danke bulimie...

#1
Ich durfte mich letztens mit einer lange esssuechtigen und immernoch nicht geheilten Person unterhalten und die sagte etwas dass mich echt beruehrt hat.

es war in einer selbsthilfe gruppe wo ich manchmal hingehe aber eigentlich nur zuhoere.

und das thema waren verwandte, freunde , umfeld...


diese person erzaehlte, dass eine freundin im streit letztens zu ihr sagte: seit 25 jahren frisst du, seit 25 jahren bist du fett, seit 25 jahren machst du therapie und es hat sich nichts geaendert.
du bist einfach nur therapie-suechtig,brauchst jemanden der dir den bauch-pinselt, aber bringen tut dir das alles nichts, sonst haette sich ja was veraendert.

und die person sagte dass sie sehr lange darueber nachdenken musste. ist vielleicht etwas daran?

und sie kam zu dem entschluss: nein! auch wennsie immernoch frisst und fett ist hat sie durch die krankheit so viel ueber sich gelernt.
ueber den umgang mit menschen , ueber die seele, die zerbrechlichkeit der psyche... ueber all das was auf den ersten blick nicht zu sehen ist.

sie hat gelernt dinge zu hinterfragen und zwischen den zeilen zu lesen und sich mit den WIRKLICH wichtigen dingen zu beschaeftigen!


und am ende sagte sie : auch wenn es mir unendlich viel leid gebracht hat, auch wenn ich vielleicht niemals davon loskomme: ich danke gott, dass ich diese ES habe, denn ohne sie wuerde ich stumpfsinnig durch die welt laufen, mit nichts anderem beschaeftigt als den oberflaechlichkeiten die mir huelle der welt darzubieten hat.


und ich musste merken : sie hat recht.

auch wenn ich durch die bulimie sehr viel leid erfahren musste habe ich doch soviel daraus gezogen.


durch therapien , durch diese foren durch die beschaeftigung mit meinen emotionen habe ich gelernt sachen in mir zu entdecken die ich sonst nie gekannt haette.


ich wuerde wohl auch so kurzsichtig und oberflaechlich durch die welt laufen und nichts weiter sehen, als huensche oder haessliche menschen ohne den mensch SELBST sehen zu koennen...

mir wuerde so viel entgehen.

und deshalb muss ich einmal sagen : danke bulimie...auch wenn es sonderbar klingt....

Re: danke bulimie...

#2
Hallo!

Also ganz so sehe ich das nicht!
Es heißt ja nicht, dass man stumpfsinnig durch die Welt läuft, nur weil man keine ES hat! Das ist doch wirklich zu dumm. sorry.

aber ich gebe dir schon recht: durch die bulimie habe ich auch sehr viel über mich gelernt und es hat mich gezwungen über manche dinge nachzudenken und dies hat mich weitergebracht...

Lg!
It´s finally over!
Ich bin FREIIIIIII!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! :D :D :D :D :D

Re: danke bulimie...

#3
Ich finde die Aussage auch etwas zu extrem, das würde ja heißen, das Essgestörte durch ihre Krankheit den "anderen" etwas Voraus hätten, sozusagen "emotional überlegen" wären, was in meinen Augen völliger Quatsch ist..

Die Tiefen, die ich in meiner Therapie ergründen musste, waren nicht schön zu durchleben. Und das alles wäre ohne die Krankheit nicht nötig gewesen... für mich war es eine Notwendigkeit, mich auf diese Weise mit meiner Psyche auseinandersetzen zu müssen, aber sicherlich kein weg, den ich freiwillig gegangen bin... im Gegenteil, ich beneide die Leute, die alles auf die Reihe bekommen, Hobbys haben, sich beruflich engagieren, viel ausgehen.. ich dagegen bin 90 % des Tages in meinem Kopf gefangen, da hat nichts anderes mehr platz... JA, ich habe viel dadurch gelernt. ABER, ohne die Krankheit hätte ich manche dinge vielleicht auch von ganz alleine gewusst???!!!
ich kann nicht sagen, ob es besser wird, wenn es anders wird.
aber es muss anders werden,
wenn es gut werden soll.

Re: danke bulimie...

