Jetzt hab ich's also auch "geschafft".

#1
Hallo Ihr.

Ich weiß nicht so Recht, wie ich anfangen soll. Es ist schwer, das erste Mal darüber zu schreiben.
Ich war schon immer dick. Als Baby, als Kind, immer. In der Schule war ich "die Fette", im Gymmi "der Kloß".
Aber je mehr man mich dafür verurteilt und gehänselt hat, desto mehr habe ich gegessen. Ich habe noch nie "Hunger" gespürt, habe noch nie gerne gegessen. Ich fand Essen schon eklig, seit ich denken kann. Aber ich hab's gebraucht, als Belohnung oder eher als Entschädigung. Ich weiß, dass das widersprüchlich klingt, aber es ist sehr schwer das genau zu beschreiben. Ich hatte abends still und alleine meine Fressanfälle, niemand hat sich darum gekümmert.
Ich hatte noch nie eine gesunde Beziehung zum Essen und kann einfach nicht verstehen, wie Leute mit Genuss essen können und es widert mich einfach nur an, Leuten beim Essen zuzusehen, ich kann es nicht.

"Klick" hat es gemacht, als ich für eine Klassenfahrt Anfang diesen Jahres plötzlich beschloss, VIEL abzunehmen. Es war viel, wieviel darf ich hier (aus gutem Grund natürlich) nicht sagen, aber auf jeden Fall zu viel.
Seit dem Zeitpunkt beschäftige ich mich intensiver mit dem Thema abnehmen. Ich will an dieser Stelle (wenn ich das darf, wenn nicht bitte Bescheid sagen, dann lösche ich diesen Part sofort) auch sagen, dass ich mich des öfteren auf solchen p***-Seiten aufgehalten habe. Ich würde mich selbst als intelligent bezeichnen, ich weiß dass diese Seiten Blödsinn sind, ich weiß, dass es extrem ungesund ist, zu erbrechen. Aber meine Erfahrungen mit jahrelangem Mobbing haben meinem Verstand einen Strich durch die Rechnung gemacht. Jede Dokumentation über Magersucht hat mir noch mehr Ansporn gegeben, ich habe auf der Straße den Passanten plötzlich nicht mehr ins Gesicht geschaut oder sonstwohin, sondern hab ihre Beine begutachtet, ob sie dicker/dünner sind als meine, bei dickeren Leuten habe ich mich oft bei "Wie abstoßend!"-Gedanken ertappt.
Ich hatte/habe immernoch sehr viele FA's, habe die durch tagelanges Nichts-Essen aber meistens ausgeglichen.

Dann, vor zwei Monaten, ist es das erste Mal passiert. Ich habe schon öfter versucht, mich zu übergeben aber (leider) habe ich an diesem Tag nicht einfach nach einer Zeit aufgegeben, sondern hartnäckig weiterversucht - und - es "geschafft". Ich war zuerst total euphorisch, dachte mir aber sofort "Das mach ich schon nicht nocheinmal, ich bin ja keine Bulimikerin.".
Doch. Ich habe es öfter noch gemacht.
Bis ich vor drei Tagen Blut gekotzt habe.
Ich bin seitdem komplett voll mit Angst. Ich habe mich informiert und herausgefunden, dass es scheinbar nur eine Verletzung im Rachenraum war, aber es war trotzdem ein unheimlicher Schock.

Seitdem bin ich psychisch noch mehr am Ende. Ich trau mich (gottseidank) nicht mehr zu brechen, aber das schützt mich nicht vor FA's und das Schuldgefühl danach, wenn ich es nicht erbrechen kann, ist furchtbar.
Ich kann nicht mehr. Ich kann mich niemandem anvertrauen, ich habe zwar (wegen einem anderen Thema) bald vor, eine Therapie zu starten, aber die Psychologin hat extra betont, dass sie sich weniger mit dem Bereich Essstörung beschäftigen will.

So, das bin ich.
Ich freue mich, wenn mir vielleicht irgendwer schreiben könnte, wie ich möglichst gut aus diesem ganzen Mist herauskomme oder ob ich mit meiner besten Freundin darüber reden sollte.
Tschüss und einen schönen Abend noch.

Re: Jetzt hab ich's also auch "geschafft".

#2
Hallo Zerbrechlich!

Ersteinmal :HERZLICH WILLKOMMEN hier!

Deine Geschichte klingt sehr traurig! Beim Lesen Deiner Zeilen wird klar, dass Du schon sehr lange leidest und dass der Prozess deiner Essstörung schon sehr lange Teil Deines Lebens ist.
Ich finde es sehr positiv, dass Du dennoch sehr ehrlich zu Dir selbst bist. Es ist klar, dass Du Hilfe brauchst und es ist gut, dass Du Dir welche suchst.
Du sagst, Du wirst wegen eines anderen Themas eine Therapie starten. Auch das finde ich sehr positiv. Meist ist es ja so, dass psychische Probleme welcher Art auch immer, zusammenhängen und nicht einzeln füreinander stehen. Kann es sein, dass Deine Therapeutin evtl. deshalb meinte, dass sie sich weniger mit dem Thema Essstörung beschäftigen will? Weil sie es evtl. als "Symptom" sieht? Oder hat sie (wenn ich damit falsch liege) erklärt, wieso sie das so gesagt hat?

