, warum überhaupt, und was soll ich damit anfangen?".

ich halte das nicht für fair, denn immerhin bin ich diejenige, die den zeitpunkt bestimmt; ich kann mich einwenig darauf einstellen, während es aus heiterem himmel über den anderen hereinbricht. für mich ist es in der sache an sich nicht leicht, aber für mein gegenüber definitiv auch nicht. - ich möchte bevor ich schließe zum schluß noch einmal ganz deutlich sagen, daß das meine sicht der dinge ist, das dieses und jenes für mich von bedeutung ist und das es vielleicht bei dir (wenn du dich entscheiden solltest dich jemandem in dieser form mitzuteilen) selbstverständlich auch einen ganz anderen weg einschlagen kann.

wahrscheinlich hast du noch tausend eigene gedanken dazu, siehst es anders, ähnlich, differenzierter....
....es wäre schön für mich darüber zu erfahren.

weißt du was du sagen würdest, worüber du gerne sprechen möchtest? - mir ist damals recht wenig eingefallen, denn mein mitteilungsdrang war relativ schnell erschöpft. es lag mir nicht daran über details zu plaudern und ich empfinde es auch jetzt noch einwenig befremdend, wenn ich in anderen berichten erfahre wie oft sie k.tz... - ich meine, geht es darum? ist es wichtig wann, wie oft oder was auch immer....?

wie gesagt, du hast vielleicht eine andere sicht der dinge...
wenn du magst,dann laß es mich wissen.

lu