Selbstverletzendes Verhalten als Syntom der Bulimie

#1
Hallo.

Ich kannte meine Freundin schon aus Schulzeiten. Sie war immer sehr schüchtern und redete kaum über Privates. Als wir zusammen kamen glaubte ich die Mauer, welche sie erichtet hatte um ihre Emotionen zu verbergen, durchbrochen zu haben. Aber es hat zwei Jahre gedauert bis sie mir -nach stundenlangem Bohren - anvertraute das sie sich nach dem Essen übergibt und ihre Armee aufschlizt. Ich komme mir dermaßen dumm vor es nie bemerkt zu haben.
Nachdem ich es erfahren hatte habe ich ihr versichert ihr helfen zu wollen und Tage in der Bibliothek verbracht. Alles was ich über Bulimie gelesen habe scheint auf sie zu passen. Der Auslöser ihrer Essstörung - so glaube ich - ist ihr Elternhaus. Ihre Essgewohnheiten wurden schon immer streng überwacht und abschätzig beurteilt (sie ist Vegetarierin.) Durch ihr extrem aufwendiges Studium ist sie großem Stress ausgesetzt, hinzu kommt der plötzliche Unfalltod ihres besten Freundes, der vor zwei Jahren gestorben ist, deren Tod sie bis heute jedoch nicht überwinden kann.
Von ihren Eltern hat sie niemals Anerkennung erfahren. Nie wurde sie von ihnen gelobt, nie haben sie sich für ihre ausgezeichnten Noten oder ihr Studium interessiert. Nur Kritik musste sie erfahren. Sie glaubt, dass niemand sie ernsthaft lieben könnte und so ist sie auch mir gegenüber sehr eifersüchtig. Ich hoffe, dass sich ihre seelische Verfassung bessert, wenn wir in wenigen Wochen zusammenziehen und sie ihr Elternhaus verlässt.
Doch viel mehr als ihre Essstörungen bereitet mir ihr selbstverletzendes Verhalten Sorgen. Natürlich hatte ich die Kratzer an ihren Unterarmen bemerkt, aber sie hatte behauptet die wären ihr von ihrem jungen Kater zugefügt worden. Und ich Idiot fand das plausibel, weil es wirklich ein kratzbürstiges Tier ist.
Ich weiß, dass sie, wenn ich nicht da bin in eine depressive Stimmung verfällt und ihre Wut auf sich an ihrem Körper auslässt. Ich weiß auch das sie mit Selbstmordgedanken kämpft. Doch ich weiß nicht was ich tun kann.
ich habe viel über Bulimie gelesen, doch selbstverletzendes Verhalten tauchte nur am Rande auf. Es scheint kein typisches Syntom zu sein. Ich wäre sehr dankbar, wenn mir Betroffene oder deren Angehörige mehr darüber sagen könnten.
Das größte Problem jedoch ist, dass sie keine Hilfe möchte. Nur ungern möchte sie mit mir über ihre Krankheit reden, schon gar nicht will sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Sie erkennt ihr Krankheit nicht als Problem, sondern vielmehr als gut funktionierende Problembewältigungsstrategie.
Ich weiß, das sie von selbst Hilfe suchen muss und in jedem Fall werde ich dann für sie da sein. Aber ich kann es nicht länger ertragen hilflos daneben zu stehen.

#2
Hallo Samuel

Ich kann verstehen dass du deiner Freundin helfen möchtest, doch als selbst Betroffene kann ich dazu nur sagen, dass du nicht allzuviel tun kannst. Du kannst für deine Freundin da sein und ihr zeigen dass sie sich immer auf dich verlassen kann wenn sie Hilfe sucht. Doch du wirst ihr diese Krankheit nicht abnehmen können und auch keinen Psychologen ersetzen. Wenn deine Freundin noch nicht bereit ist sich ihrer Krankheit zu "stellen" dann wirst du erst Recht nicht viel helfen können. Sie muss erst irgendwann erkennen, dass es so nicht weitergehen kann und sie Hilfe bracht! Und vielleicht wist du dann ihr erster Ansprechpartner sein um ihr auf diesem schweren Weg beizustehen, weil du ihr Vertrauen besitzt.
Zu dem Ritzen kann ich nicht viel sagen, da ich es selbst nicht tue, aber ich kann sagen dass es wirklich kein seltenes Verhalten in dieser Krankheit ist. Es gibt viele hier im Forum die auch noch ritzen.
Aber insgesamt gesehen ist die ganze Bulimie eine Selbstverstümmelung und ein selbstverletzendes Verhalten. Durch das Erbrechen zerstören wir uns auch. Zwar innerlich (was man als ja nicht sehen kann), aber wir zerstören uns. Deshalb sollte die Essstörung in deinen Augen auch nicht hinter dem Ritzen einen "niederen Stellenwert" bekommen. Die inneren Folgeschäden sind manchmal schimmer als die oberflächlichen Wunden. Sieh dich im Forum Gesundheit mal um und mache dir ein Bild darüber.
Jedenfalls wünsche ich dir ganz viel Kraft diese Krankheit mit deiner Freundin durchzustehen, denn es wird sicherlich nicht leicht!
Und einen Rat möchte ich dir noch geben: Vergiss dich nicht dabei! Du hast auch noch ein Leben zu führen!

