Nach fast zwei jahren in diesem forum möchte ich mich nun von euch verabschieden. manche von euch haben vielleicht mitbekommen, dass ich nächsten donnerstag für ein dreiviertel jahr nach frankreich gehen werde, um dort einen europäischen freuwilligendienst zu machen. ich wohne dort in einem ziemlich abgelegenen dorf und die wahrscheinlichkeit, dass es dort internet gibt, ist leider nicht sehr hoch ( ist auch, was das handy betrifft, ein totales funkloch

im laufe der letzten zwei jahre habe ich viel dazu gelernt. ich habe dieses forum hier zum ersten mal besucht, als ich eine stationäre therapie hinter mich gebracht hatte. ich wollte anderen menschen mut machen, gegen die bulimie anzukämpfen. und das möchte ich auch heute noch.
ihr könnt jeden tag anfangen, etwas an eurem leben, an eurem gestörten essverhalten zu ändern. so einfach natürlich nicht. aber es sind die kleinen schritte, die zählen. und ich denke, dass jeder es schaffen kann, wenn er den willen dazu hat. denn leider liegt es meistens an der tatsache, dass wir gar nicht gesund werden wollen, aus angst, irgendetwas furchtbares könnte dann passieren, dass wir es auch nicht schaffen, diesem teufelskreis zu entkommen. dinge wie unser gewicht halten uns davon ab, endlich loszulassen und nach unserem körpergefühl, nicht mehr nach kalorientabellen und sonstigem theoretischen vorgaben zu leben. und dabei verschenken wir so viel zeit und vor allen dingen einen so großen teil von uns selbst. ich weiß, wie schwer es ist, loszulassen und ich verstehe jeden einzelnen von euch, der sagt, er kann noch nicht loslassen, er braucht die essstörung noch. ich verstehe das - kann es aber nicht hinnehmen. ich kann es nicht hinnehmen, weil es wehtut, zu sehen, wie ihr euch zerstört, wie ich mich einst zerstört habe. weil ihr es verdammt nochmal wert seid, ein besseres leben zu führen, auf eure bedürfnisse zu achten, ihr selbst zu sein, anstatt immer nur vorgegebenen idealen nach zu streben.
ich habe nach meiner therapie zwei jahre verbracht, die für mich nicht vergleichbar mit den vorhergehenden waren. es war wie ein neues leben. wie noch einmal auf die welt kommen und über die kleinsten dinge staunen zu können. es war ein seltsames gefühl, das leben und mich selbst als wertvoll sehen zu können. einzuatmen und vor freude zerspringen zu können, einfach nur, weil ich lebe. fast zwei jahre habe ich kein einziges mal erbrochen. - kurz bevor es genau zwei jahre gewesen wären, kam der erste rückfall. ich fiel in ein loch. ich glaubte, jetzt würde alles einstürzen. ich hatte angst, alles würde wieder von vorne anfangen. die vergangenheit würde mich einholen. doch das tat sie nicht. ich schaffte es, trotz aller unsicherheit nach vorne zu sehen und weiter zu kämpfen. dann kam der zweite rückfall. diesmal wusste ich, dass ich es noch einmal schaffen würde. dass rückfälle dazu gehören. dass sie kein ende bedeuten. auch nach zwei jahren kann sowas noch passieren.
das ist jetzt etwas über zwei monate her. in dieser zeit ist viel passiert. ich habe meine beziehung beendet, es folgten wochen voller liebeskummer und verzweiflung. aber ohne dass ich rückfällig geworden bin. es war eine der schlimmsten zeiten in meinem leben und ich habe es geschafft, nicht auf alte verhaltensweisen zurückzugreifen. ich fühle mich dadurch sehr viel sicherer.
im moment geht es mir so gut wie schon lange nicht mehr. nicht, dass ich die ganze zeit mit einem strahlen herumlaufe, es gibt auch tiefen, immer wieder mal, aber die gewissheit, dass ich stark bin, dass ich alles erreichen kann, wenn ich es wirklich will, gibt mir kraft. und selbst in momenten, in denen ich traurig oder wütend bin, gibt es immer einen teil in mir, der sagt " sieh nach vorne. - es geht weiter".
ich habe fortschritte gemacht. seit etwa sechs wochen wiege ich mich nicht mehr. damals stand ich manchmal bis zu zwanzig mal am tag auf der waage. das gewicht hat etwas an bedeutung verloren. ich fühle mich gut, so wie ich bin. ich fühle mich plötzlich schön. und obwohl ich einiges mehr wiege als vor meiner therapie, gefalle ich mir heute besser.
damals hätte ich nie gedacht, dass ich irgendwann einmal so denken könnte wie heute. dass ich abends nach hause komme und mich im spiegel bewundere. mir selbst zulächle anstatt mich zu hassen. die frau, die ich da sehe, hat eine schöne figur - auch wenn sie längst nicht perfekt ist. doch darauf kommt es nicht an. das habe ich gelernt. es ist die ausstrahlung die zählt. seitdem ich mich selbst so mag wie ich bin, seitdem ich mich in meinem körper wohlfühle, werde ich öfter angesprochen, dass man mir das ansieht. ich ziehe klamotten an, die ich früher nie getragen hätte, ich schminke mich, ich mache mir meine haare zurecht. ich bin offener geworden.
ich rede und rede. doch ich habe euch auch so viel zu sagen, jetzt wo ich gehe. ich möchte mich bei euch bedanken von ganzen herzen. dieses forum hat mir so viel kraft gegeben. viele stunden habe ich hier verbracht - nicht selten gerade dann, wenn ein erneuter rückfall drohte. und ich habe hier immer den halt gefunden, weiter zu gehen.
dafür möchte ich euch danken.
ich wünsche euch so sehr, dass ihr es schafft, irgendwann schafft, aus diesem teufelskreis auszusteigen. die sonnenseite des lebens sehen zu können. jeder einzelne von euch ist das wert. jeder einzelne von euch hat es verdient, endlich nicht mehr unter dieser essstörung leiden zu müssen.
macht euch das selbst bitte immer wieder klar. ihr könnt alles erreichen, wenn ihr es wirklich wollt. schaut nicht weg, wenn ihr wahrnehmt, dass ihr euch selbst zerstört. sucht euch hilfe, vertraut euch jemanden an. bulimie ist nichts, für das man sich schämen muss. es ist eine furchtbare krankheit, der man so bald wie möglich ein ende setzen muss. und es ist nie zu spät dafür, nie.
LAUFT DER SONNE ENTGEGEN ANSTATT SIE ZU ERWARTEN....
Ein ganz lieber Gruß
von eurer Jen