Nicht das, was einfach ist. Das, was nötig ist.

#1
Ich bin noch nicht ehemalig. Nein. Noch nicht. Und das ist auch in Ordnung so. Nicht weil ich der Ansicht bin, dass ich jederzeit wieder einen Rückfall haben könnte, oder weil ich mich noch für essgestört halte. Trifft beides nicht zu. Es ist eher ein dumpfes, diffuses Gefühl, das mir sagt, dass ich den Tag nicht vor dem Abend loben soll.

Mir geht's wirklich gut. Ich habe gute und weniger gute Tage, wie jeder normale Mensch auch. Aber die Schwankungen sind nicht mehr so extrem, das macht es mir leichter. Alles normal, alles mehr oder weniger gut. Ich bin mir genug und mache noch immer sehr viele Fortschritte, was mein Selbstbewusstsein, meine emotionale Stabilität und meine Belastbarkeit angeht. Ich kann gut auf mich aufpassen und auch mal Pause machen, wenn es mir zuviel wird. Alles in Ordnung.

Mir ist es ein Rätsel, ist ein Buch mit sieben Siegeln, wie ich das geschafft habe. Ich weiß es, dass es bei mir schlichtweg darum ging, dass ich es ausgehalten habe. Dass ich mich immer wieder gezwungen habe die Dinge, die ich ansonsten weggekotzt habe, einfach mal auszuhalten. Und es auch zu spüren. Die Gefühle auch mal zu zulassen, anstatt sie immer wieder mit was für Methoden auch immer zu verdrängen. Das bringt nichts. Das bringt nie etwas, davon bin ich überzeugt.

Ich habe meine Glaubenssätze überprüft, gestärkt und manche ausradiert und gänzlich verworfen. Ja. Bewerte mein Leben neu und verzichte darauf gesellschaftlich anerkannte Konventionen als Grundlage meiner Bewertungen zu akzeptieren. Ich bin ich, wenn es normal ist, dass man sich jedes Wochenende betrinken muss, dann heißt das noch lange nicht, dass das gut ist und/oder, dass das für mich persönlich gelten muss.
Und auch Dinge, die soviel wichtiger sind.

Ja. Die Frage, die hier so oft diskutiert wird. Die Frage nach dem Essverhalten, ob es denn notwendig ist, auf Weißmehl und Zucker zu verzichten, um gesund zu werden. Für mich nicht. Ich gebe zwar freimütig zu, dass ich mich jetzt auch nicht nur von Weißmehl und Zucker ernähre, aber ich finde, dass das auch zu einer ausgewogenen Ernährung gehört/gehören kann. (Para für dich nicht. Aber ich sterbe auch nicht eher, wenn ich alles in Maßen esse.)
Und ja, ansonsten wirklich alles in Maßen. Nicht mehr. Und zugenommen habe ich nicht. Bin aber sowieso von Natur aus auch kein Fliegengewicht, deswegen. ;)

Ja, ich bin mir fast sicher, dass ich hiermit keine Diskussion anrege, aber wenn ich auch nur den einen oder anderen Denkanstoß gebe, dann ist das ausreichend...
;)

Alles Liebe, eure Colour
If defeat is for quitters, then the victory remains in the try.

Re: Nicht das, was einfach ist. Das, was nötig ist.

#2
Hallo...
Ich habe mich wirklich schon des Öfteren gefragt, wie du es geschafft hast.
Und so langsam glaube ich wirklich dass das alles nichts mehr mit Essen zu tun hat. Es geht irgendwie mehr darum sich zuzuhören, sich zu verstehen, sich auszuhalten, wie du es nennst.

Es geht nicht darum ob ich Vollkornbrot esse oder Baguette auch wenn das eine vielleicht gesünder ist. Es geht nicht darum ob ich dicker oder dünner bin. Es geht nicht um Kalorien oder Fett, Kilos oder Zentimeter. Es geht darum wer man ist.

Und mein Gott verschwende ich viel Zeit damit zu überlegen ob ich jetzt diesen Apfel noch essen soll oder nicht, ob ich jetzt zuwenig oder zuviel gegessen habe. darum geht es gar nicht. Ich lenke mich damit nur prima vom wesentlichen ab. wenn mein Kopf voll ist mit Essen und Zahlen brauche ich mich nicht mit mir selbst beschäftigen, dann brauche ich den Blick nicht auf das werfen, was vielleicht weh tut.
Aber solange ich nichts dagegen tue, dass ich nicht weiß wer ich bin, oder dass ich nicht wahrhaben will, was vielleciht falsch läuft, solange werde ich mich weiter mit dem anderen Scheiß ablenken. Und es wird sich nie etwas ändern.