Viele Grüße

Seelenvogel

#3
also erstmal muss ich sagen, dass ich es toll finde, dass du ernsthaft helfen willst und dich auch schon etwas vertraut mit dem thema gemacht hast. viele angehörige machen das leider nicht, weil sie nicht den mut dazu haben oder auch einfach nicht verstehen können, wieso man eine essstörung bekommen kann.
leider kann ich mich seelenvogel nur anschließen. im prinzip kannst du deiner freundin nicht helfen. nicht insofern, dass sie aufhören wird, sich zu übergeben und sich selbst zu verletzen. aber du kannst ihr indirekt helfen, indem du ihr halt gibst und für sie da bist. indem du ihr immer wieder versicherst, dass sie zu dir kommen kann, dass du sie nicht fallen lassen wirst. vielleicht will sie jetzt noch nicht reden, aber es wird bestimmt irgendwann eine zeit kommen, in der sie dir dann dankbar für dieses angebot sein wird. und es ist einfach wichtig, dass sie weiß, dass sie nicht alleine dasteht. gerade jetzt, wo sie noch so depressiv ist. mach ihr immer wieder klar, wie wichtig sie dir ist und wie sehr du sie brauchst.
meine freunde wussten damals auch nicht, wie sie sich verhalten sollen. sie hatten immer das gefühl, mir nicht helfen zu können. offensichtlich konnten sie das auch nicht. es hat nichts gebracht, wenn sie mich gebeten haben, damit aufzuhören, wenn sie mich überreden wollten, doch was zu essen, ich konnte das alles einfach nicht annehmen, weil ich viel zu stark in meiner krankheit gefangen war. auch wenn es schwer ist, aber das essverhalten solltest du ihr überlassen und ihr nicht hinein reden. das würde sie nur in einen weiteren konflikt bringen.
was du vielleicht tun kannst, ist, ihr immer wieder die folgeschäden klar zu machen. du wirst damit riskieren, dass sie sich dir gegenüber aggresiv verhält oder dich vielleicht sogar abweist, aber es wäre die einzige möglichkeit, den weg zur einsicht etwas zu beschleunigen.
das ist kein patentrezept, ich spreche lediglich aus eigener erfahrung. ich wollte es damals auch noch nicht wirklich einsehen, doch eine freundin hat mir so viel über die folgeschäden erzählt, dass ich allmählich angst bekommen habe und eingesehen habe, dass das nicht der weg sein kann, probleme zu lösen. was ich im nachhinein auch gut fand, war, dass mir eine andere freundin immer wieder adressen zugeschoben hat, an die ich mich wenden kann - auch wenn ich sie äußerst widerwillig angenommen habe. auch prospekte und bücher über bulimie haben mir weitergeholfen, anders über die krankheit zu denken.
dass bulimie oft mit ritzen verbunden ist, weiß ich auch aus eigener erfahrung. und wie seelenvogel schon sagte, sind beides selbstzerstörungen. frag sie, ob du ihr helfen kannst, wenn sie wieder das verlangen danach hat. vielleicht gibt es ja eine möglichkeit. manchmal ist bei mri auch dieses verlangen aufgetaucht, als ich bei meinem freund war, allerdings bin ich schon ein ganzes stück weit draußen, habe das also im moment ziemlich gut im griff. aber druck war ja trotzdem da, ich wurde unruhig, bis hin zu aggressiv. mein freund kam sich auch sehr blöd dabei vor, glaube ich. irgendwann dann hat er mich gefragt, ob er mir irgendwie helfen kann, doch ich wusste es nicht. bis ich gemerkt habe, dass es mir hilft, wenn er mich so fest es geht in seine arme nimmt, solange, bis ich wieder etwas ruhiger werde. da war jetzt nur bei mir so. ich denke, viele würden auf so etwas noch aggressiver reagieren. was ich damit sagen will, ist einfach, dass es vielleicht eine möglichkeit gibt, mit der du ihr helfen kannst. und was sie unbedingt machen sollte, ist eine therapie. sag ihr das, aber nerve sie nicht damit. sie sollte wissen, was du von dem ganzen hältst, aber nicht das gefühl bekommen, dass du sie nicht mehr lieb hast, wenn sie es nicht schafft, eine therapie zu machen.
es wird schwierig sein, überhaupt irgendetwas zu bewegen, denn dafür muss leider erst der richtige zeitpunkt kommen und dafür braucht sie vielleicht noch eine weile. wünsch euch alles liebe,
lg, jen

vielen dank für die Antworten

#4
Hallo.

