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von bumble-bee
Hallo Aire,
ich hab in deinem Blog leider das mit dem ABC nicht gefunden?
Meine Therapeutin meinte nur auf meine Frage: "Aber WIE kann ich denn lernen Gefühle in den richtigen Dimensionen wahrzunehmen?!?":
"Ja, das ist doch mal eine gute Frage! Wie wollen sies denn machen?" Und als ich dann nach ratlosem rumgeeiere dann nochmal nachfragte meinte sie nur ich solle in mich reinhören, welches Gefühl ich gerade habe und wie lange ich das schon habe, ob es vielleicht von einem Lied im Radio o.ä. belanglosem losgetreten wurde, etc.. Naja, ich bin noch am ausprobieren....
Ich habe gerade in dem Thread von marisa ihren Vorschlag gelesen, einen Abschiedsbrief an die ES zu schreiben. Ich finde das einen ausnehmend guten Ansatz. Ich habe lang überlegt ob ich das hier überhaupt reinstellen soll. aber schaden tuts ja auch keinem.
Liebe ES,
Ich verdanke dir einiges. Ohne dich wäre ich wohl in meiner Teenagerzeit untergegangen unter den Herausforderungen und Fallen. Vielleicht wäre ich in falsche Kreise gekommen, hätte härtere Drogen genommen. Ich hätte niemals schulische Hochleistungen bringen können und wäre vermutlich auch nicht so einfach klar gekommen mit dem Wechsel zum Studium und alleine leben. Dank dir musste ich nie wirklich eine neue Situation fürchten. Du halfst mir, wenn ich mich einsam gefühlt habe. Zu dir konnte ich mich zurückziehen wenn ich mich überfordert fühlte, traurig war, Angst hatte, mich auskotzen musste über das Leben und seine Ungerechtigkeiten. Du gabst mir Sicherheit und Trost und neue Kraft um mich auf das wichtige zu konzentrieren. Ich hatte immer einen Leitfaden, hing nie in der Luft – ohne Plan. Ich hatte immer dich in der Hinterhand. Jede noch so große Erschütterung wurde durch dich relativiert, erträglich. Ich wusste immer was ich mit mir tun konnte.
Oftmals hast du mich dadurch davon abgehalten zu handeln, zerstörerisch nach außen zu sein, andere Menschen zu belasten. Vielleicht vorschnell zu sein.
Ich war unabhängig und stark. Unnahbar und besonders. Ich stellte dich nie in Frage.
Aber. Ich bin nun an dem Punkt an dem wir gemeinsam nicht mehr weiter kommen. Ich stehe auf der Stelle, kann nicht mit dir, kann nicht ohne dich sein.
Ich kann aber nicht auf dieser Stelle bleiben, hier, noch 60 Jahre so weiterleben. Ich möchte woanders hin. Ich möchte frei sein. Ich möchte reisen, ich möchte lieben, Dinge unternehmen,, in die Berufswelt einsteigen. Und ich möchte Kinder haben, eine gesunde Beziehung vielleicht sogar Ehe führen mit diesem meinem Mann meiner Träume, der mich so lange mit dir geteilt hat.
Diese Träume kann ich nicht mit dir erfüllen. Du behinderst mich dabei, da ich, indem ich dich weiter instrumentalisiere, selbst nicht die Fähigkeiten entwickele, die ich brauche um ein Leben so führen zu können wie ich es mir vorstelle.
Ich kann nicht mehr klar denken. Ich bin kränklich, ich kann nicht mehr zubeißen. Ständig drehen sich meine Gedanken um Dich, ich kann mich nicht mehr auf das Wesentliche konzentrieren.
Ich erkenne mit jedem Mal, das ich auf dich zurückkomme, dass du im Grunde ein Relikt bist, ein letztes Aufbegehren unserer einst so intensiven Beziehung. Wir passen nicht mehr zueinander. Ich möchte die Fähigkeiten entwickeln, die ich vernachlässigt habe, indem ich dich in mein Leben ließ. Ich brauche wieder mehr Raum für Zukunftspläne, für Freunde, für mich. Du hast in diesem Leben leider keinen Platz mehr.
Ja, vielleicht wird es Situationen geben, in denen ich zurückkehren will und die alten Zeiten glorifiziere. Aber in Wirklichkeit sieht es anders aus. Die Beziehung zu dir war niemals schön, ausgeglichen und leicht. Es hat mich einiges gekostet sie aufrechtzuerhalten.
Diese Investitionen bin ich nicht mehr gewillt zu machen.
Meine Ziele sind nicht dünn sein und mich mit essen vollstopfen.
Meine Ziele sind Glück, Liebe, Freundschaft, Zufriedenheit, Erfüllung. Mit dir werde ich diese Ziele nicht erreichen. Das weiß ich sehr sicher.
Nur dank dir bin ich hier, wo ich heute stehe. Ich denke es war nicht nur ein Fehler diesen Weg mit dir gegangen zu sein. Aber ich denke hier sollten sich unsere Wege trennen.
Wir hatten gute Zeiten und wir hatten schlechte Zeiten. Vergessen werde ich sie so schnell nicht. Aber nun kommen andere Zeiten. In denen ich ohne dich zurechtkommen muss.
S T U F E N
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden …
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Hermann Hesse
Zuletzt geändert von bumble-bee am Fr Feb 06, 2009 21:40, insgesamt 2-mal geändert.