Hallo Schlafquala,
vielen Dank für deine ehrliche Antwort.

Ich möchte dazu gerne Stellung nehmen. Nicht um deinen Standpunkt zu widerlegen, sondern um meinen eigenen besser verständlich zu machen. Ich schreibe jetzt einfach mal deine zentralen Punkte heraus und äußere mich dazu. Dieser Beitrag wird sehr lang, dafür entschuldige ich mich.
1. Achte auf dich, opfere dich nicht für sie auf.
Selbstverständlich bin ich nicht Mutter Theresa. Ich tue das, was ich hier in diesem Forum tue, damit ich eine stabile und angenehme Beziehung mit der Frau führen kann, die ich will. Und weil ich mich in sie verliebt habe, möchte ich nicht mit ansehen, wie sie eines Tages einen eventuell denkbaren Rückfall bekommt. Noch weniger möchte ich durch mein eigenes unprofessionelles Verhalten dazu beitragen, dass so ein Rückfall in irgendeiner Form begünstigt würde. Und last but not least möchte ich sie natürlich auch nicht mit Dingen aus ihrer Vergangenheit unnötig belasten.
Was mich selbst angeht, hilft dir vielleicht eine Info zu mir: Ich habe eine ca. 10-jährige Mobbinggeschichte hinter mir. Das fing in der zweiten Klasse der Grundschule an, und hörte erst mit dem Eintritt in die gymnasiale Oberstufe auf. Das bedeutet, ich war von ca. 7-17 Jahren Mobbingopfer, und zwar stadtbekanntes Mobbingopfer erster Güteklasse. Bespucken? Beleidigen? Schubsen? Schlagen? Treten? Bedrohen? Fahrradreifen zerstechen? Klamotten unter der Dusche eiskalt nassmachen? Sportschuhe aufs Dach schmeißen? Auf dem Nachhauseweg verfolgen, und im Falle des erfolgreichen Einholens, umzingeln und schlagen? Psychoterror inkl. Telefonanrufen und Klingelstreichen nachts um 2 Uhr? Freunde, was ist das, kann man das essen? Beziehung, ist das eine seltene Ameisenart Nordafrikas? Liebe, Zärtlichkeiten und Küssen, wo steht das im Lexikon bitte? Kein Mensch hat sich, mit einer einzigen Ausnahme, je für mich interessiert. Die Ausnahme war mein bester Kumpel, der ebenfalls stadtbekannter Außenseiter war, und somit hingen wir dann fast täglich zu zweit herum. Wäre das nicht passiert, bin ich mir ziemlich sicher, dass ich heute hier nicht mehr sitzen und euch diesen Text schreiben würde. Ach, und als Dankeschön hat mir besagter "bester Kumpel" dann einige Jahre nach dem Ende meiner Außenseiterzeit meine erste Freundin (ca. 4 Jahre Beziehung) ausgespannt, alle meine/unsere Freunde gegen mich aufgehetzt, und ich war wieder komplett allein gewesen.
Mein Selbstbewusstsein war auf null. Mein Körperbild war das, dass ich hässlich sei. Kein Wunder, wenn einem genau das immer alle einreden. Ich war innerlich gebrochen und habe neun Monate gebraucht, um mich von alledem zu erholen. Neun Monate, die ich in Einsamkeit in meinem Zimmer auf dem Dachboden meiner Eltern gesessen habe, während diese im Erdgeschoss fleißig ihrem Alkoholismus frönten. Meine Mutter, mein Vater, und mein Stiefvater hatten/haben alle ein Alkoholproblem - "hatten" schreibe ich deswegen, weil mein Vater letztes Jahr bereits verstorben ist, nachdem er angeblick ca. 20 Jahre trocken gewesen sei. Beim Ausräumen der Wohnung fanden wir dann ein Chaos vor, und natürlich halbleere Cognacflaschen direkt am Sofa.
Versteh mich nicht falsch, ich will hier nicht den getroffenen Hund markieren. Ich will dir nur zeigen, dass ich nicht einer von den Glücklichen bin, die eine schöne Kindheit und Jugendzeit gehabt haben und nun aus all dem Überfluss von Glück heraus das arme hässliche Entlein retten wollen. Nein, im Gegenteil: Ich weiß selbst nur allzu gut, wie es sich anfühlt, über sich selbst als "wertlos" zu denken, und den eigenen Körper für hässlich zu halten und ihn vielleicht sogar zu hassen. Wenn ich mit meiner vielleicht-demnächst-Freundin schreibe oder rede, dann erinnert sie mich nur allzu oft an mich selbst, und ich möchte ihr dann einfach nur so gerne zeigen, dass es einen besseren Weg gibt. Einen Weg, wo man sich selbst voll und ganz akzeptiert, wo man in den Spiegel guckt und sich attraktiv findet, und wo man stark geworden ist, ohne dabei auf die Fülle an reichhaltigen Emotionen verzichten zu müssen, die einem Mutter Natur mitgegeben hat.