Ich glaube du hast es genau richtig gemacht, Colourful. Du bist den einzigen Weg gegangen, der wirklich dauerhaft eine Lösung bietet. Hinter die Bulimie zu schauen. Denn es ist in meinen Augen keine Ess-brech-Sucht sondern eine Sucht nach Ablenkung von dem Wesentlichen.

ich wünsche dir sehr, dass du auch das dumpfe EGfühl bald losbekommst und den Tag loben kannst, ohne einen Abend zu fürchten.

Re: Nicht das, was einfach ist. Das, was nötig ist.

#3
Denn es ist in meinen Augen keine Ess-brech-Sucht sondern eine Sucht nach Ablenkung von dem Wesentlichen.
Ja. Ist irgendwie gerade alles wieder schön weit weg von mir. Sobald meine Probleme größer als zehn Zentimeter werden, brauche ich die alte Lösungstrategie wieder: Vollfressen, ins Klo spucken... und ans Essen denken.
ich wünsche dir sehr, dass du auch das dumpfe EGfühl bald losbekommst und den Tag loben kannst, ohne einen Abend zu fürchten.
Ach, das hast du sooo schön geagt, liebe Bumble.

lg

aire
Zuletzt geändert von aire am Sa Jan 24, 2009 19:56, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Nicht das, was einfach ist. Das, was nötig ist.

#4
Es ist einfach immer wieder schön zu lesen :D
Und ja, es hilft, sich das immer wieder vor Augen zu halten.
Colourful hat geschrieben: Ich weiß es, dass es bei mir schlichtweg darum ging, dass ich es ausgehalten habe. Dass ich mich immer wieder gezwungen habe die Dinge, die ich ansonsten weggekotzt habe, einfach mal auszuhalten. Und es auch zu spüren. Die Gefühle auch mal zu zulassen, anstatt sie immer wieder mit was für Methoden auch immer zu verdrängen. Das bringt nichts. Das bringt nie etwas, davon bin ich überzeugt.

Ich habe meine Glaubenssätze überprüft, gestärkt und manche ausradiert und gänzlich verworfen. Ja. Bewerte mein Leben neu und verzichte darauf gesellschaftlich anerkannte Konventionen als Grundlage meiner Bewertungen zu akzeptieren.
Gefühle aushalten, Muster hinterfragen, Denkfehler aufspüren, was passt nicht in MEIN Leben, auch wenn es für andere eine Gegebenheit ist, die keine Probleme macht.
Und was ist eigentlich gerade total in Ordnung und es geht mir gut damit, auch wenn andere es als Totalkatastrophe ansehen ("Was? Du hattest noch nie einen festen Freund?" - zum Beispiel). Muss ich mich deswegen in eine Ecke drängen lassen? Nein, ich bin normal, trotzdem.

Nur merke ich irgendwo, dass meine Muster und Denkfehler zu festgefahren sind.
Ich war zu lange essgestört, um sie ohne Therapie alle allein auf eigene Faust aufspüren zu können. Ein paar schon, das versuche ich zumindest. Kleine Schritte. Vielleicht könnte ich es sogar, wenn ich ein Jahr Zeit nur für mich und wenig Ablenkung hätte. Vielleicht hätte ich es wirklich gekonnt damals in Bolivien, wenn nicht alles so blöd gelaufen wäre mit meinen Bekannten. Denn eigentlich vertraue ich meiner Intuition, und die sagte mir damals, dass das der richtige Weg sei. Viel Zeit und Abstand und dazu neue Eindrücke, ein einfacheres Leben.
Nun gut, es ist nicht so gelaufen wie geplant. War trotzdem eine interessante Erfahrung.

Hier in meinem Alltag kann ich es nicht so wirklich. Zu viel Ablenkung, zu viele Muster, zu viel Bequemdenken von meiner Seite. Deshalb hoffe ich auf die Therapie, der Countdown läuft, dann kann ich mir auch bald so einen netten Ticker in die Signatur machen :D
Zuletzt geändert von Virginia am Sa Jan 24, 2009 21:26, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Nicht das, was einfach ist. Das, was nötig ist.