#4
Wollsocke hat geschrieben:

und am ende sagte sie : auch wenn es mir unendlich viel leid gebracht hat, auch wenn ich vielleicht niemals davon loskomme: ich danke gott, dass ich diese ES habe, denn ohne sie wuerde ich stumpfsinnig durch die welt laufen, mit nichts anderem beschaeftigt als den oberflaechlichkeiten die mir huelle der welt darzubieten hat.
das hört sich für mich viel eher nach jemandem an, der irgendwie resigniert hat. Und ich kenne beide Seiten. Ich laufe ja jetzt ohne ES auch nicht stumpfsinnig und oberflächlich durch die Gegend. Hab ich auch vor der ES nicht getan. Von daher, halte ich diese Aussagen einfach für verkehrt. Aber wenn mans vielleicht nicht besser wissen kann, isses verständlich auf so einen Schluß zu kommen. Vielleicht leichter, so damit fertig zu werden, dass man resigniert hat irgendwie. Man sucht sich ja Dauerleid nu auch nicht unbedingt täglich als favorite aus. Von daher, kann ichs schon nachvollziehen. Heißt aber nicht, dass es stimmt!

Re: danke bulimie...

#6
Nads' Theorie würde ich mich glatt anschließen.

Und noch etwas überspitzter: ich finde, in stark essgestörten Phasen wird man sogar eher weniger empfänglich für die Signale anderer. Zumindest geht es mir so. Wenn die Gedanken gerade um Essen und FAs kreisen, verschwendet man wertvolles kognitives Potenzial, das man für Kommunikation mit anderen aufwenden könnte. Essstörungen sind da eine eher egozentrische Angelegenheit. (Nicht bezogen auf das Grundproblem oder das Wesen des Betroffenen, aber mit Kommunikation und Empathie hat nur der reflektierende und gesundende Part etwas zu tun, nicht die Störung selbst.)
Zuletzt geändert von Keiko am Mo Dez 13, 2010 15:30, insgesamt 1-mal geändert.
"Denn wenn es eine Sünde gegen das Leben gibt,
so besteht sie vielleicht nicht so sehr darin, an ihm zu verzweifeln,
als darin, auf ein anderes Leben zu hoffen
und sich der unerbittlichen Größe dieses Lebens zu entziehen."

Albert Camus

Re: danke bulimie...

#7
ich glaube, dass wir uns alle irgendwie bei der ess störung bedanken können da sie uns für eine gewisse zeit geholfen hat zu überleben. aber ich denke auch, dass sie - wenn sie anfängt von uns besitz zu nehmen - stumpfsinnig macht. wie bereits geschrieben: man ist nur noch auf die sucht fixiert, dadurch egoistisch und unzuverlässig (merke ich derzeit bei mir ganz extrem!). von daher kann ich nicht so ganz zustimmen. obwohl - mit etwas distanz betrachtet schafft die ess störung letzendlich sicher eine andere perspektive auf die dinge. aber das würde ich nicht so ausschließlich sehen... hm, und was ich auch kritisch sehe: die frau scheint noch sehr an die ess störung zu hängen, besonders emotional. vielleicht schafft sie es deshalb seit 25 jahren nicht raus?
Wer die Vergangeheit in der Gegenwart lebt, hat für die Zukunft keine Perspektive...

Re: danke bulimie...

#8
sorry mel, aber die Essstörung hat uns geholfen zu überleben???

auf die idee würd ich nichtmal kommen. vielleicht verstehe ich es aber auch nur nicht...
ich kann nicht sagen, ob es besser wird, wenn es anders wird.
aber es muss anders werden,
wenn es gut werden soll.

Re: danke bulimie...

#9
ja - mir schon. sie hat mir geholfen (für eine gewissen zeit) mit bestimmten ereignissen in meinem leben klarzukommen. auch wenn es nur oberflächlich ist/war. solange, bis ich erkannt habe, dass ich hilfe von außen brauche. klar, irgendwann ist es umgeschlagen und die es wurde mehr zur belastung als unterstützung...
Wer die Vergangeheit in der Gegenwart lebt, hat für die Zukunft keine Perspektive...

Re: danke bulimie...