Ich habe, als ich besagte Frau kennengelernt habe, diese aus Versehen mit meinem anscheinend starken Selbstbewusstsein verschreckt. Ich konnte nicht glauben, was ich las, als sie mir das geschrieben hat. Ich soll überaus selbstbewusst auf andere Menschen wirken? Ich, das kleine, schwächliche, zerbrechliche Ding? Als sie mir das gesagt hat, wurde mir erst einmal bewusst, wie weit ich in den vergangenen Jahren gekommen bin. Sie ist, soweit ich das erkennen kann, eine wundervolle Frau. Ich möchte ihr gerne zeigen, wie es ist, selbstbewusster zu sein und ein positiveres Selbstbild zu entwickeln.
Darüber vergesse ich aber nicht mich selbst. Daher vielen Dank für deine Warnung, aber ich schätze, ich habe in den vergangenen 6 Jahren gelernt, wie man die Balance zwischen den eigenen Bedürfnissen und den Bedürfnissen anderer Menschen, die einem nahe stehen, hält. Mir ist aber bewusst, dass das längst nicht alle können, deshalb danke.
2. Lass sie in Ruhe. Die Bulimie ist ihre Krankheit, ihr Geheimnis.
Würdest du einen Menschen, der nach einem Autounfall im Graben liegt, verbluten lassen? Selbst dann, wenn er dir sagt, dass er deine Hilfe nicht will, würdest du trotzdem versuchen, ihm zu helfen. Und warum? Weil du genau weißt, dass es das Richtige ist, so zu handeln.
(Das wäre das Beispiel für eine akute Bulimie. Okay, die liegt hier nicht mehr vor. Dann neues Beispiel.)
Würdest du einen Menschen, der stets ohne Sicherheitsgurt in einem Auto, das keinen TüV mehr bekommen hat, fährt, einfach so fahren lassen? Oder würdest du nicht versuchen, ihm dieses Problem langsam und vorsichtig bewusst zu machen? Ihn fragen, ob er findet, dass das Auto noch verkehrssicher ist? Ihn fragen, ob es ein Problem mit dem Gurt gibt?
Mehr noch...würdest du diesem Menschen, wenn es dir möglich ist und wenn du auf wiederholte Blockaden/Ablehnungen stößt, nicht sogar anbieten, einen Termin beim TüV für ihn zu machen? Würdest du ihn nicht mal "zufällig", bevor er zum Einkaufen fährt, zum Auto begleiten, und darauf achten, dass er sich anschnallt? Und falls du sogar gute
social skills hast: Würdest du ihn nicht in ein freundliches Gespräch verwickeln, seinen Einkaufskorb wie selbstverständlich in den Kofferaum stellen, ganz nebenbei das abgefallene Kabel vom Rücklicht in einem unbeobachteten Moment wieder anschließen, zur Tür gehen, den Menschen sich auf den Fahrersitz setzen lassen, und dann elegant während einer Abschiedsumarmung den Sicherheitsgurt einklicken, bevor du lächelnd und winkend die Fahrertür schließt?
Mal angenommen, du würdest das zehnmal nacheinander machen - würdest du glauben, das bliebe ohne Effekt (vorausgesetzt, du würdest langsam verstehen,
warum dieser Mensch sein Auto verrotten ließ, und
warum er keinen Wert auf seine eigene Sicherheit legt)?
Angenommen, diese Vorgänge würden dich nur wenig deiner Zeit kosten. Wäre deine Motivation nicht hoch genug, es zu tun?
Jetzt nehmen wir mal an, es handele sich bei diesem Menschen jeweils nicht um irgendeinen Wildfremden, sondern um einen Menschen, der dir wie auch immer nahe steht. Würde das nicht dein Bedürfnis, die jeweilige Handlung auszuführen, noch einmal vervielfachen?
