Wie gesellschaftsfähig ist Bulimie?

#1
Hallo alle zusammen,

mir wurde schon öffters, von den Leuten die über meine Bulimie wissen, die Frage gestellt, weshalb ich nicht offen mit dem Thema umgehe. Einige gehen ja damit ziemlich offen um. Mir fällt es allerdigs sehr schwer, weil ich Angst habe vorverurteilt zu werden. Das komische ist ja, dass ich mich eher traue von meiner Depression zu erzählen, weil es in der heutigen Gesellschaft nicht mit der gleichen Abneigung aufgenommen wird. Was mich daran stört ist, irgenwie doch wieder mit einer Lüge zu leben. Früher konnte ich mit niemanden darüber reden und jetzt ist es mir genauso peinlich. Obwohl ich finde, dass sich niemand von uns schämen müsste. Vorallem wer den Weg aus diesem Teufelskreis geschafft hat oder gerade dabei ist, dürfte doch stolz darauf sein und dient als Ansporn für andere Mut zu fassen. Ich fürchte mich eher als Abnormal angesehen zu werden, auf die Art: " Einmal Bulimiker, immer Bulimiker"!

Was meint ihr wie offen kann man damit tatsächlich umgehen und wie geht ihr damit in Eurer Umgebung um? Steht ihr offen dazu? Wenn welche Reaktionen sind eingetreten?

Ganz liebe Grüße
Karlotta


Würde mich freuen, dass mal aus Eurer Sicht zu sehen.

#2
Ich kann damit überhaupt nicht umgehen und stehe auch in der Öffentlichkeit nicht dazu.
Es ist mir einfach zu peinlich, da das Erbrechen an sich ja doch was ziemlich ekliges ist...es schreit ja auch keiner in die Welt hinaus, dass er Flitzekacke hat :wink: .
Hab im Suff (jaja...verheerende Abiparty :roll: ) meinem besten Freund davon erzählt...und könnt mir jetz noch in den Popo treten deswegen.
Ich möchte nach außen hin einfach die Maske bewahren, dass bei mir alles in Ordnung ist.

Wenn es aber jemand wirklich schafft, dazu zu stehen und damit klar kommt, dass alle wissen, was mit ihm los ist...Respekt! Ich wollte ernsthaft, ich könnte es auch.
Wenn Hunger nicht das Problem ist, ist Essen nicht die Lösung!

#3
Halloooo.
Mensch das ist ein Thema für mich :wink: .

Erst müssen wir aber mal ganz genau festlegen, was ihr da jetzt mit Öffentlichkeit meint.
So wie ich es verstehe, meint ihr die Menschen, mit denen ihr zu tun habt. Also jetzt nicht die breite Öffentlichkeit, die noch zu unaufgeklärt ist und Bulimie ganz einfach noch nicht wirklich als Krankheit anerkennt und versteht.
Also möchte ich gerne das Wort Öffentlichkeit als Umfeld abschwächen.
Und Umfeld wird natürlich wiederum geteilt in – Menschen die halt um dich leben - und – Menschen, die dir wichtig sind und umgekehrt. Also Menschen, die du erreichen kannst, wenn du nur willst.

@karlotta
Obwohl ich finde, dass sich niemand von uns schämen müsst. Vorallem wer den Weg aus diesem Teufelskreis geschafft hat oder gerade dabei ist, dürfte doch stolz darauf sein und dient als Ansporn für andere Mut zu fassen.
Gebe dir mal vollkommen Recht.
Jetzt liegt es aber an dir, den Menschen klar zu machen, wie es dir mit deiner Krankheit ergangen ist oder gerade geht. Sie zu informieren. Ihnen diverses Aufklärungsmaterial zu beschaffen oder zumindest vorschlagen.

Ich glaube, du erwartest dir, wenn du dich outest, dass die Menschen wissen, wie es dir geht. Hmmm. Tja, leider hast du ihnen wohl nie gezeigt oder gesagt, wie es dir in einer schwierigen Phase geht. Das müssten sie wissen. Und sie müßten wissen, wie schwer es ist gegen diese Krankheit zu kämpfen. Wie du dich eben dabei fühlst.

Klitzekleines Beispiel:
Mein Thema Alkohol. Immer Gesellschaftstrinkerin und wohl viel zu weit in diese Krankheit hineingerutscht.
Ein wirklicher (wenn man das jetzt so definiert) Alkoholiker wird anders verstanden. Also ein Alkoholiker, bei dem man gesehen hat, dass er nix mehr auf die Reihe kriegt. Einer der nur mehr betrunken wahr genommen wurde. Wenn der anfängt zu kämpfen, dann honoriert man das oder zeigt ihm sogar, dass man ihn bewundert, unterstützt auf ihn stolz ist, etc.
Ich habe mein Alkoholproblem immer recht gut retuschieren können. Nun wo ich dagegen ankämpfe, wird es belächelt. Es weiß ja niemand, wie scheiße es mir dabei geht nichts zu trinken, wirklich den Willen zu haben, da raus zu kommen.
Wie sollen das die Anderen aber verstehen, wenn sie nie mitbekommen haben, wie tief ich eigentlich drin gesteckt bin oder noch immer stecke. Sie sehen, dass ich jetzt nichts trinke….und dann kommen Meldungen wie….“bist du krank?“..."magst ein achterl? hihihi".. etc. Kläre ich sie dann richtig auf? Nein. Scham? Klar. Ich will ja gar nicht, dass sie wissen, dass ich wirkliche Alkoholikerin bin.