#10
Das mit der Überlebensstrategie ist schon nicht ganz falsch. Eine Essstörung kommt ja nicht aus dem Nichts und ruiniert fortan Dein Leben. Sie hilft zu verdrängen, (Auto-)Aggressionen abzubauen, whatever. Mit der Zeit gebraucht man seine Sucht als Schutzschild vor der Realität. Süchte haben ja auch immer eine Funktion, auch wenn sie an anderer Stelle noch viel mehr zerstören. Wären wir keine Essgestörten geworden, wären wir vermutlich Alkoholiker oder SVVler oder Spieler oder Junkies. Vielleicht hätten wir stattdessen auch Zwänge oder Angststörungen entwickelt, wer weiß?
"Denn wenn es eine Sünde gegen das Leben gibt,
so besteht sie vielleicht nicht so sehr darin, an ihm zu verzweifeln,
als darin, auf ein anderes Leben zu hoffen
und sich der unerbittlichen Größe dieses Lebens zu entziehen."

Albert Camus

Re: danke bulimie...

#11
Hi ihr Lieben!

Also ich sehe das ambivalent. Die Essstörung und die damit verbundene Therapie hat mich dazu gezwungen, mich mit meinen Problemen und den Problemen in meiner Familie auseinanderzusetzen und sie zu verstehen. Die Symptome meines vergrabenen Traumas nahmen halt so sehr Überhand, dass ich gezwungen wurde, mich mit den Gründen zu beschäftigen und das hat sicherlich zu viel mehr Verständnis geführt (In die seelischen Abgründer der menschlichen Psyche).

In der Zeit, wo ich mich mit den Gründen für meine Probleme noch nicht auseinandersetzen konnte, hat die ES mir "geholfen" durch den Alltag zu kommen. Aber nur, weil ich mich nicht wehren konnte. Der Druck, den normale Menschen nach Außen tragen, habe ich durch's Fressen und Kotzen reguliert.

Jede ES ist irgendwie ein zweischneidiges Schwert und bringt einem Einsichten, die man ohne sie vielleicht nie gehabt hätte, aber auch Probleme, die man ohne sie nie gehabt hätte.
Aber sie hat definitiv eine Funktion! Es ist ein Versuch mit dem Leben klar zu kommen, auf sehr verquere Weise! Ein verzweifelter Versuch!
"Es ist nie vorbei, es geht nie zu Ende, es hört niemals auf, jede gute Tat, jede Heuchelei, es nie vorbei, es geht immer weiter, also gib nie auf [...]!"

Re: danke bulimie...

#12
Für mich war und ist die Essstörung schon immer der Ausgangspunkt gewesen.. es fing mit einer Diät an, da war ich 12, dann kam die Magersucht, dann die Depressionen, die Ängste, dann die Bulimie, dann alles zusammen..

sicher ist das bei uns allen verschieden.. ich persönlich hätte wohl viele Probleme nicht bekommen, allein schon die Depressionen kamen mit dem Untergewicht, vielleicht hätte ich sie sonst nie bekommen??
ich kann nicht sagen, ob es besser wird, wenn es anders wird.
aber es muss anders werden,
wenn es gut werden soll.

Re: danke bulimie...

#13
Also zuerst mal: Ich hasse die Leute, die in einer SHG sitzen (oder Gruppentherapie) und nie was sagen. Man weiß nie, was in den Leuten vorgeht, aber sie nehmen Deine Gedanken mit.

Ekelhaftes Gefühl irgendwie.

Und ich hasse die Leute, die "komplette Sch**" zu etwas sagen, was Wollsocke offensichtlich bewegt hat.

Nads, es ging ja auch nicht um die Frage, ob man als Ehemalige wie ein Trampel durch die Welt läuft, sondern um Leute, die nie eine ES hatten (oder irgendeine andere psychische Störung oder vielleicht auch körperliche krankheit).

Ich finde an dem Gedanken ist absolut was. wenn ich mal an mich vor meiner ES denke. Gut, kann natürlich auch an meinem jugendlichen Alter gelegen haben. aber habe ich da groß Einfühlungsvermögen gehabt für ESler`Klar, sie taten mir Leid. Aber ich konnte das nicht nachfühlen. durch die ES habe ich eine ganz neue Welt erfahren. und wenn jemand dann ehemalig ist, geht diese Erfahrung ja nicht weg. Man lernt sich selbst kennen, seine Stärken, seine Schwächen..., seine Kloschüssel. ;) Klar, man kann das auch anders lernen. Ich denke, das ist so ähnlich wie mit Krebskranken, die erkennen, was ihnen wichtig ist im Leben. Okay, bei denen ist es vermutlich noch extremer. aber so die Richtung.