Du weißt nicht, ob dieser geliebte Mensch jemals einen tödlichen Autounfall mit dieser alten Klapperkiste haben wird, in der er nicht angeschnallt mit Tempo 100 über die Landstraße brettert. Er ist die letzten vier Jahre unfallfrei gefahren. Es ist dir völlig unbekannt, ob ein Unfall passieren wird, und wenn ja, wann. Und wie schwer die Verletzungen dann sein werden, ob nur leicht verletzt oder tödlich. Es ist ein Spiel mit der Statistik. Vielleicht passiert ein Unfall schon heute oder morgen, vielleicht erst in einem Monat, vielleicht in einem Jahr, vielleicht gar nicht.
Der Punkt ist: Du hast relativ einfache Möglichkeiten, um diesem Menschen zu helfen, der dir viel bedeutet. Egal ob er diese Hilfe am Anfang annimmt, du weißt, dass es das Richtige ist. Du weißt, dass ein Unfall nur vom Fahrer verhindert werden kann, und nicht von dir. Du weißt auch, dass es manchmal sogar Unfälle gibt, wo nicht einmal der Fahrer ihn hätte verhindern können. Trotzdem: Würdest du das Risiko eingehen, diesen geliebten Menschen in einer alten Klapperkiste mit abgelaufenem TüV unangeschnallt herumfahren zu lassen?
Würdest du?
Die Nachbarn werden vielleicht sagen: Lass ihn/sie einfach in Ruhe. Es ist nicht dein Leben. Es ist nicht dein Auto. Dieser Mensch ist erwachsen, er muss selbst wissen, was er tut. Lass dich nicht in die Probleme dieses Menschen verwickeln. Man kann nicht allen helfen. Du weißt ja gar nicht, ob es einen Unfall geben wird. Und wenn, dann kann ihn nur die Person am Steuer verhindern, nicht du. Also, was soll's: Lass diesen Menschen doch in seiner Klapperkiste herumfahren! Lass ihn in Ruhe, dann fühlt er/sie sich wohler!
Ich weiß nicht, wie es euch geht, liebe Leser...aber ich würde mich verdammt blöd dabei fühlen, eines Tages von der Polizei den Anruf zu bekommen, dass dieser Mensch bei einem schweren Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Mehr noch, ich würde mir höchstwahrscheinlich für den Rest meines Lebens Vorwürfe machen. Und vielleicht, ich sage nur vielleicht, würde das Leben dieser zwei Menschen besser verlaufen sein, wenn einer von ihnen sich auch nur ein einziges verdammtes Mal Gedanken darüber gemacht hätte, welche psychologischen Hintergründe das Problem hat, vielleicht auch im Austausch mit anderen rostiges-Auto-Fahrern ohne Sicherheitsgurte.
Ich tue das, und ich tue das selbst dann, wenn dieser geliebte Mensch nur ungern über Verkehr, Verkehrssicherheit, Autos, Führerschein, TüV-Besuche, usw. redet und sich auch nur sehr ungern anschnallt. Ich weiß, es ist nicht mein Auto. Ich weiß, ich bin nicht der Fahrer. Ich weiß, es ist nicht abzusehen, ob es jemals einen Unfall geben wird, und ob der tödlich verläuft oder nicht. Aber ich sehe zweifelsfrei, dass da ein Problem existiert, das irgendwann mal gefährlich akut werden kann. Deshalb würde ich gerne liebevoll darauf hinarbeiten, wie man besagten Menschen dazu bringt sich ein neues Auto zu kaufen und sich in Zukunft anzuschnallen.
Aus der 1000-seitigen Bedienungsanleitung des rostigen Ford Fiesta Bj. 1992 werde ich nur leider nicht schlau. Aus dem psychotherapeutischen Handbuch über Menschen mit Verkehrs- und Anschnallängsten auch nicht. Da muss ich schon mit Leuten reden, die selber rostige Autos fahren, selbst wenn die selber auch nur ungern darüber reden mögen.
3. Sie ist ein Mensch, und nicht nur Ex-Bulimikerin.
An diesem Punkt stimme ich dir natürlich 100%-ig zu. Etwas anderes habe ich auch nie behauptet (falls doch eine Textstelle missverständlich gewesen sein sollte, entschuldigt dies bitte). Ich sehe besagte Frau als Mensch, nicht als Ex-Bulimikerin.
Ich bin mir allerdings natürlich darüber im Klaren - und muss das auch sein, falls ich eine Beziehung mit ihr eingehen sollte -, dass sie ein Mensch mit einer vierjährigen bulimischen Vergangenheit ist. Das hinterlässt zweifellos Spuren, wie mir auch die Beiträge hier im Forum zeigen. Manche Quellen (z.B.
diese) sprechen von mind. 30% Rückfallquote. Ich kann davor nicht die Augen verschließen, das wäre idiotisch von mir (und obendrein auch noch ziemlich ignorant).