#5
hi,
Sobald meine Probleme größer als zehn Zentimeter werden, brauche ich die alte Lösungstrategie wieder: Vollfressen, ins Klo spucken... und ans Essen denken.
das trifft im moment auch bei mir zu :?
Ich glaube, dass du recht hast colourful und man sich seinen problemen und gefühlen stellen muss, anstatt dauernd nur am essen rumzubasteln und zu versuchen, aber ich frage mich WIE???
wie soll man seinen alltag denn absolvieren,wenn man sich seinen gefühlen stellt und völlig umgehauen wird?
Wie soll man diesen drang stoppen, wenn man denkt man dreht durch und panisch anfängt zu essen?
Ich finde es bewundernswert, dass du das alles so geschafft hast und viel erreicht hast, ich wüsste einfach nur gerne das patentrezept, auch wenn das wohl keiner geben kann,leider

aber im Grunde ist und bleibt es ja der einzige weg :? früher oder später muss man ihn dann wohl zwangsläufig gehen..hmm

ich wünsch dir jedenfalls auch alles Gute und mach weiter so, bist auf nem guten weg und es macht lust darauf auch mal wieder einen tag nicht als schwarz oder weiß zu empfinden, sondern einfach mal ein gefühl von Ausgeglichenheit zu erlangen, das wär schön

lg emilia
Den Weg kannst du nicht immer wählen, aber die Richtung

Re: Nicht das, was einfach ist. Das, was nötig ist.

#6
bumble-bee hat geschrieben:Und so langsam glaube ich wirklich dass das alles nichts mehr mit Essen zu tun hat. Es geht irgendwie mehr darum sich zuzuhören, sich zu verstehen, sich auszuhalten, wie du es nennst.
Ja, bei mir ist einfach das Gefühl, dass ich die Dinge ertragen muss. Mich ertragen muss. Tage auch mal ertragen und annehmen kann, an denen alles schief läuft. Ja, du drückst es positiver aus, aber es ist dasselbe. Denn ich ertrage die Dinge ja auch nicht, ohne sie zu hinterfragen. ;)
bumble-bee hat geschrieben:Es geht nicht darum ob ich Vollkornbrot esse oder Baguette auch wenn das eine vielleicht gesünder ist. Es geht nicht darum ob ich dicker oder dünner bin. Es geht nicht um Kalorien oder Fett, Kilos oder Zentimeter. Es geht darum wer man ist.
Ja. So große Bilder verwende ich zwar nicht so gern. Aber ja.
bumble-bee hat geschrieben: Ich glaube du hast es genau richtig gemacht, Colourful. Du bist den einzigen Weg gegangen, der wirklich dauerhaft eine Lösung bietet. Hinter die Bulimie zu schauen. Denn es ist in meinen Augen keine Ess-brech-Sucht sondern eine Sucht nach Ablenkung von dem Wesentlichen.

ich wünsche dir sehr, dass du auch das dumpfe EGfühl bald losbekommst und den Tag loben kannst, ohne einen Abend zu fürchten.
Ja, klar. Nur für mich ist das zu schön, um wahr zu sein. Vor allem, weil ich nach wie vor keine Therapie mache. Mich erschreckt das sehr, dass ich trotzdem so weit komme. Das ist das Gefühl, dass es fast nicht wahr sein kann.
Virginia hat geschrieben:Und was ist eigentlich gerade total in Ordnung und es geht mir gut damit, auch wenn andere es als
Totalkatastrophe ansehen ("Was? Du hattest noch nie einen festen Freund?" - zum Beispiel). Muss ich mich deswegen in eine Ecke drängen lassen? Nein, ich bin normal, trotzdem.
Ja, solche Sachen. Dinge auch einfach für sich selbst zu bewerten. Und sich dann nicht verunsichern zu lassen.
Virginia hat geschrieben:Nur merke ich irgendwo, dass meine Muster und Denkfehler zu festgefahren sind.
Ich war zu lange essgestört, um sie ohne Therapie alle allein auf eigene Faust aufspüren zu können. Ein paar schon, das versuche ich zumindest. Kleine Schritte. Vielleicht könnte ich es sogar, wenn ich ein Jahr Zeit nur für mich und wenig Ablenkung hätte.
Ja, ich glaube, dass das auch einfach nicht zu vergleichen ist. Das ist von Mensch zu Mensch wahrscheinlich auch sehr unterschiedlich, um das absolut ohne Bewertung zu formulieren. Ist auch einfach sich ablenken zu lassen, das kenne ich ja auch von mir. ;) Und ja, ich finde es gut, wenn jemand eine Therapie macht. Du schaffst das.
Emilia hat geschrieben:wie soll man seinen alltag denn absolvieren,wenn man sich seinen gefühlen stellt und völlig umgehauen wird?
Wie soll man diesen drang stoppen, wenn man denkt man dreht durch und panisch anfängt zu essen?
Ich finde es bewundernswert, dass du das alles so geschafft hast und viel erreicht hast, ich wüsste einfach nur gerne das patentrezept, auch wenn das wohl keiner geben kann,leider
Hat man denn immer Gefühle, die einen total umhauen? Klingt das nicht auch ab? Ich bin am Anfang immer, wenn ich gar nicht mit mir klargekommen bin, laufen gegangen. Raus. Eine Runde um den Block. Einfach, um Ordnung ins Chaos zu bringen. Mir hilft das sehr. Das erfordert in der ersten Zeit sehr viel Disziplin, aber dann wird es immer einfacher.
Ich bin auch mal ganz allein ein verlängertes Wochenende weggefahren, um mal nicht abgelenkt zu werden. Sehr hart. Hat auch etwas gebracht.