Und selbst wenn die Idee nicht stimmt, muss man sie ja nicht gleich so abwertend behandeln. selbst wenn es nur ein Trost für diese essüchtige Frau ist (und wollsocke gleich mit ;) ). Dann ist sie immerhin getröstet. Und sie wird weiter arbeiten an sich, ihren Problemen und ihrem Essverhalten.

lg

aire
Zuletzt geändert von aire am Mo Dez 13, 2010 16:59, insgesamt 2-mal geändert.

Re: danke bulimie...

#14
Ich störe mich ganz einfach an der Sichtweise, GOTT für etwas zu DANKEN, an was ich seit 25 Jahren LEIDE, weil ich angeblich ohne dies stumpfsinnig in der Welt laufen würde und mich mit nichts anderem beschäftigen würde als mit Oberflächlichkeiten.

Das hört sich für mich persönlich ziemlich verherrlichend an, denn woher will man das denn bitte wissen?? Nicht eine Krankheit (und damit meine ich welche auch immer) macht uns zu nicht-oberflächlichen Menschen, die plötzlich nicht mehr stumpfsinnig sind. Mag ja sein, dass es Leute gibt, die gewisse Weltanschauungen, und damit meine ich nicht nur bezgl. der Krankheit selbst, unter der man dann eben leidet, ändern und Dinge vorher so und nun eben anders sehen. Aber das kann ich doch sehr wohl auch ohne gleich jede Krankheit mitgemacht zu haben. Sonst müssten ja auch alle Nichtalkoholiker total stumpfsinnig und oberflächlich über Alkoholiker denken, nur um ein Beispiel zu nennen.

Natürlich hat man anfangs den Gedanken, dass eine ES hilft und ich will auch nicht in Abrede stellen, dass es für viele Menschen eine Art "Stütze" ist, um nicht wegen anderer Sachen zusammenzubrechen. Allerdings ist es m.E. doch ziemlich krass Gott für etwas zu danken, worunter ich 25 Jahre ohne Besserung leide, weil ich angeblich sonst ein oberflächlicher, stumpfsinniger (wertloser???) Mensch wäre. Woher will man das denn bitte wissen? Das hört sich ja glatt so an, als wäre ich ohne psychische Störungen gar nicht in der Lage Emphatie für irgendwas, sei es Menschen, Krankheiten oder what ever zu entwickeln. Und das ist faktisch falsch und meiner Meinung nach wertet man sich mit so einer Aussage als Mensch ab. Und als Mensch liebendwert, wertvoll oder nicht-stumpfsinnig und nicht-oberflächlich ist man nicht, weil man ne psychische Störung hat! Natürlich würde man sich "gesund" vermtl. nicht in Therapie begeben und dadurch Dinge lernen, die zwangsläufig Lösungen für das eigene angestrebt gesunde Leben beinhaltet, aber man macht das ja, weils nötig ist und weil man krank ist, da raus will, Verbesserungen sucht ect. und nicht um weniger stumpfsinnig oder oberflächlich zu sein.
Zuletzt geändert von Nads am Mo Dez 13, 2010 17:28, insgesamt 3-mal geändert.

Re: danke bulimie...

#15
Nads, ich möchte mich deinen Worten anschließen... Fand die ersten Worte von dir, aire, verletztend... aber egal. worum es mir im eigentlichen geht:

du hast geschrieben, dass es ein trost für die frau ist, dass sie einen nutzen aus der ess-störung hat: nämlich empathie, mitfühlen... für mich hört sich das nach emotionaler abhängigkeit an, an klammern! dabei ist doch loslassen (emotional aber auch ausgedrückt durch das handeln und die taten) enorm wichtig - ansonsten geht der kampf in das unendliche!
Wer die Vergangeheit in der Gegenwart lebt, hat für die Zukunft keine Perspektive...