Ich sehe meine Kommilitonin an der Uni also selbstverständlich als Mensch, aber halt als Mensch mit bulimischer Vergangenheit. Und genau deswegen finde ich es wichtig, diese Vergangenheit möglichst gut zu verstehen. Einerseits, um die Gefahr eines Rückfalls zu verringern, und andererseits, um gewisse Verhaltensmerkmale und Denkweisen von ihr besser verstehen zu können.
Natürlich könnte ich sie das alles auch einfach selbst fragen, insb. weil die Bulimie so individuell verläuft. Aber ganz ehrlich, geh mal einen Moment in dich: Würdest du das wollen, wenn es um dich ginge? Dass der Typ, mit dem du noch nicht einmal zusammen bist, ankommt und intime Fragen über deine (bereits abgeschlossene) Bulimie stellt? So dass dir im schlimmsten Fall danach alles wieder hochkommt, wenn du alleine bist? (schlimmstenfalls im wahrsten Sinne des Wortes)
Ich habe schlicht und ergreifend nicht das Recht, sie zu fragen. Schon dreimal gar nicht jetzt an diesem frühen Zeitpunkt unseres Kennenlernens. Deshalb bin ich auf das angewiesen, was mir Infotexte (bereits gelesen) und die Mitglieder dieses Forums bieten. Und nur Letztere haben das tatsächliche "Insiderwissen", die vielen Details, die zu einem
wirklichen Verständnis dieser Essstörung m.E. nötig sind.
4. Wieso willst du alles so genau wissen?
Einerseits sollte an diesem Punkt nun verständlich sein, warum es mir ein Anliegen ist, die bulimische Vergangenheit meiner Kommilitonin besser zu verstehen. Andererseits sollte klar sein, dass ich ein extremes Problem damit habe, da ich mangels eigener bulimischer Erfahrungen nicht über das Level eines Sachtextes hinauskomme.
Ich habe ein normales Essverhalten. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sich eine Bulimie anfühlt. Wenn ich Hunger habe, esse ich, bis ich satt bin. Dann fühle ich ein Sättigungsgefühl und höre auf, zu essen. Nach dem Essen fühle ich mich zwar voll, aber habe absolut keinen Drang, mein Essen wieder loszuwerden. Die Vorstellung, nach dem Essen ein künstliches Erbrechen herbeizuführen, wirkt für mich fremd und unverständlich. Ich habe viele Texte über Bulimie gelesen, und verstehe zwar, was der grundlegende Gedankengang/Mechanismus dahinter ist; aber ich habe absolut kein Vorstellungsvermögen, wie sich das aus subjektiver Sicht anfühlt. Welche Gedanken und Gefühle einem durch den Kopf, durch das Herz und durch den Magen gehen. Texte und Bücher können mir das nicht vermitteln, sondern nur die Kommunikation mit Betroffenen selbst. Was natürlich voraussetzt, dass meine Fragen nicht zu dreist sind und ihr bereit seid, in der Anonymität dieses Forums zu antworten.
Mir fehlt einfach das grundlegende Verständnis, wie ein Bulimiker denkt und fühlt. Im Detail - nicht in den viel zu allgemeinen Texten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Denn nur das Detail lässt mich wirklich verstehen.
5. Du kannst einen Rückfall nicht verhindern. Das kann nur sie selbst.
Der letzte Punkt, und auch der, auf den ich am ausführlichsten eingehen möchte.
Im Prinzip stimmt dein Gedankengang nämlich! Ich kann das nicht, sondern nur sie selbst.
Ich kann aber das Zweitbeste tun: Ich kann die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, die sie dabei unterstützen, dauerhaft clean zu bleiben. Ich bin davon überzeugt, dass sich das Risiko eines Rückfalls ganz erheblich reduzieren lässt, wenn ich ihr - unterschwellig - dabei helfe, möglichst viele Risikofaktoren auszuschalten. Risikofaktoren sind für mich u.a.: negatives Körperbild, geringes Selbstwertgefühl, niedriges Selbstbewusstsein, Unfähigkeit Emotionen zu kommunizieren, hoher Stresslevel.
Ich bin mir darüber bewusst, dass das ein ehrgeiziges Ziel ist. Ich versuche bereits, das in einigen Punkten umzusetzen:
{das ist jetzt nichts Bulimie-spezifisches, sondern allgemeine "Persönlichkeitsstärkung"}
- Wenn sie sagt, dass sie nichts wert sei, zeige ich ihr, warum das nicht stimmt.
