Hallo, Ersteanna!
„Wenn diese Gesellschaft tatsächlich so dermaßen schlecht 'läuft', dass hier quasi 'alle' "ersticken", dann müßte ich eigentlich morgen die Revolution ankündigen, denn es könnte nur besser werden.
Dem würden aber nicht alle zustimmen. Manche viele können hier einiges genießen.“
Na, du bist doch „revolutionär“. Jedenfalls vom Denken her. Du setzt dich doch gerade mit diesen Fragen auseinander. Das überhaupt zu hinterfragen, die mißliche Lage der Menschheit zu erkennen, das ist doch schon ein Aufbegehren, eine Einsicht, zu der viele gar nicht kommen/es nicht verstehen.
Und nur weil partielle Freude und Genuß gelingt, oft auch länger anhaltend, so relativiert dies nicht das Grundproblem, die Unzufriedenheit, den Leidensdruck der Menschen.
„Ich glaube die Sache ist sehr differenziert zu sehen.“
Ja und nein. Wie gesagt, als übergeordnetes Problem betrachtet, ist die (allgemeine, verbreitete) seelische Schieflage mehr Fakt als im persönlichen Lebenswirrspiel begründete, zufällige Unglückssache.
„Wie oft würde ich gerne von Liebe schreiben, und das dem mal wieder mehr Wert zukommen sollte. Aber dann erlebe ich wieder tolle Gesprächsrunden, Gesellschaften, in denen sehr viel Liebe herrscht (zumindest für einige Stunden), und ich frage mich, wieso sich das nicht auf Dauer 'transportiert'.“
Ein heilsamer Weg für jede Persönlichkeit ist es doch sicher, der Liebe mehr Raum zu geben. Sie mehr zuzulassen. Du schreibst, du würdest das gerne tun. Was hindert dich? Hält dich ab?
Ja, eine essentielle Frage, warum sich solche Perioden des Glückes, Wohlfühlens, gerade in der Gemeinschaft, nicht länger weiter und mehr transportieren...Hm.
Vielleicht tut es das doch, nur die Wirkung ist schleichend, unbemerkt? Fakt ist, daß solchen guten Erlebnisse eine Wirkung haben. Eine Nachwirkung. Man sieht es ja an dir, es bleibt dir als gutes Ereignis im Gedächtnis, man kann z.B. davon zehren, es kann motivieren, es verändert die Stimmung. Insofern transportiert es sich doch. Aber eben nicht als revolutionäre Umwälzung für alle. Leider. Das ist dann eben trotzdem....frustrierend. Aber man kann niemandem zum Glück zwingen, niemand mit der Nase draufstoßen. Für sich solche Prozesse zu erkenn und dann etwas zu verändern, für sich, das liegt in der Eigenverantwortung eines jeden selbst. Oft hilft da reden eben nicht. Es kann vielleicht ein Steinchen ins Rollen bringen. Ja. Aber Eigenarbeit zur (Selbst)erkenntnis muß jeder für sich alleine aufbringen (wollen).
„Ich weiß nicht, ob wir hier nicht alle zuviel arbeiten. (Also in dieser Gesellschaft.) Man muß wohl oder übel sein halbes Leben über seinen Beruf (oder Nicht-Beruf) definieren. Das scheint mir eine ziemliche 'Verkürzung des Menschen', um es mal so zu sagen.“
Oh, ja! Stimme voll zu! Obwohl die Sache ja so ist: Selbst für Jäger-und Sammlergesellschaften ist herausgefunden worden, daß für einen guten Lebensstandard 3-5 Std Arbeit täglich genügen. Und im Prinzip ist Arbeit ja auch Freude. Spielfreude. Bzw. sollte Spielfreude sein. Aber in unserem Gesellschaftsmodell wurde das durch Zwang ersetzt. Persönliche Talente und Veranlagung übergangen. Da bleibt wenig Freude übrig.
„Ich kenne verhältnismäßig viel 'negative' Philosophie, die nur noch von Zer- oder Verfall sprechen kann. Das erleben wir ja schon seit x Jahrzehnten. Also zumindest seit ich lebe, ist das so das Programm: 20xx wird die Welt eh schon fast gar nicht mehr wirklich bestehen. Der Mensch wird quasi immer 'schlechter' usw.“
Von welcher Philosophie sprichst du? Ich habe z.B. Schopenhauer verschlungen und ihn ganz positiv aufgefaßt, obwohl die gängige Lehrmeinung ihn als Negativphilosophen hinstellt. Hm.
