Ich will mal versuchen euch meine Gedanken näherzubringen.

Es ist doch so, dass alle Bulimiker ein sehr ambivalentes Verhältnis zum Essen haben:
Einerseits hassen wir es von ganzem Herzen, *verachten* es, weil es dick macht und uns verführt, weil es ganz und gar schlecht ist!
Auf der anderen Seite aber *vergöttern* wir das Essen, wir lieben es über alle Maßen, denn es gibt uns in unserem Leben die einzige Möglichkeit, uns mal von allem abzuschotten, Ruhe und Zuflucht zu finden. Es ist immer da, wenn wir es brauchen und es liebt uns.
So. Ich bin zwar kein Psychologe, aber ich stelle es mir so vor, dass wir eigentlich ständig damit beschäftigt sind, Dinge unterbewusst zu bewerten. Das gibt uns ein Gefühl von Sicherheit. So nach dem Motto, von "oben" kommt ständig die Info: "Alles paletti. Ich finde mich gut in meiner Umwelt zurecht, hab alles im Griff."
Daher könnte ich mir gut vorstellen, dass dieser krasse Widerspruch über Essen, der ständig in unserem Unterbewußtsein herumspukt, eine extreme Stress-Situation in uns erzeugt. Sozusagen Dauerstress. Was meint ihr?
Dass irgendetwas in uns merkt: "Scheiße, das Wertesystem stimmt ja überhaupt nicht. Ist Essen nun gut oder schlecht oder beides? Verdammt! Wie soll ich es nur einordnen? Hilfe, was mach ich bloß?"
Kurz kann man sagen: Essen überfordert uns Bulimiker! Auch wenn es uns nicht immer so bewusst sein mag. Wir wissen es nicht einzuordnen und nicht damit umzugehen. Wir sind verunsichert. Es entsteht eine Konfliktsituation.
Warum ich das alles erzähle?
Nun, ich bin mit der Erklärung "Wir essen um Gefühle zu unterdrücken" manchmal nicht ganz zufrieden. Ich für meinen Teil habe oft FA ohne mir diese gefühlsmäßig erklären zu können. Fakt ist aber: Habe ich einmal angefangen zu essen, kann ich nicht mehr aufhören. Es geht nicht. Der Fressdruck hört erst auf, wenn alle Vorräte aufgebraucht sind.
Wie kann das sein?
Mich würde wirklich interessieren, wie ihr mit Überforderungen umgeht. Wie verhaltet ihr euch in Situationen, in denen alles zu viel wird? Bei mir ist es nämlich so, dass ich, wenn ich jetzt zum Beispiel eigentlich Berge für die Uni lesen müsste, erst gar nicht damit anfange. Ich blocke alles ab, ich mache dann einfach gar nichts.
Sobald mir etwas zu viel wird, verspüre ich oft den immensen Wunsch in mir, einfach im Bett liegen zu bleiben. Alle Konflikte weg-denken.
Meine Vermutung ist, dass es sich mit dem Essen ganz genauso verhält.
Warum stopfen wir mechanisch alles in uns rein, ohne zu schmecken, ohne irgendwas zu fühlen - und zwar immer, bis alles weg ist?
Wir versuchen die "Überforderung" (das Essen) loszuwerden. Es stellt für uns ein Problem da und wir wollen es nicht sehen.
Dieser innere Widerspruch zum Essen in uns, ist wie ein Pulverfass, das wir ständig mit uns herumtragen.
Es fehlt lediglich der entscheidende Funke (Beispiel ein negatives Gefühl) und alles geht in die Luft.
So erkläre ich es mir, dass selbst kleine negative Gefühle (wie Langeweile, Enttäuschung), FA-mäßig oft eine krasse Wirkung haben.
Für mich war nach dem gestrigen Abend wirklich zum allerersten mal so richtig klar, dass es bei der Bekämpfung der Bulimie erstmal nicht um abnehmen gehen darf, nicht um mehr Selbstdisziplin. Sondern um zweierlei:
1. Unserer Einstellung Essen gegenüber, sie muss eindeutig sein!
2. Unserem allgemeine Umgang mit Konfliktsituationen und
Überforderungen
Vorher hatte ich zwar immer gelesen, dass das Problem eines Bulimikers nicht das Essen an sich ist, aber gestern hat es erstmal so richtig "klick" gemacht. Das war irgendwie befreiend und ich hoffe, dass mir diese Einsicht irgendwie helfen wird.
Okay, das war's was ich loswerden wollte. Über eure Ansichten und Reaktionen dazu würd ich mich total freuen.

Liebe Grüße!