- Wenn sie sagt, dass sie eine langweilige Person sei, behaupte ich das Gegenteil.
- Wenn sie sagt, dass sie viel Mist erlebt hat, erzähle ich ihr meine eigene Geschichte (ohne ihre einzufordern, versteht sich). Ich zeige ihr, dass ich auch mal so über mich selbst gedacht habe wie sie, und warum ich finde, dass es sich lohnt, ein positives Selbstbild zu entwickeln.
- Wenn sie mir erzählt, dass ich mit einer anderen besser 'dran wäre, zeige ich ihr, warum sie etwas Besonderes für mich ist, und was sie besser kann als andere Frauen.
- Wenn sie Zeit für sich braucht, gebe ich ihr sie. Wenn ich aber merke, dass sie vor irgendetwas versucht zu fliehen, ermutige ich sie, sich dem zu stellen.
- Wenn ich merke, dass sie irgendetwas stresst oder bedrückt, biete ich ihr an, darüber zu reden - ohne es einzufordern.
Dabei achte ich immer darauf, möglichst nur realistische Beispiele zu nennen, und die Kommentare möglichst kurz und passend zu gestalten. Nach Möglichkeit nie mehr als ein paar Sätze. Ich gehe immer nur max. so weit, wie sie das meiner Einschätzung nach verträgt (höchstens so weit), und versuche stets, sie in eine positive Grundstimmung zu bringen (ohne dabei aufgesetzte Fröhlichkeit zu verlangen). Außerdem behalte ich diese ganzen Gedanken, die ich hier schreibe, für mich, so dass sie nur konkrete Handlungen von mir sieht.
Ich hoffe, du erkennst die Idee dahinter? Ich möchte ihr Selbstbild (und wenn möglich, Körperbild) mit der Zeit zum Positiven ändern, indem ich kurze Statements verwende, die positive Aspekte von ihr betonen oder negative Aspekte relativieren/abschwächen. Wenn ganz krasse Kommentare kommen, auch mal durch Ignorieren ebendieser, um ihren negativen Gedanken gar keine Bühne zu bieten, sondern stattdessen mehr Zeit mit positiven Gedanken zu verbringen. Auf Dauer müsste das ihr Selbstwertgefühl deutlich heben. Darüber hinaus probiere ich, etwas von meinem eigenen Selbstbewusstsein auf sie abfärben zu lassen, indem ich sie in passenden Situationen dazu motiviere, sich mutig zu verhalten (z.B. über Dinge zu sprechen, wenn sie etwas beschäftigt; etwas auszuprobieren, was sie noch nie zuvor getan hat; neue Orte und Aktivitäten auszuprobieren). Alles etwas zu abstrakt, deshalb kommen jetzt Beispiele.
In Realität sieht das z.B. folgendermaßen aus:
{frei nach Facebook, meist - aber nicht immer - wörtlich; blau ich, lila sie}
- "Ich hab mich in dich verknallt." - "Schlechter Witz oder großer Fehler, je nachdem..." - "Wenn du wüsstest, wie viele Stunden sich (Kollegin) meine Schwärmerei über dich anhören musste!
"
- "Ich hab Erfahrung mit Frauen wie dir..." - "Mit Frauen wie mir? Das heißt?" - (Liste mit typischen Attributen von Menschen mit niedrigem Selbstwertgefühl) - "Die beste Trefferquote hast du ja nicht!
Aber mach weiter, ist gerade äußerst interessant!"
- (Treffen abmachen und dabei klarstellen, dass nichts passieren wird, was der Dorfpfarrer nicht gutheißen würde) - "So weit kommen wir bestimmt nicht.
" - "Stimmt, hast recht. Aber wenn, magst du Kokos-Creme zum Massieren?"
- (versuche herauszukitzeln, ob s*x**ll* alles in Ordnung bei ihr ist, oder ob sie sich für ihren Körper schämt o.ä.) - (weicht mehrmals aus) - "Okay, Limit für heute erreicht!
" - "Jetzt hättest du fast schon 'ne Erklärung bekommen, Mistkerl!"
- "Aber erstmal ein Eis essen gehen, damit ich sehen kann, ob du mir zu psychotisch bist." - "Bin ich bestimmt." - (ignoriere ihren Kommentar und mache weiter, als wenn nichts geschehen wäre)
- "Du willst bestimmt nicht hinter meine Masken sehen. Ich glaube auch nicht, dass ich das will." - "Ja, ich will hinter deine Masken sehen. Klingt komisch, ist aber so. Ich interessiere mich für die Person, die du bist, wenn keiner hinschaut. Ich verspreche dir aber, dir deine Masken nicht vom Gesicht zu reißen, sondern zu warten, bis du sie mir zeigst."
