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von salz.tropfen
Ich finde diesen Thread sehr interessant. Danke an den Threadersteller! Auch wenn ich mittlerweile unter die Ehemaligen zähle möchte ich dazu ein paar Gedanken loswerden. Vielleicht auch, um den ein, oder anderen zum Überlegen anzuregen.
Mein Beitrag ist ein Auszug aus einem Thread den ich vor zwei Tagen in einem gänzlich anderen Forum gepostet habe. Aber er erklärt gut wer ich momentan bin, oder eben auch nicht. Ich hoffe das ist so in Ordnung!?
Ich hatte vorhin einen seltsamen, aber doch so ergreifenden Gedanken, dass ich ihn einfach mal loswerden möchte.
Ich hatte das Gefühl wieder ich zu sein, für einen Moment, nur für ein paar Minuten. Das muss eigenartig klingen, aber ich möchte versuchen es zu erklären... und vielleicht möchte ich auch eine Antwort darauf finden, ob mich der alltägliche Shisha Genuss nur verblendet hat, oder ich tatsächlich eine andere bin...
Meine Verhaltensauffälligkeiten reichen in meine Kindheit zurück. Meine erste Depression kam schleichend etwa im Alter von 18, 19 Jahren. Ich war bis dahin ein sehr zielstrebiger Mensch, habe mit Leidenschaft Schlagzeug gespielt, gezeichnet, gelesen, bin Rad gefahren, bin auf Partys gegangen usw. Ein ganz normaler junger Erwachsener, meinetwegen auch noch Teenager eben.
Ich verfiel der Melancholie. Alles wurde schwieriger, ich wurde müde, des Lebens überdrüssig, verfiel von unbewusstem SVV in ein sehr bewusstes extremeres selbstverletzendes Verhalten, vertiefte eine bis dato nur sporadisch (und nicht wirklich als solche wahrgenommene) Essstörung und plagte mich mit Selbstmordgedanken bis hin zu einer Psychiatrieeinweisung. So weit so gut (oder schlecht).
In dieser Zeit lernte ich meinen jetzigen Mann kennen. Er half mir aus dem SVV und lehrte mich ein neues Essverhalten. Ich war ihm unendlich dankbar, begann zunächst aus einem gewissen Gefühl der Schuldigkeit heraus eine Beziehung und glaubte an so etwas wie Liebe. Es war ein anderes Gefühl, als das Verliebtsein das ich vorher kannte.
Wir kamen/kommen gut miteinander aus und ich möchte ihn sicher nicht in meinem Leben missen. Schließlich habe ich ihn auch geheiratet, kann ihn mir als Vater meiner Kinder vorstellen und schätze ihn als treuen, fürsorgenden Lebensgefährten.
Jedenfalls überkam mich bereits im ersten Jahr unserer Beziehung das starke Gefühl niemand mehr zu sein. Keine eigene Persönlichkeit mehr zu haben. Ich kann schlecht erklären was ich meine, ich muss das einfach so stehen lassen und auf Verständnis hoffen. Ich gab das SVV auf, nicht mir, sondern ihm zuliebe. Ich as, nicht mir, sondern ihm zuliebe. Ich ging auf Partys, nicht mir, sondern ihm zuliebe (Partys waren, wie auch alles andere nur noch anstrengend für mich). Kurz: Ich arbeitete auf ein neues Leben hin, weil er da war. Weil ich in ihm eine Chance auf das neue Leben sah, dass man sich so auf dem Weg zur Normalität erhofft. Es war ungelogen ein erbitterter Kampf gegen mich selbst und unglaublich kräftezehrend. Ich konnte ihm keine Vorwürfe machen, schließlich began die Depression schon vor seiner Zeit und er wollte nur das Beste für mich. Aber vielleicht haben wir beide nicht erkannt, dass es das evtl. gar nicht war.
Nachdem die härteste Arbeit getan war und ich ein normales Leben führte (Arbeit usw.) verschwanden die Grübeleien über das Fehlen meiner eigenen Person..., ich dachte gar nicht weiter darüber nach. Mein Leben lief/läuft wie man es von einem guten Bürger erwartet. Die Rechnungen werden pünktlich bezahlt, keine Schulden, ein hochgelobter Kollege, ein gute Hausfrau, eine brave Ehefrau. Das Leben zwischen den Verpflichtungen... Müdigkeit, ums Haustier kümmern, ein bisschen Internet, sonst nichts... Machnmal noch der Gedanke ans Zeichnen, selten ein Buch in der Hand, das Schlagzeug längtst verstaubt auf dem Dachboden, kein Elan mehr für irgendwas..., einfach nur abgekämpft vom "Gute-Mensch-Dasein".
Bis vorhin...
Mein Mann ist fort, nur für zwei Tage. Da ich heute Spätschicht hatte, habe ich ihn heute nicht mehr angetroffen und mir spaßenshalber einen alten Anime aus Jugendzeiten angesehen (eine meiner Lieblingsanimes zu "guten Zeiten"). Mein Mann sieht sich so etwas nicht an, deshalb dachte ich, ich könnte die Zeit nutzen. Ich habe dabei innerlich soviel Glück verspürt wie lange nicht. Ich dachte darüber nach was ich morgen alles tun könnte, was schönes malen, mal wieder Rad fahren usw. ... Ob es nur der Shisha Qualm war (der macht mich ein bisschen duselig im Kopf)?
Was wäre wenn? Was, wenn ich wieder Zeit für mich in Anspruch nehme, nicht mehr Tag ein Tag aus neben meinem Mann sitze, sondern allein was unternehme? Ich muss dazu sagen, dass ich mit meinem Mann 500km allein fernab von Freunden und Familie wohne. Weder er, noch ich haben hier Freunde gefunden und wir sind gewissermaßen auf uns angewiesen. Er hat keine Hobbies, zockt höchstens mal am PC und sieht viel fern. An Sport hat er gar kein Interesse und die Gegend hier gibt sonst nicht viel für gemeinsame Unternehmungen her. Daher getraue ich mich nicht ihn allein zu lassen. Er neigt so schon dazu Trübsal zu blasen, wenn ihm die Decke auf den Kopf fällt.
Besteht ein Funke Hoffnung, dass ich doch noch jemand hinter der Fassade bin, die ich mal als Normal-Mensch bezeichnen will (die nur durch ab und zu auftretende negative Aussetzer Risse bekommt)? Das noch eine Frau, vielleicht auch ein Mädchen in mir steckt dass ich vergessen, oder verleugnet habe, weil es zuviel Kraft kostet alles zu sein, Ehefrau, Arbeitstier und Mensch? Besteht eine Möglichkeit, wenn dem so wäre, alles unter einen Hut zu bekommen?
Im Großen und Ganzen zeigt dieser Ausschnitt, dass ich sehr wohl jemand war und mich auf der Suche zurück nach diesem "Ich" befinde. Ich habe über Jahre hinweg begriffen, dass kein selbstschädigendes Verhalten, keine Essstörung, kein Rückzug in die Einsamkeit, aber auch kein angepasstes, scheinbar normales Leben der Weg zum Glück ist.
Ich möchte zu meinen Wurzeln zurückfinden, meine früheren Interessen aufleben lassen und all die Erfahrung die ich im Anschluss gesammelt habe einfließen lassen, um weitere Fehler zu vermeiden.
lg, Kamikatze
Bei jeder Liebe ist das Spannendste der Beginn. Aber das Schönste ist, wenn die Versprechen des Anfangs eingelöst werden. [Ernst Reinhardt]