ich verfolge seit über 4 Jahren einige Beiträge mehr oder weniger regelmäßig, eher passiv allerdings.
Ich weiß, wie viel einem die Gedanken anderer helfen können, besonders, um sich verstanden zu fühlen und um neuen Mut zu fassen, wenn die eigene Situation besonders ausweglos scheint. Deshalb will ich an dieser Stelle einen kleinen Teil an dieses Forum zurückgeben, was es mir schon gegeben hat.
Die Hoffnung auf das "Morgen"
Bestimmt kennt jeder das Gefühl. Heute war ein schlechter Tag - aber morgen, morgen wird alles ganz, ganz anders.
Voll Erwartung und Anspruch an den morgigen Tag und besonders an sich selbst, in der Hoffnung, "morgen" kommt die endgültige Kehrtwende auf der (scheinbaren) Einbahnstraße "ES", geht man schlafen.
Neuer Tag, neues Glück, doch wie immer läuft nicht alles perfekt. Irgendetwas gibt es immer.
Enttäuschung, Angst und Wut (am meisten auf mich selbst) lähmen mich und lassen mich keinen klaren Gedanken fassen. Alle guten Vorsätze, alle schlauen Sprüche und Gedanken von gestern sind auf einmal wieder ganz weit weg.
Ich merke, wie die ES ihre langen dünnen Finger nach mir ausstreckt. Mich fest an sich heranzieht und mir vielversprechende Dinge ins Ohr flüstert. Es ist wie eine Hassliebe. Ich weiß, dass es nicht mit ihr geht, aber ohne sie geht es eben auch (noch) nicht.
Mein Körpergefühl: Subjektiv, tagesabhängig und schwankend wie ein Grashalm im Wind. Ich will davonlaufen, vor meinen Problemen, Selbstzweifeln und schlechten Gefühlen. Will mich verstecken. Einfach die Decke über den Kopf ziehen. Einfach nur dünn sein. "Um dann endlich sorgenfrei und glücklich zu leben..." Und so dem eigentlichen Problem aus dem Weg zu gehen.
Es ist paradox. Ich bin süchtig nach dem, was ich mir am meisten verbiete. Essen. Besonders Zucker. Er verspricht mir so viel. Er gibt mir (scheinbar) Halt, Kraft, einen Grund. Nicht zu lernen. Keinen Sport zu machen. Nichts schaffen zu können.
Süßes macht, dass es aufhört. Mein Selbsthass. Meine Unsicherheit. Mein Gedankenkarussell. Alles schlechte. Aufhört zu existieren. Zumindest für den Moment. Verantwortung, Verpflichtung, Vernunft, das schlechte Gewissen, Angst.
Alles ist wie weggeblasen, sobald meine Zungenspitze den Zucker spürt und mir vor Vorfreude das Wasser im Mund zusammenläuft.
"Warum???" - fragt mich eine kleine Stimme, und erst später bemerke ich, dass es nicht meine eigene ist, sondern die der ES. "Warum um alles in der Welt solltest du JEMALS auf dieses unbeschreiblich gute Gefühl verzichten wollen!?"
Meine Gegenargumente sind schwach, und schließlich werde ich es selbst.
Am Ende bin ich wieder allein. Mit dem elenden Gefühl, nicht "stark" genug gewesen zu sein. Morgen, denke ich, und unmerklich schrumpft das Vertrauen und der Glaube an mich selbst wieder ein bisschen mehr.
Bestimmt kennt der ein oder andere das. Dieses mächtige, starke Verlangen nach dem wundervollen Gefühl, dass dir Essen gibt.
Man glaubt nicht, dass es etwas anderes geben könnte, das einem ähnlich große Freude bereitet.
Natürlich weißt du (in der Theorie zumindest), dass das nicht stimmt. Essen ist nicht das einzige, das einem ein gutes Gefühl gibt. Doch es ist einfach, zu essen. Der Aufwand und die Energie, die man in diese Tätigkeit stecken muss, ist gering! Ich weiß das.
Ich weiß, wie schwer es ist, sich bei einem anbahnenden Essanfall zurückzuhalten und stattdessen eine halbe Stunde spazieren zu gehen. Ich weiß das. Ich weiß, dass der Aufwand, sich wohl zu fühlen, bei vielen Alternativen viel größer ist.
Aber der Ertrag ist unendlich größer!
Denk in kleinen Schritten! Nimm dir nicht zu viel auf einmal vor, so überforderst du dich sehr leicht. (!! Frust- und Scheitergefahr!!)