- "Du bist mit 'ner Anderen besser 'dran, glaub's mir." - "Kennst du etwa die Andere, dass du dir so ein Urteil erlauben kannst?
"
- "Woher glaubst du zu wissen, was mit mir ist?" - "Das weiß ich nicht. Das musst du mir schon langsam und schonend beibringen.
"
- "Du würdest deine Zeit verschwenden." - "Gib mir einen Grund, warum ein Treffen mit dir Zeitverschwendung wäre." - "Ich reiche als Grund für Zeitverschwendung bereits." - "Du als Mensch sollst ne Zeitverschwendung sein? Ich bitte dich. Du bist 'n süßes kleines Knuddelmäuschen (mit bissigen Zähnen ^^). Nichts, womit ich nicht umgehen könnte."
- "Ich kann mit Menschen mit anscheinend großem Selbstbewusstsein nicht umgehen." - (erzähle ihr, dass ich vor vielen Jahren auch mal so gewesen bin wie sie, und dass ich deshalb trotz meinem Selbstbewusstsein auch eine introvertierte Seite habe)
- (erzählt mir, dass ihr der Kuss auf die Wange zu viel gewesen ist) - "Dabei habe ich dich doch extra gefragt, ob dir das zuviel war? Mensch sag doch was, dann hätte ich langsamer gemacht!" - "Das könnte ich nie aussprechen." - "Ich hoffe ich hab dich damit nicht überfallen.
Ich pass in Zukunft besser auf und schalte 'nen Gang runter. Ohne deine Mithilfe fällts mir schwer, das richtige Maß zu finden, wie viel Nähe du erträgst ohne dich wieder zurückziehen zu wollen. Wenn du mir dabei hilfst, können wir es gerne versuchen."
- "Du bist bekloppt!
" - "Hey, ist es nicht genau das, was Leute wie uns auszeichnet?"
- "Schreib mich gerne an, im Laufe der Woche, ok?" - "Du verlangst mehr als du denkst.
Ich bemühe mich." - (erzähle über andere Dinge) - und übrigens, deine Schritte rechne ich dir positiv an.
"
- "Ich kann es leider nicht ändern, ein langweiliger Mensch zu sein." - "Du bist sicher alles, nur nicht langweilig." - "Da irrst du wohl." - "Ich beweise dir das Gegenteil. Wie wär's mit diesem Wochenende?" - "Das kann ich nur schwer glauben." - "Come on. Ich weiß, du bist ein Chemienerd. Aber ich find dich interessant und du darfst mir ruhig mehr von dir zeigen, wer du bist."
Es zeigt meiner Meinung nach auch schon erste Erfolge. Ich kann und werde natürlich davon keine Wunder erwarten, aber sie scheint sich zu öffnen und sich in meiner Gegenwart wohler zu fühlen. Als ich vor ein paar Tagen die ersten Kusssmilies von ihr bekam, konnte ich meinen Augen nicht trauen. Als sie mir angedeutet hat, dass sie mich demnächst mal küssen will, noch viel weniger. Es scheint ganz offensichtlich zu funktionieren.
Hinweis: Ich habe mich mit dieser o.g. Methode selbst "therapiert". Das Gehirn maßt Dingen, mit denen wir uns viel beschäftigen, viel Bedeutung zu. Wem wir viel Zeit und Aufmerksamkeit widmen, das wird als wichtig empfunden. Positive Aspekte der eigenen Person zu betonen und negative Aspekte zu ignorieren (oder zu relativieren, also z.B. Misserfolge den ungünstigen Umständen zuzuschreiben statt den eigenen Fähigkeiten) funktioniert daher meiner Meinung nach hervorragend. Es braucht - das liegt in der Natur der Sache - natürlich viele Monate, bis sich deutliche Erfolge zeigen, aber die sind dann umso dauerhafter.
Ich will hier natürlich nicht Mutter Theresa spielen, aber was ich tun kann, das tue ich.