Vielen dank für die Antworten. Mir ist natürlich bewusst, dass ich die Fehler die durch ihre Eltern beganngen werden nicht übernehmen darf. In keinem Fall dränge ich sie dazu ihre Essgewohnheiten zu ändern (Vielleicht früher einmal, als ich noch nichts von ihrer Krankheit wusste.) Ich räume ihrem selbstverletzenden Verhalten (das Wort "ritzen" ist mir unausstehlich, ihr wunderschöner Körper ist kein Stück Holz) einen größeren Stellenwert ein, da sie nach eigenen Angaben nur selten Fressattacken hat und sich nur alle paar Tage übergibt. Allerdings vermute ich, dass sie wie viele Bulimieker bei diesen Angaben untertreibt.
Da sie schon seit einigen Jahren an Bulimie leidet glaube ich das einige der körperlichen Folgeschäden bereits eingetreten sind, so z.B. das Ausbleiben ihrer Menopause und Nierenstörungen. Da sie ein medizinisches Studium betreibt, weiß sie um die Folgeschäden auch sehr gut bescheid. Damit kann ich sie also nicht schocken.
Auch habe ich bereits versucht ihr heimlich Literatur zum Thema unterzuschieben, aber sie hat sie nicht angerührt.
Ich weiß das es ihr hilft, wenn ich in ihrer Nähe bin, dass sie dann nicht zu bulimischen Verhalten neigt. Deshalb meine Hoffnung ihre Situation könnte sich bessern, wenn wir zusammen ziehen. Auch das wird sie auf Dauer nicht vom übergeben und selbstverletzendem Verhalten abhalten, aber vielleicht steigt ihr Schamgefühl, wenn sie sich übergibt und ich nebenan bin oder sie sich die Arme aufschlitzt wärneddessen ich kurz einkaufen bin. Es wird ihr schwerer fallen ihr Verhalten vor mir zu verbergen und vielleicht bekräftigt sich dadurch ihr Wille ihre Krankheit zu bekämpfen. Vielleicht begreift sie erst dann ihr Verhalten überhaupt als eine solche. Zudem wird sie ein Urlaubssemester einlegen, der Stress also deutlich abnehmen.
Falls sich diese Hoffnung nicht erfüllen sollte sehe ich keinen Ausweg. Dennoch liebe ich sie und würde sie nie wegen ihrer Krankheit verlassen, es könnte ehrlich ihren Tod bedeuten.

#5
hi

ich finde es toll das du dich so bemühst .. ich hoffe sie wird es irgendwann merken und nicht mir der krankheit alles kaputt machen .Du solltest ihr auf jeden fall nahe legen eine therapie zusammen alleine wird sie das niemals schaffen .Es ist einfach ganz wichtig überalles zu reden .Also mir hat es sehr geholfen darüber zu reden mit einem aussenstehenden , mit meinen freund konnte ich nie darüber reden und das wird bei ihr bestimmt ähnlich sein . Ich wünsche euch viel glück und alles gute!!

lieben gruss anna

#6
hi samuel!!!