Ich weiß nicht, ob ihr meinem Gedankengang folgen könnt. Ich möchte nur damit sagen, wer die Krankheit immer sehr gut verschwiegen hat, weil er sich ihrer schämt, der kann nicht verstanden werden. Und warum verschweigt man sie? Warum schämt man sich? Weil man in der Gesellschaft nicht als Schwächling da stehen will. Dabei passiert genau das Gegenteil, man wird schwächer indem man mit seiner Krankheit alleine bleibt.
Deshalb möchte ich Bulimie nicht als ausgegrenzte Krankheit sehen.
Sondern eine Sucht wie jede Andere. Wie Drogen und Alkohol auch. Jeder Süchtige, der einsichtig ist, schämt sich ihrer. Und warum verschweigt man die Sucht am Anfang? Damit sie einem keiner wegnehmen kann. Damit einem niemand ins Gewissen redet.

So das war meine Meinung zum Thema Umfeld.
Das Thema Öffentlichkeit ist eine wohl viel schwierigere Diskussion.
Die breite Öffentlichkeit kann nur dann mobilisiert werden, wenn, so wie auch bei den anderen Suchtkrankheiten, die Aufklärungsarbeit funktioniert. Und hier müßten viel mehr Betroffene mitarbeiten, nicht nur Ärzte und Psychologen.

LG Hedi

#4
Hallo

Vielen Dank erst mal für die Antworten. Im Grunde habe ich zwar schon die nähere Umgebung gemeint, aber die breite Masse möchte ich nicht ganz ausschließen. In meinem Umfeld weis es gerade mal eine Hand voll und sie versuchen mich so weit wie es geht zu verstehen. Allerdings habe ich fast 8 Jahre gebraucht um es überhaupt jemandem zu erzählen. Dass mit der Scham ist natürlich Richtig, aber irgendwie habe ich ein unglaublich schlechtes Gewissen. Eine bekannte von mir die Essgestörte Frauen betreut hat mich letztens gefragt ob ich mit ihr mal Aufklärungsarbeit an Mädchen Schulen machen könnte. Ich hätte es so gerne gemacht. Wenn ich nur einen einzigen Menschen davor bewaren könnte! Aber ich war zu feige. Die Angst mich so zu outen war größer. Jetzt denke ich noch sehr oft darüber nach. Eigentlich könnten Betroffene so viel bewirken, denn niemand kann diese elende Lage so gut nachvollziehen und anderen glaubhaft vermitteln, aber unsere Gesellschaft ist vielmehr daran interrestiert solche Themen aufzubauschen. Die Präventive Arbeit rückt somit leider in den Hintergrund. Hoffentlich habt ihr vestanden was ich meine, bin zur Zeit etwas konfus ( Diplomarbeit). Ich finde es einfach schade, dass über Foren, die Pro sind mehr in den Medien berichtet wird als über solche wie dieses. Ach, vieleicht bin ich einfach nur über mich selbst verärgert, weil ich so feige bin.

Liebe Grüße
Karlotta

#5
sooo, dazu muss ich auch etwas schreiben...:wink:
also, wenn ich in die vergangenheit zurück schaue, dann habe ich jede menge sinneswandel hinter mir....
auch ich habe viele viele viele jahre gebraucht, um mit irgendjemand darüber zu reden. wenn ich mich so zurück erinnere, war es eine freundin, die selbst an magersucht erkrankt war und sie war die erste mit der ich überhaupt jemals darüber sprach..... aber ich glaube, es lag daran, dass ich selbst jahrlang nicht erkannte, wie krank ich war und zu dieser zeit, war das thema essstörung in der öffentlichkeit noch lange nicht so präsent wie es jetzt war....und ist.
dann nachdem ich die erste freundin eingeweiht war, habe ich auch mit den anderen wichtigsten freundInnen darüber gesprochen.....es stellte sich heraus, dass sie es schon viel eher ahnten oder wußten, als ich es tat. es kamen keine vorwürfe oder dumme fragen oder ähnliches......
meine "familie" erfuhr es erst, als ich 2001 das erste mal stadtionär ging.... quasi auf den treppen zum akh..... das einzige was meine schwester sagte war GOTT sei DANK, tust du endlich etwas!!!
tja, das war also mein großes coming out und es verbreitete sich sehr schnell....
aber ab diesem zeitpunkt war es für mich ok, ich war nahezu befreit, endlich darüber sprechen zu können, was mich bewegte und so viel mehr.....ich war dann mehrmals stadtionär und auch ich begann schulvorträge zum thema essstörungen zu halten an den wiener schulen. und ich hatte den gleichen gedanken wie du, liebe karlotta83, wenn nicht wir wer dann.... wer könnte das so rüberbringen, wie wir es könnten und genau deshalb habe ich es auch getan.....
zu dieser zeit wurde ich auch im forum aktiv....
doch dann setzte ein neuer sinneswandel oder eher eine neue Periode ein, nämlich, dass ich dann nicht mehr darüber sprechen wollte.
und das hält bis heute an.
es weiß jast jeder von meiner esss, das hat vor- aber auch nachteile.
man wird mehr beobachtet, aber trotzdem haben es meine familie und meine freundInnen geschafft, mich so essen zu lassen,w ie ich es schaffe, also bei gemeinsamen treffen und ähnliches. und das nimmt sehr viel druck.
andererseits ist es auch so, dass man als nicht sehr belastungsfähig empfunden wird, daher habe ich es in der arbeit auch niemals erwähnt....

ich bin also viele Phasen durchgelaufen um so dazu stehen, wie ich es jetzt tue.....
für mich war aber jede dieser phasen wichtig, für mich selbst und für mein umfeld.....

so, das war es wieder.....
alles liebe, sonja