Unser erstes Treffen (Mitte 2014) wollte sie erst absagen, weil ihre letzte (und bislang einzige) Beziehung damals erst ein halbes Jahr zurücklag. Außerdem hatte sie eine Mandelentzündung und konnte deswegen kein Wort sprechen. Weißt du, was ich gemacht habe? Sie einfach den Kopf einziehen lassen, gehen, und mich anderen Frauen zuwenden? Nein. Ich habe sie so lange beharkt, bis sie mir ihre Nummer gegeben hat. Dann haben wir "telefoniert". Das bedeutet, ich habe sie mitten in der Nacht angerufen, sie hat den Hörer abgenommen, und ich habe eine halbe Stunde lang geredet. Ich habe ihr genau erzählt, warum-weshalb-wieso ich sie kennenlernen möchte, dass ich beginne sie zu verstehen, dass sie sich bitte nicht zurückziehen soll auch wenn's ihr schwer fällt (Rückzug ist nämlich immer die einfachste Taktik), dass ich ihre Grenzen respektieren werde, und dass ich es echt verdammt schade fände, wenn wir beide aneinander vorbeilaufen würden und nie erfahren werden, ob aus uns etwas geworden wäre. (Anm.: Uns war beiden klar, dass ich die Uni bald verlassen werde, und wir uns sonst nie wiedersehen würden)
Weil sie nicht sprechen konnte, hat sie mir anschließend auf Facebook ihre Antworten geschrieben. Mit dem Ergebnis, dass ich einen positiven Eindruck auf sie hinterlassen habe, und sie nun
doch Lust auf Kino hätte. Den Kinobesuch habe ich dann erfolgreich vergeigt, weil mir nicht klar war, wie niedrig ihr Selbstbewusstsein ist und wie schwierig körperliche Berührungen bei ihr anscheinend sind. Sie konnte mir, wie oben erwähnt, nicht einmal ins Gesicht sagen, dass ihr ein Kuss auf die Wange am Ende des Dates zu viel war, nachdem ich sie (weil sie schüchtern-verwirrt geguckt hatte) auch noch direkt danach gefragt habe, ob das gerade zu viel für sie gewesen ist. An diesem Punkt war alle Aussicht auf eine Beziehung mit ihr pretty much zuende.
Was habe ich dann gemacht? Aufgegeben? Nein. Ich habe ihr ein halbes Jahr Ruhe gegönnt, zwischendurch immer mal wieder lustige Comics etc. auf Facebook geschickt, ansonsten aber in Ruhe gelassen. Und irgendwann habe ich dann eines Tages das hier gefunden, und es ihr geschickt:
Du kannst dir an diesem Punkt meines Beitrags sicherlich vorstellen, dass dieses Bild dann der Auslöser dafür gewesen ist, dass wir nun wieder regelmäßig miteinander schreiben, uns auf diese Weise emotional deutlich näher gekommen sind. Sie will mich definitiv kennenlernen, die ersten Kuss-Andeutungen fliegen auch schon durch die Gegend, und alles in allem bin ich mit der Situation gerade sehr zufrieden! Es sieht wirklich gut aus!
Aber nicht durch Zufall, sondern weil ich daran gearbeitet habe, sie zu verstehen.
Hinweis: Schreiben ist ein mächtiges Werkzeug! Telefonieren oder gar ein persönliches Gespräch zu führen, erfordert viel mehr Mut ihrerseits. Über das Schreiben fällt es ihr ganz offensichtlich leichter, Dinge zu kommunizieren. Daher habe ich mit einem zweiten Date - von dem Zeitpunkt an gerechnet, wo wir wieder Kontakt miteinander gehabt haben - möglichst lange gewartet. So kann sie sich in Ruhe an die neue Situation gewöhnen.
Um zurück auf den Punkt deines Textes zu kommen:
- ein positives Selbstwertgefühl
- ein höheres Selbstbewusstsein
- ein womöglich besseres Körperbild
- und die Fähigkeit, Gedanken und Emotionen möglichst frei zu kommunizieren
dürften allesamt vor einem theoretisch denkbaren Rückfall schützen. An diesen Punkt will ich hin. Prävention.
Die Kunst ist, es so zu machen, dass es für sie nicht zu anstrengend wird.

(d.h. die gute alte Kalibration...was darf man, was darf man nicht, was geht noch, was führt zu weit, wann redet man, und wann hält man besser die Klappe?)
6. Fazit
Ich hoffe, du erkennst an diesem Punkt auch den großartigen Wert dieses Forums und insb. der eventuell noch folgenden Beiträge in diesem Thread. Es hilft mir sehr dabei, besser einzuschätzen, was ich voraussichtlich darf und wann ich vermutlich zu weit gehen würde. Ich weiß im Moment wie gesagt nicht einmal, ob ich das Thema Essen bei ihr überhaupt ansprechen darf, und worauf es dabei zu achten gilt.