Denke nicht, dass die ES über Nacht weggeht und dann nie wieder kommt. Denke nicht, dass du deine Einstellung und deine Verhaltensweisen ändern kannst. (Schließlich hat sich alles auch nicht über Nacht entwickelt!)
Und ganz ganz wichtig!!! Das hat ABSOLUT, ich wiederhole ABSOLUT NICHTS mit Durchhaltevermögen und innerer Stärke zu tun. Ich verwechsle das auch häufig. Es ist schlicht ein Zeichen dafür, dass du noch nicht so weit bist, bzw. noch nicht den richtigen Weg für dich gefunden hast. Hattest du wieder einen Essanfall? Gut! Überlege dir, was dazu geführt haben könnte. Denke viel darüber nach, und versuche nicht, die ES bzw. die Gedanken daran zu verdrängen. Eine ES ist keine Schwäche!! Sie ist eine Chance! Eine Chance, die dir hilft zu lernen, besser auf dich zu achten. Früher oder später wärst du an deinen Verhaltensmustern kaputt gegangen! Die ES ist eine Krankheit, aber kein Todesurteil. Im Gegenteil! Sie macht dich stark. Sie lässt dich an ihr wachsen.
Sie hilft dir, DICH selbst kennenzulernen und herauszufinden, was DIR persönlich gut tut und was DIR wichtig ist.
Der Aufwand ist anfangs(!) enorm! Ich weiß das. Das Gefühl von Kontrollverlust, von Machtlosigkeit und Schwäche lähmt so so sehr. Die Angst zu scheitern ist immer da. Aber der Aufwand lohnt sich.
Es gibt so viele andere Dinge, die dir ein ähnliches Gefühl wie Essen geben. Beim Essen werden DIESELBEN Gehirnregionen angesprochen wie beispielsweise beim Singen. (Sex auch, aber ich weiß, dass der einfach keinen Spaß macht, wenn das eigene Körpergefühl besch**ssen ist!)
Musik hören, besser noch Musik machen, malen, lesen, tanzen, schreiben, sich bewegen (auf welche Art auch immer - achte darauf, dass dabei nicht das Abnehmen im Vordergrund steht, sondern der Spaß und das Wohlfühlen. Ich fahre z.B. gerne Fahrrad, da ist man leicht gebeugt, die Beine berühren sich nicht und der Bauch wird nicht zusammengedrückt. Beim Schwimmen wiederum trägt das Wasser dein Körpergewicht, und du siehst dich nicht selbst. Ich denke, du verstehst, was ich meine.)
Ein Hörspiel hören, schlafen. Oft esse ich, weil ich eigentlich müde bin. Schlafen statt essen wirkt manchmal Wunder. Höre in dich hinein, und spüre, wenn du erschöpft bist. Gönn es dir, zu schlafen!
Es können die einfachsten Dinge sein, die dich glücklich machen und nichts mit Essen zu tun haben.
Finde heraus, was zu dir passt, was du gerne magst. Wichtig auch: Dabei gibt es kein Richtig und Falsch! Worauf DU gerade Lust hast, das solltest du tun! Und zwar GENAU das. Jeder, der das nicht versteht, ist vielleicht zum jetzigen Zeitpunkt nicht gut für dich und sollte keine Entscheidungsgewalt über dich haben.
Ich will nochmal erwähnen: Man kann noch so viel darüber nachdenken, im "Hätte, Wäre, Könnte" schwelgen. Ich weiß, wie schwer es ist, aus alten Gewohnheiten auszubrechen. Aber es ist nicht unmöglich. Wirklich nicht. Sehe die ES nicht als Strafe, sondern als Chance. Vielleicht hättest du später eine andere Krankheit bekommen, wäre das nicht passiert. Burn-Out, Depression und übermäßiger Konsum verschiedenster Dinge sind im Prinzip wie die ES Arten, auf die dein Körper und deine Seele dir sagen wollen, dass dir etwas an deinem jetzigen Lebensstil nicht gut tut.
Also nicht verzweifeln!
Du schafft das, früher oder später!
Ich wünsche dir, der/die du diesen Text gelesen hast, das allerbeste und die Kraft, das Essen nicht als einzigen "Ausweg" aus dem Alltag und als Betäubung aller schlimmen Gefühle sehen lernt! Und die Kraft und den Mut, aus den alten Denkmustern auszubrechen.
Bei Fragen und Anregungen kannst du dich sehr gerne bei mir melden oder das hier kommentieren, ich freue mich über jede Anregung!
Liebe Grüße und viel Kraft,
Laura