erst einmal möchte ich dir meine bewunderung dafür aussprechen, dass du diesen weg gewählt hast um mehr über die krankheit deiner freundin zu erfahren. das ist ein wunderbarer zug von dir... ich freue mich darüber, dass es noch menschen wie dich gibt, weil mein leben mir eigentlich das gegenteil bewiesen hat. kurze vorstellung und krankheitsbild meinerseits. derzeit ebenfalls studentin, bulimikerin seit fast 5 jahren, autoaggressives verhalten (schnittwunden am ganzen körper) glücklicherweise seit 2 jahren abgelegt, 2x kurz vorm suizid doch noch meinem lebensdrang erlegen. noch immer bulimikerin. bis dato. ja und vor einigen jahren hatte ich einen freund, dem ich nach einem jahr, nach stundenlangen diskussionen und unter tränen gestanden habe, dass ich ihm etwas verheimlicht habe. ich konnte es ihm nicht früher sagen, die zeit war nicht reif und mein vertrauen in ihn zu wenig gefestigt. als ich es schließlich übers herz gebracht hab, war er am boden zerstört, anfangs hat er sich selbst ziemliche vorwürfe gemacht. später einmal hat er dann hat er die offensichtlich neuen narben an meinen unterarmen gesehen, meine hände genommen und mich gefragt "was soll das?!?! hör auf damit und lass dir helfen, red mit jemandem darüber" - dabei hat er nicht bemerkt, dass ich mich IHM geöffnet hab, ihm und niemand anderem. er hat mich kurz darauf verlassen, hat gemeint, dass er es nicht ertragen kann, mit jemandem wie mir zusammen zu sein. ich hab ihm verziehen und heute, jahre später verstehe ich ihn sogar.
ich weiß, dass ist das gegenteil von dir und deswegen antworte ich dir. ich kann dir sagen, was ich mir damals gewünscht hätte: ich wollte, dass er sagt: ich liebe dich trotz allem, ich stehe hinter dir, was auch geschehen mag. ich möchte nicht, dass du dich selbst verletzt weil du dadurch auch mir weh tust. ich liebe dich und halte dir den rücken frei.
ich denke, dass sie weiß, dass sie krank ist und die "problembewältigungsstrategie", die sie für sich entdeckt hat nur eine ausrede ist, hinter der sie sich verstecken möchte.
und im übrigen tust du ja etwas für sie, du stehst nicht hilflos daneben, du bist für sie da, du hast dieses forum gesucht und gefunden, du bist absolut auf dem richtigen weg. sie braucht dich, mehr denn je und das gefühl von sicherheit und vertrauen. SIE muss den willen aufbringen gesund zu werden, SIE muss erkennen dass sie auf dem falschen weg ist. sie zu etwas zu zwingen oder ihr etwas einzureden wäre ein fehler; sie würde sich in die enge getrieben fühlen. liebe und geduld, das sind die beiden dinge, die von dir gefordert sind. und noch etwas: bitte vergiss dich dabei selbst nicht, schau, dass du nicht auf der strecke bleibst!!!!

alles liebe, alles gute, schön, dass es auch männer wie dich gibt...

yours ever

#7
Hallo,

vielen dank für die Antworten. Danke auch für das Lob, aber bitte glorifiziert mich nicht. Eine wichtige Frage drängt sich mir noch auf: Aus welchem Grund wird jemand zur Bulimikerin? Gewiß weiß ich das es nicht die eine Ursache geben kann, aber vielleicht kann es mir helfen eure Gründe (oder was ihr vermutet, was der Auslöser gewesen sein könnte) zu erfahren. Vielleicht gelingt es mir dadurch besser meine Freundin und ihr Verhalten zu verstehen. Ich habe - wie bereits geäußert -die Vermutung ihre häusliche Situation könnte, der - oder zumindest ein wichtiger - Grund sein. Ist es irreal anzunehmen, das wenn sie diesem Einfluss (freiwillig) entrissen würde, ihre Heilungschancen erheblich stiegen? Glaubt ihr, dass es bestimmte Bedingungen geben könnte unter welchen ihr eure Esstörungen überwinden könntet? Und wenn ja welche könnten das sein? Es geht mir einfach darum möglichst günstige Rahmenbedingungen für eine Heilung zu schaffen, ohne das sie dies unbedingt als besondere Anstrengung meinerseits begreift. Sie darf nicht das Gefühl haben all mein Handeln sei auf ihre Bulimie fixiert (was ja auch absolut nicht stimmt, denn wie könnte ich sie sonst lieben), denn dann könnte sie - so befüchte ich - in eine Blockadehaltung verfallen.
Euch allen wünsche ich viel Verständnis und Selbstbewusstsein (ich glaube das viele Bulimikerinnen wunderbare Personen sind, da sie nur sehr wenig Selbstvertrauen haben und sich deswegen sehr gut in die Schwachen und Gekränkten einfühlen können, sie sind -so glaube ich - sehr mitfühlende Menschen.) Ich wünsche euch alles Gute.

Samuel

#8
hi samuel

ich würde sagen das hat bei jedem andere gründe .. der eine will abnehmen .. der eine hat ne scheiss kindheit gehabt .. geschlagen ,v*rg*wa*ig* ,gehänselt , seelischen terror .. und die meisten bestrafen sich selber damit ..weil man immer irgendwie denkt man sei selber an allem schuld .Aber es gibt 1000 gründe warum man sich das antut , ist halt von jedem zu jedem verschieden.

lieben gruss babe
cron