Ohne jemals auch nur einen unpassenden Satz in Realität zu ihr zu sagen, weiß ich dann bereits alles, was es über Bulimie zu wissen gibt. Ich habe, ohne mit ihr darüber geredet und unschöne Erinnerungen hochgebracht zu haben, dann bereits gelernt, durch welche Brille eine (Ex-)Bulimikerin ihre Welt betrachtet (hat).
Zu verstehen, wie die Bulimie funktioniert und wie Bulimiker denken/fühlen, wird für mich und für sie eine enorme Entlastung sein. Ich kann mir dadurch unzählige Fragen zu ihrer Vergangenheit sparen, und so diesen negativen Gedanken und Erinnerungen so wenig Raum wie möglich bieten. Jede Frage, die ihr mir beantwortet, muss ich ihr nicht stellen! Jede Erinnerung, die sie daraufhin gehabt hätte, muss sie dann nicht fühlen. Und ich habe trotzdem das volle Verständnis, und kann meine Handlungen entsprechend auf sie abstimmen, d.h. empathischer reagieren. Mich in sie hineinfühlen, auf sie besser eingehen können.
Du hast recht: Der Umgang mit einer Freundin, die vier Jahre lang bulimisch gewesen ist, erfordert (womöglich...davon gehe ich aus) eine starke Persönlichkeit und ausreichendes Know-How. Umso wichtiger, dass ich dieses Know-How erarbeite. Nicht, um mich gegen alle nur denkbaren Möglichkeiten abzusichern, sondern einfach, um kein emotionales Trampeltier zu sein.
Bei einer Essstörung, wo Heimlichkeit und Schweigen so bedeutende Rollen spielen, wäre eine Beziehung ohne ausreichendes Know-How wie Topfschlagen im Minenfeld. Nur, dass die Mine dann nicht mir ins Gesicht fliegt, sondern ihr. Empathie ist da m.E. oberstes Gebot, und Empathie ohne wirklich tiefgehendes Verständnis der Bulimie ist nicht möglich.
Sei ehrlich: Würdest du dir insgeheim nicht auch wünschen, dass dein Freund (ich gehe davon aus, du bist weiblich) bereits alles über Bulimie wüsste, ohne dass du dir die Blöße geben müsstest, ihm das alles zu erzählen? So dass er perfekt empathisch auf dich reagieren kann, dich in deinen "Eigenheiten" wirklich versteht, und in jeder Situation wunderbar einfühlsam zu dir ist? Selbst dann, wenn er mal offene Verpackungen findet, oder Geräusche aus der Toilette hört? Was würdest du lieber wollen - vollständige Geheimhaltung, so dass alles wieder von vorne losgeht, oder einen Freund, der dir liebevoll die Haare hochhält, dir zu verstehen gibt dass er dich trotzdem liebt, und anschließend mit dir ein warmherziges einfühlsames Gespräch führt, in dem ihr beide Lösungen dafür erarbeitet, damit das nicht wieder passiert? Oder sogar: Dich von vornherein liebevoll aufbaut, so dass du gar nicht erst wieder in die Situation kommst, in dein ehemaliges bulimisches Verhalten zurückzufallen? Wäre so etwas nicht toll für dich - einen Freund zu haben, der alles weiß und sehr professionell reagiert, ohne dass du ihm auch nur ein einziges Wort über deine Krankheit erzählen brauchtest?
Die Scham, die du gefühlt hast, als du meine Fragen gelesen hast - die würdest du meiner demnächst-bald-Freundin ersparen! Du würdest mir meine Fragen beantworten, so dass sie es nicht mehr tun braucht! Und das könntest du (und könnten alle) in der Anonymität dieses Forums tun, ohne dass du und ich jemals voneinander wüssten, wer wir im wirklichen Leben sind.
Ich hoffe, dir ist jetzt meine Motivation etwas verständlicher geworden. Ich möchte einfach nur ein möglichst einfühlsamer Freund sein, der genau Bescheid weiß.
Selbstverständlich werde ich es aber akzeptieren, wenn du und anderen Forenmitglieder mir nun sagen, dass sie keine detaillierten Einblicke gewähren möchten. In diesem Fall werde ich einfach still im Forum lesen und das, was ich suche, aus verschiedenen Quellen zusammentragen. Das ist selbstverständlich auch möglich. Ich will hier niemanden bedrängen und mich auch nicht in Dinge einmischen, die mich nichts angehen.
Viele Grüße,
Schattenwolf
- Edit: Rechtschreib- und Grammatikfehler gefunden und zur Strecke gebracht. -