#120
von bingelina
Hab das Buch jetzt zum 2. Mal gelesen. Beim ersten Mal war ich sehr begeistert und hat auch einigermaßen geklappt, mich daran zu halten (habs aber von Anfang an nicht so streng genommen). Aber mit der Zeit ist das ganze wieder etwas in Vergessenheit geraten und manchmal muss man halt doch auch mal was Ungesundes essen, das geht gar nicht anders...
Jetzt beim 2. Mal lesen muss ich sagen, dass ich das ganze schon deutlich kritischer betrachtet habe. Was mir wirklich SEHR GUT gefällt, ist dass die Autorin abweicht von den weitverbreiteten Thesen "Bulimie ist ein rein psychisches Problem" und "Heißhunger entsteht nur durch Unterzuckerung" - und auch mehreren anderen in der Wissenschaft verbreiteten, aber bei näherer Betrachtung unsinnigen Thesen zum Thema Bulimie. Dass Zucker tatsächlich süchtig machen kann, wurde ja schon längst nachgewiesen, nur in der Medizin ist die Erkenntnis noch nicht 100% angekommen, braucht halt Zeit. Auch sehr gut ist ihre Erklärung der biochemischen Zusammenhänge mit Serotonin, Dopamin und Cortisol im Gehirn. Für mich als Biologin natürlich besonders interessant, für Laien vielleicht etwas anstrengend zu lesen.
Und jetzt kommt das ABER:Obwohl die Autorin also sehr gut die eigentlichen Ursachen der Bulimie erklären kann, finde ich ihre Umsetzung des ganzen zur Überwindung der Zuckersucht unausgegoren und unvollständig, teilweise sogar leicht im Widerspruch zu dem vorher geschriebenen.Gerade der Teil, der sich nicht aufs Essen bezieht, wirkt relativ hilflos – mit Ratschlägen nach dem Motto „Schmeißen Sie ihren Fernseher weg“ oder „Räumen Sie Ihr Zimmer auf, zerschneiden Sie Ihre Kreditkarte“. Auf den meistens größten Stressor und Auslöser für Cortisolproduktion überhaupt – den Job, Kollegen, Mitmenschen – wird dagegen fast nicht eingegangen, aber was kann man da auch machen?
Auch in Bezug auf die Essensratschläge musste ich manchmal den Kopf schütteln. Da wird Milch schlecht gemacht, die doch ein fast optimales Verhältnis aus Eiweiß und Kohlenhydraten enthält – fettiger Käse und Nüsse dagegen in den Himmel gelobt. Mag ja sein, dass die Kohlenhydrate in der Milch auch „gefährlich“ sein können (ich beobachte bei mir allerdings das glatte Gegenteil!), aber es ist doch bei einem FA wesentlich schlechter und leichter, 300g Käse zu essen oder 200g Nüsse als 3 Liter fettarme Milch zu trinken mit der selben Kalorienzahl als die Nüsse! Ich denke, die Autorin übersieht hier ganz einfach, dass auch große Mengen Fett den Serotoninspiegel anheben (der genaue Mechanismus ist mir jetzt entfallen, ist aber so) und deshalb genauso zu den süchtig machenden Stoffen gehört wie Zucker, in größerer Menge.
Das eigentliche Problem – Zucker/Kohlenhydrate (+Fett) machen süchtig, aber man kann sie nicht ganz weglassen wie z.B. Alkohol – kann trotz anderslautender Ankündigung auch dieses Buch nicht einlösen. Denn letzten Endes wird ja in den Ernährungsempfehlungen deutlich, dass man doch auch nicht ganz kohlenhydratfrei leben kann. Für mich scheint das ähnlich wie zu einem Alkoholiker zu sagen „Ja also Bier und Schnäpse musst du weglassen, aber Mon Cheris darfst du essen, weil der Alkohol da ja viel langsamer verdaut wird….“
Mein Fazit:Also letzten Endes ist das Buch sehr gut darin, die wahren Ursachen und Mechanismen der Bulimie aufzuzeigen, aber die Ratschläge zur Heilung wirken noch unfertig und nicht zu Ende gedacht