#25
von facilité
Hier mein Abschiedsbrief für Euch zum Lesen:
Meine liebe Bulimie,
Treue Freundin.. Lang ist’s her, als wir den Bund der Freundschaft eingingen. Langsam kamst Du angeschlichen, auf meinen Schoss gekrochen. Unauffällig - wahrgenommen habe ich Dich nicht so wirklich. Das hat Dir nicht gefallen. Um Aufmerksamkeit hast Du gekämpft. Stück für Stück. Und ich habe sie Dir gegeben. Du hast mir gut getan, weißt Du das? Hast mich getröstet, wenn ich alleine war, hast den Schmerz weniger fühlbar gemacht, hast mich gestärkt, hast das Abgrenzen für mich übernommen, hast mich von unangenehmen Aufgaben abgelenkt. Du hast mir den Weg geweist, mich dabei aber manchmal so überdeckt, dass ich nicht mehr wusste, wer ich bin, wo ich bin. Dann hast Du mir geholfen mich zu spüren. Ich bin eine Symbiose mit Dir eingegangen. Es gab Zeiten da konnte ich nicht ohne Dich und andere da konntest Du nicht ohne mich. Manchmal hast Du mich wirklich zur Weißglut gebracht, dann wieder zur Verzweiflung und leider hast Du mich gerade in der Anfangszeit oft sehr wütend auf mich selbst gemacht.. Ich habe gut für Dich gesorgt, extra eingekauft - nur für Dich, in der Hoffnung, dass ich dann etwas zurückbekomme. Denn dieser Gedanke durchzieht mein Leben, dass ich Leistung erbringen muss um geliebt und anerkannt zu werden. Nur. Dem ist nicht so. Ich liebe mich selbst. Weil ich ein toller Mensch bin, eine schöne Frau. Dafür muss ich nichts leisten. Sieh Dir einmal meine Gedanken an, meine einzigartige Weise zu fühlen und zu spüren. Das kann niemand sonst so wie ich. Ich bin wertvoll. Sehr sogar.
Leider habe ich schnell gemerkt, dass Du mir nicht nur gut tust. Auch wenn Deine Absichten positiv sind, so hast Du kontraproduktive Nachwirkungen. Du bist sehr ambivalent. Hilfst und schadest. Schnell war mir klar, Dich muss ich bekämpfen. Was habe ich alles probiert.. Aber Du bliebst hartnäckig. Und dann habe ich verstanden – nein – bekämpfen muss ich Dich nicht. Du hilfst mir sogar. Immer, wenn ich das Verlangen nach Dir habe, ist irgendwas nicht im Gleichgewicht. Dann sorge ich nicht gut genug für mich selbst, dann grenze ich mich nicht ab. Dann sind meine Gefühle oder Anspannungen so groß, dass ich meine es nicht ohne Dich zu schaffen. Aber ich weiß jetzt, dass ich es kann. Ich ertrage diese Anspannung. Und dann geht sie vorüber. Von Dir verabschiede ich mich. Das Verlangen nach Dir jedoch, darf vorerst bleiben und irgendwann wird selbst das schrumpfen, verblassen, sich auflösen.
Immer, wenn ich Dich brauchte, warst Du da. Das hat so unglaublich gut getan. Denn wie Du weißt, habe ich schlagartig die wichtigsten Menschen in meinem Leben verloren. Das hat furchtbar geschmerzt und tut es noch immer. Manchmal habe ich das Gefühl, dass mein Leben nur aus Verlusten besteht. Doch Du, Du warst IMMER für mich da, nie hast Du mich allein gelassen. Immer konnte ich auf Deine Hilfe zählen. Das hat sehr gut getan. Aber jetzt habe ich Sicherheit in mir selbst gefunden. Und ich werde meinen Weg gehen, egal wen oder was ich verliere. Das tut immer weh. Ich weiß. Aber, ich habe gelernt: Der Schmerz vergeht!
Ich dachte immer ich muss noch viel lernen, damit Du gehen kannst. Aber jetzt ist mir klar, ich besitze alle Fähigkeiten, um mich aus unserer Symbiose zu lösen. Es liegt nun an mir, mich von Dir zu verabschieden, Dir lebe wohl zu sagen. Und genau das möchte ich heute tun.
Ich werde wohl noch oft den Impuls verspüren, Dich zurückzurufen und Du wirst gern kommen. Ich werde auf Dir Reiten, wie auf einer Welle, mich nicht runterziehen lassen und dann wird die Welle langsam ausgleiten und mir wird es besser gehen.
Gerade in meiner Abiturphase habe ich gemerkt, dass es mir besser geht ohne Dich. Ich hatte mehr Kraft und mehr Zeit. Denn es ist eine Illusion, dass Du mir Kraft schenkst. Mir tut es besser, wenn ich mich ohne Dich entspanne. Richtig entspanne. Ich habe gelernt mich zu entspannen. Klasse oder? Ich bin mir sicher, Du bist sehr stolz auf mich, wie ich meinen Weg gehe und wie ich nun für mich selbst sorge.
Ich danke Dir für Deine treue Freundschaft, Du hast mir gezeigt, dass ich wichtig bin, dass ich Grenzen setzen darf, dass ich gut für mich sorgen muss, damit mein Leben mir Freude bereitet. Ich muss nicht perfekt sein. Es ist wichtig, dass ich lebe. Hier und jetzt. Ich werde meiner inneren Freude folgen. Tolle Erkenntnisse! Danke. Dafür danke. Wenn mein Leben demnächst zum Kotzen sein sollte, dann denke ich an Dich und werde ganz schnell für mich sorgen! Indianerehrenwort.
Wahrscheinlich lächelst Du, während Du diesen Brief liest und freust Dich tierisch, dass ich nun wieder auf eigenen Beinen stehe und mich von Dir verabschiede. Danke für alles! Alles Liebe.
Der Zustand, in dem ich alles an Essen da habe, ohne auch nur den geringsten Essdruck zu verspüren, ist mein normaler Zustand. Mein Körper sagt mir, was, wann und wie viel er will. Immer, wenn ich Essdruck verspüre ist etwas nicht in Ordnung.