Finde es wirklich gut, dass du dich entschieden hast, nur noch 50.000 Bücher für deine Arbeit zu lesen, und nicht mehr die 100.000. Ich denke sogar, dass es manchmal einfach besser ist, wenn man sich auf eine gute klare Struktur und Ausarbeitung festlegt und dafür vielleicht auf ein bisschen Detailwissen verzichtet, nicht versucht noch mehr Wissen und Verständnis anzuhäufen, und die Arbeit damit argumentativ und strukturell klarer und stromlinienförmiger macht. Es kann sein, dass ich vollkommen falsch liege, bin ja keine Geisteswissenschaftlerin, jedoch habe ich das in meinem sehr guten Geschichts- und Politikleistungskurs so verstanden.

Zweitens begrüße ich die Entscheidung auch, weil du so, so lese ich es, nicht mehr versuchst deine 110% zu erreichen, sondern dich auch mit etwas weniger, was überhaupt nicht schlechter ist, zufrieden gibst. Ich denke, dass das etwas ist, was wir hier alle mehr oder weniger lernen sollten.
Für meinen Teil bin ich in meinem Studium schon sehr damit zufrieden, wenn ich meine 75% erreiche. Für meine 100% müsste ich nämlich alles verstehen, durchblicken und dafür brennen, das kann ich mir abschminken, da es dafür, für mich, viel zuviel Stoff ist, den ich in zu kurzer Zeit verarbeiten muss, wenn ich dreimal soviel Zeit hätte, wäre das wohl möglich.
Ich erwarte von mir nur noch 100% (mein Anspruch), wenn ich aus dem Stand schon 85% habe. Das ist der Fall, wenn ich kreativ bin und an einem Text, einem Romankapitel arbeite. Da ist das kein Problem, da fließt alles, ist alles da.
(Das soll und darf nicht arrogant klingen; aber ich habe oft das Gefühl in einer Gesellschaft zu leben, in der man sich dafür entschuldigen muss, dass man etwas gut kann. Für ein sehr gutes Abitur, einen guten Studienplatz, eine gute Arbeit.)
Wollte damit darstellen, dass ich das als sehr gut, sehr bewundernswert, erstrebenswert erachte, wie du das machst.
Die Metapher der Rosen und Nesteln, verstehe mich nicht falsch, ich möchte dich nicht verletzen und auch keine vorschnellen, unangemessenen Urteile abgeben, aber ich habe den Eindruck, dass es dir schwer fällt dich selbst als Rose zu betrachten, dass du immer wieder damit haderst, dich vor dir selbst rechtfertigst, dass du so bist, wie du bist, dass du es eben nur so machst.
Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Nicht vor dir selbst, vor niemandem. Du machst es gut so, du machst alles, was in deinen Möglichkeiten und Fähigkeiten liegt. Niemand macht in deiner Position eine bessere Figur als Du.
Persönlich habe ich die Erfahrung gemacht, dass das, was man ausstrahlt (das, was man wirklich ausstrahlt – Überzeugungen, Erfahrung) einen großen Einfluss darauf hat, wie man gesehen und behandelt wird. Wenn du ausstrahlst, dass du überzeugt davon bist eine Rose zu sein, dann wirst du auch wie eine Rose behandelt.
Das ist ein langer Weg, und ich kann von mir auch noch nicht sagen, dass ich da angekommen bin, wo ich sein möchte, wo ich letztlich hin will. Und es ist auch tagesformabhängig, manchmal bin ich die verstörte schüchterne Dreizehnjährige, die ich verkörpere, wenn ich ungeschminkt in weiten Pullovern und Jacken auf die Straße gehe, oft bin ich die selbstbewusste junge Frau, die auch in der Lage ist locker und frei vor einer Gruppe zu sprechen, in der alle mindestens doppelt so alt sind wie sie.
Wir sind das, was wir aus uns machen. Das, was wir ausstrahlen.
Ich möchte nicht sagen, dass es deine Schuld ist, wenn du so behandelt wirst, das möchte ich nur unterstreichen. Ich möchte nur sagen, dass unser Auftreten auch einen großen Anteil daran hat wie andere uns sehen, wie wir behandelt werden.

So. Ich habe vieles davon auch für mich selbst geschrieben, aber vielleicht kannst du meine liebe Laona ja damit auch etwas anfangen. Und herzlichen Glückwunsch nachträglich.

Deine Colourful