Ja, das ist ebenfalls so ein eingetrichtertes Bild. Der Mensch als entweder grundsätzlich schlecht oder als unausweichlich irgendwie schlecht etc.
Zeitgeist.
Ich sehe das mittlerweile anders. Ich bilde mir MEINE Meinung. Ganz neu, auf jedem Gebiet. Ich glaube nichts mehr, besonders nicht den angeblichen unumstößlichen Lehrmeinungen und angeblichen Naturgesetzen.
„Ich resigniere davor. Um es ganz ehrlich zu sagen. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich manchmal dumm bin, manches weder weiß, kann, noch verstehe. Und das erweißt sich fast als Mutprobe.
Mein Hirn ist voll von 'emotionalen Gebilden' und man sagt mir: Normal ist es alles rational zu sehen und zu verstehen; emotional können Sie bei sich zuhause dann wieder sein, werden, bleiben - wie auch immer.“
Letzterer Satz ist wieder typisch „unser Zeitgeist“. Grauenhaft. Ratiomist.
Emotion und Empfinden ist eine Gabe und befähigt zu so vielem. Es erscheint nur als hinderlich und wirkt sich letztendlich auch oft so aus, da ein anderes Lebenskonzept vorgegeben wird, das richtiger und besser, effizienter sein soll. Nicht resignieren. Aus Emotionen Energie schöpfen. Eventuell auch gerade aus der Wut heraus, daß du angeblich was falsch machst, wenn du ein fühlender Mensch bist.
„Wettkampf scheint mir auch ein großes Element zu sein.
Aber man müßte schon sehr, sehr weit zurückgehen, um zu einer Zeit ohne Wettkampf zu gelangen. Es scheint mir fast nicht anders in der Natur des Menschen zu liegen.“
Wettkampf ohne Schaden zuzufügen liegt sicher in menschlicher Natur. Allein die Assoziation Wettkampf=eher negativ zeigt wieder oktroyierte Deutung durch unsere „Erziehung“ (also allgemein, nicht nur auf Eltern etc. bezogen)
Im Prinzip der gleiche Mechanismus wie mit dem Glaube bzw. gar angeblichen Sicherheit, daß der Menschen schlecht ist...
„Manchmal denke ich: Ein Vortrag vor einer größeren (wissenschaftlichen) 'Gemeinde' müßte so aussehen: Man fängt an zu weinen.“
Das ist schön. Ein schönes Bild.
„Das klingt jetzt gerade alles gar nicht so, aber: Ich habe mich sehr gefreut hier diese Worte von Dir zu lesen. Verrat' mir nur eines: Wie könnten wir an solchen Dingen etwas ändern? Ich meine das ernsthaft. Bin offen für alle - das Unwort des Jahres: - 'Innovationen'.“
Klingt nicht negativ für mich! Im Gegenteil. Hört sich eher so an, als stößt du nicht auf so viel Resonanz mit deinen Absichten, deshalb der betrübte Ton. Oder? Hast du jemanden, der solche Gedanken mit dir teilt und ähnliche Sichtweisen hat?
Wie man an den Dingen etwas ändert, im kleinen, daß habe ich schon angedeutet mit meinen Reaktionen auf deine Aussagen, oder?
Ich kann nur sagen, daß ICH das Gefühl habe, daß sich etwas verändert. Zum positiven. Auf breiterer Ebene.
„Ich bilde mich wie eine Blöde - also ich versuche es - und trotzdem scheint es mir noch immer, als ob ich nichts sagen könnte. Mehr noch: Ich bin fast schon darüber hinaus, sehe bald gar keinen Sinn mehr im Reden.“
Antworten liegen nicht in Büchern. Hinweisschilder lassen sich dort finden. Das fällt mir dazu ein...hm.
Grüße, Frau Wankelmut!
Jeder Mensch ist ein Abgrund. Es schwindelt einem, wenn man hinabsieht.
Georg Büchner