;) Nein, es gibt kein Patentrezept. Dafür sind wir alle viel zu verschieden.

Alles Liebe, eure Colour
Zuletzt geändert von Colourful am Sa Jan 24, 2009 22:09, insgesamt 1-mal geändert.
If defeat is for quitters, then the victory remains in the try.

Re: Nicht das, was einfach ist. Das, was nötig ist.

#7
Emilia hat geschrieben:wie soll man seinen alltag denn absolvieren,wenn man sich seinen gefühlen stellt und völlig umgehauen wird?
Wie soll man diesen drang stoppen, wenn man denkt man dreht durch und panisch anfängt zu essen?
Colourful hat geschrieben: Hat man denn immer Gefühle, die einen total umhauen? Klingt das nicht auch ab?
Ja, das denke ich auch! Man wird nur deshalb derzeit von seinen Gefühle nüberwältigt weil man die kleinere Ausformung der Gefühle noch nicht wahrnimmt, man ist nich sensibel genug, man untersrückt die Gefühle die ganze Zeit - bis sie einen eben überwältigen.
Wenn man aufmerksamer mit sich umgeht, besser und genauer zuhört müssen die Gefühle sich vielleicht auch gar nicht so gewaltsam Gehör verschaffen. Weil sie rechtzeitg wahrgenommen und reguliert werden. Jedenfalls glaube ich dass es so funktioniert.

Re: Nicht das, was einfach ist. Das, was nötig ist.

#8
bumble-bee hat geschrieben: Ja, das denke ich auch! Man wird nur deshalb derzeit von seinen Gefühle nüberwältigt weil man die kleinere Ausformung der Gefühle noch nicht wahrnimmt, man ist nich sensibel genug, man untersrückt die Gefühle die ganze Zeit - bis sie einen eben überwältigen.
Wenn man aufmerksamer mit sich umgeht, besser und genauer zuhört müssen die Gefühle sich vielleicht auch gar nicht so gewaltsam Gehör verschaffen. Weil sie rechtzeitg wahrgenommen und reguliert werden. Jedenfalls glaube ich dass es so funktioniert.
Ja, der Meinung bin ich auch. Wenn man sich öfters mal mit seinen Gefühlen auseinandersetzt, dann staut sich da auch nicht so viel unter der Oberfläche, sodass sie einen dann auch nicht mehr überwältigen können.
Ich kenne da auch mehrere Beispiele von Menschen, die grundsätzlich alles verdrängen und wegsperren, weil sie mit ihren Gefühlen und Erinnerungen, mit dem, was sie letztlich ausmacht, nicht umgehen können.

Ich verbinde das immer mit dem Bild der Türen, man sperrt die ungeliebten Dinge in Kästen und Räume, schließt ab und wirft den Schlüssel weg. Und hofft inständig, dass man die Türen geschlossen halten kann, was natürlich sehr viel Kraft kostet und nicht unendlich lange funktioniert.
Wenn die Türen aufbrechen, dann geschehen Dinge, dann fühlt man Dinge, die man nicht wahrhaben möchte. Und alles überrollt einen mit einer unglaublichen Kraft. Ja, ich empfinde das als sehr bedrohlich. Das kann verdammt lebensbedrohlich sein. Ich habe da schon Situationen erlebt, die ich mir in meinen dunkelsten Alpträumen nicht vorstellen konnte.

Deswegen plädiere ich dafür, dass man sich auch sofort, in einem sicheren Rahmen (Therapie etc.) damit auseinandersetzen sollte, um das zu verhindern und/oder erstmal einzudämmen.

Das ist etwas, das ich gelernt habe. Für mich selbst, das ist das Aushalten und das Ertragen.

Ja. Alles Liebe, Colourful
Zuletzt geändert von Colourful am So Jan 25, 2009 14:04, insgesamt 1-mal geändert.
If defeat is for quitters, then the victory remains in the try.