Was Deine Freundin angeht, kannst Du natürlich nur selbst entscheiden ob Du es erzählen magst oder nicht. Ich persönlich finde Offenheit ja immer gut und ich denke, darüber zu reden, nimmt einem auch ziemlichen Druck weg. Ich habe mit Offenheit auch nie schlechte Erfahrungen gemacht, aber das liegt natürlich auch immer mit an dem Gegenüber, dem man etwas erzählt. Da ich Deine Freundin nicht kenne, kann ich dazu natürlich auch nichts sagen.

Wann geht denn Deine Therapie los? Und welcher Art wird die sein?

Ich wünsche Dir jedenfalls viel Kraft und hoffe, dass Du Dich hier im Forum wohl fühlst!

Lieben Gruß Nadine

Re: Jetzt hab ich's also auch "geschafft".

#3
Hallo HavaNads,
danke für deine Antwort!

Die Therapie habe ich nicht wegen der Essstörung angefangen. Ich habe genau am Tag der ersten Therapiestunde (Probestunde) auch das erste mal erbrochen.
Ich glaube es war dieser Moment. Ich saß ganz typisch auf dem Sofa, vor mir in einem großen Sessel die Psychologin, die mir all die Probleme aufzählt, die ich zuhaben scheine. Mir war das zuviel. Ich hab mich gefühlt wie der letzte Dreck, ein psychisches Wrack. Ich hatte, so doof das klingt, das Gefühl "Jetzt ist's eh schon egal". Die ganze Scheu davor, zu erbrechen war weg.

Ein gewisser Weise hofft ein Teil von mir immer noch, so dürr und mager zu sein, dass endlich mal jemand auf mich aufmerksam wird und erkennt, was in mir vorgeht. (Wie lächerlich das klingt...) Wenn ich jetzt jemandem sagen würde "Ich habe Bulimie", der würde mir doch nie glauben!

Es ist eine reine Gesprächstherapie, das hilft mir aber auch schon sehr viel, glaube ich.


Noch einmal vielen Dank & schönen Tag noch! :)

Re: Jetzt hab ich's also auch "geschafft".

#4
Zerbrechlich hat geschrieben:Ich habe genau am Tag der ersten Therapiestunde (Probestunde) auch das erste mal erbrochen.
Ich glaube es war dieser Moment. Ich saß ganz typisch auf dem Sofa, vor mir in einem großen Sessel die Psychologin, die mir all die Probleme aufzählt, die ich zuhaben scheine. Mir war das zuviel. Ich hab mich gefühlt wie der letzte Dreck, ein psychisches Wrack. Ich hatte, so doof das klingt, das Gefühl "Jetzt ist's eh schon egal". Die ganze Scheu davor, zu erbrechen war weg.

[...]

Es ist eine reine Gesprächstherapie, das hilft mir aber auch schon sehr viel, glaube ich.
Hallo Zerbrechlich,

also, jetzt noch mal von vorne: Deine Therapeutin (oder die erste Therapiesitzung) hat das erste Mal Kotzen ausgelöst bei Dir. Und gleichzeitig sagst Du, sie würde "sehr viel" helfen?! Wie geht das denn zusammen? Mich hat mal eine Beratungssitzung so aufgewühlt, dass ich zum ersten Mal geritzt habe. Die Beratung habe ich dann abgebrochen - ohne der Beraterin den Grund zu nennen (weiß nicht, ob die damit klar gekommen wäre, die war eher zart besaitet ;) ) Na ja, Ritzen tue ich gelegentlich immer noch. Aber ich würde auch nicht sagen, die Beratung hat mir viel geholfen. :-X))

LG

Sophie
So spricht der Herr: "[...] Nein, wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, daß er klug sei und mich erkenne, daß nämlich ich, der Herr, es bin, der auf Erden Gnade, Recht und Gerechtigkeit schafft!" (Jeremias 9,22-23)

Re: Jetzt hab ich's also auch "geschafft".

#5
Ich glaube, du hast da was falsch verstanden.
Ich habe die Therapie NICHT wegen der Essstörung angefangen, sondern wegen einer Sache, die ich lange Zeit verdrängt hatte. Und als mir die Therapeutin in der ersten Stunde dann erzählt hat, dass ich aufhören muss, diese Sache zu verdrängen und ich mich in nächster Zeit (wenn ich die Therapie mache) damit sehr auseinandersetzen werde, ist in mir einfach alles zusammengebrochen. Mir ist klar, dass ich mir mit dem Erbrechen nur noch ein weiteres Problem ins Boot geholt habe, aber wenn dir einmal etwas Schreckliches passiert, du mit all deiner Kraft versucht, nicht daran zu denken, trotzdem noch einen normalen Alltag zu führen, und dir dann ganz plötzlich klar wird, dass es so nicht weiter gehen kann, bricht eine Welt zusammen.

Und ich meine nicht, dass es mir schon viel geholfen hat, sondern dass ich hoffe, dass es mir viel helfen wird. Denn ich bin kein dummer Mensch, ich weiß, dass man gewisse Dinge nicht "einfach so" vergessen kann, sondern sie durch Gespräche verarbeiten muss. Aber Denken und Verstand kommen nicht immer zusammen.

Ich mag das Smiley am Schluss nicht, das gibt deinem Beitrag eine etwas zynische Note. Hoffe mal, dass es nicht so gemeint ist.
Zuletzt geändert von Zerbrechlich am Mo Sep 03, 2012 19:07, insgesamt 1-mal geändert.