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von Caruso
Nehmen wir mal den Fall eines "klassischen" Klinikaufenthaltes. Ich habe irgendwo Schmerzen, es tut was weh. Mein Hausarzt erstellt eine Diagnose und weist mich in eine Klinik ein. Voruntersuchung, OP-Termin, es kommen eine Menge kleiner grüner Männchen mit weissen Masken und einem Skalpell, Narkose, aufschneiden, reparieren, zunähen, Rekonvaleszenz - fertig !! Alles gut.
Der Klinikaufenthalt in einer Suchtklinik (und dabei ist es egal, um welche Sucht es sich handelt) verläuft einen Tick abweichend. Die Grundzüge sind gleich. Es gibt Symptome, die ich wahrnehme und die mein tägliches Leben so beeinflussen, dass meine Lebensqualitität entscheidend darunter leidet. Der Hausarzt diagnostiziert meine Sucht und weist ein. Nun kommt der Unterschied. Es kommen nun keine kleinen grünen Männchen, es kommen Psychologen und Berater. Und die haben auch ein Skalpell. Ihre Worte sind das Skalpell. Und damit wollen sie nicht an die Organe, sondern an die Psyche. Und es gibt keine Narkose, sondern alles passiert unter vollem Bewusstsein. Diese "Chirurgen" haben nur dann eine Chance erfolgreich zu "operieren", wenn der Patient bereit ist, das Skalpell (die Worte) auch zuzulassen. Und da es ja, wie gesagt, ohne Narkose passiert, kann das richtig weh tun.
Der Erfolg des Besuches einer Suchtklinik hängt also nicht in erster Linie vom Können der Ärzte ab, sondern von der eigenen Bereitschaft, sich an der Psyche herumoperieren lassen zu wollen. Es ist eben nicht der Weg dort hin, ein Eingriff wird gemacht - alles ist wieder gut. Eine Suchtklinik ist nicht die "Quelle von Lourdes", wo man eben mal hingeht und geheilt wieder wegläuft. Es ist ein Baustein auf dem eigenen Weg, an dem eigenen Verhalten etwas ändern zu wollen. Wer diesen Willen mitbringt, der hat gute Chancen, in dieser Klinik Handwerkszeug an die Hand zu bekommen, mit dem später, sozusagen im "richtigen Leben", es leichter fällt mit Verhaltensmustern umzugehen, die man sich jahrelang antrainiert hat und nun ein Ende haben sollen.
Ein weiterer Vorteil (aber auch ein Nachteil, wie es Pasta schon beschrieben hat), ist die Funktion der "Käseglocke" einer solchen Klinik. Man ist für ca. 6 Wochen raus aus dem eigenen Umfeld. Bestimmte Stressfaktoren des eigenen häuslichen Umfeldes finden dort nicht statt, weil eben nicht existent. Auch sind alle Menschen dort mehr oder weniger mit dem gleichen Problem behaftet, man fühlt sich dort sicherer und geborgen. Das bedeutet, man kann sich leichter öffnen, weil man Zeit hat, sich mit dem zu beschäftigen, was man dort alles erfährt und lernt.
Die Gefahr ist die Rückkehr ins eigene Leben. Weil dort hat sich ja meistens gar nichts geändert. Das bedeutet, dass alle Probleme nach wie vor auf einen warten. Die "Käseglocke" der Klinik wird abrupt weg gezogen, das "richtige" Leben schlägt ungefiltert wieder zu.
Nun liegt es an der eigenen Person, das dort gewonnene "Handwerkszeug" erfolgreich umzusetzen. Manchen gelingt es, manchen aber auch nicht. Deswegen gibt es Rückfallquoten, weil der Besuch einer Suchtklinik eben nicht gleichzusetzen ist, mit dem einer Chirurgischen.
Der Erfolg oder Mißerfolg des Besuches einer solchen Klinik ist zu 90% an die eigene Person geknüpft, nicht in erster Linie an die Kunst der dortigen "Chirurgen".
lieber Gruss
caruso
Zuletzt geändert von
Caruso am Mo Sep 22, 2008 10:35, insgesamt 1-mal geändert.
Die Weisheit lief mir nach, doch ich war schneller .....