Re: Hunger? Was löst ihn aus? Ein Blick über den "Tellerrand

#16
Moin Moin,
ich finde eure Diskussion sehr interssant, ich glaube das es einer der konstruktivsten Auseinandersetzung mit dem Thema der Ursachen für die Essstörung halte, die ich hier seit langem gelesen habe.
Nur muss ich glaube ich auch faierer Weise sagen, dass es inzwischen vom ursprunglichen Thema von Rosenquarz ein bisschen mehr abweicht.


Dennoch zeigt es die vielschichtigkeit der Krankheit und auch die offensichtlichen Hintergründe und ich kann mir vorstellen, dass es hier vielen auch weiter hilft.
Ich zum Beispiel hatte nie das Bedürfniss, dass ich dadurch erkannt werde, sondern ich habe alles getan, dass es ja heimlich bleibt, das es mein Geheimnis ist, mein Weg alleine mit allem fertig zu werden, so dachte ich eigentlich immer.
Und ich merke auch jetzt, dass es eigentlich wieder mein Lösungsweg ist. Ich möchte halt für alle stark sein, ich möchte nicht mehr so angreifbar sein. Gleichzeitig merke ich auch, dass sich meine Symptome wieder verstärken und ich wieder wesentlich weniger meine Gefühle wahrnehmen kann.
Es überfordert mich auch einfach, meine Gefühle auszuhalten und sie fortwährend einzuordenen.

Re: Hunger? Was löst ihn aus? Ein Blick über den "Tellerrand

#17
Huhu,

hmm, da möchte ich auch noch etwas dazu sagen :)
feuille hat geschrieben: Wenn ich NG habe....wer schaut mich dann noch ein zweites mal an ?
Einmal sehe ich das Eines mit der größten Probleme an: Wenn man nicht „krank aussieht“, darf man in der Gesellschaft heute auch gefälligst nicht krank sein. Ja, meistens darf es einem noch nicht einmal schlecht gehen, man darf nicht traurig sein. Man soll lächeln und funktionieren.

Und da finde ich es wichtig -und auch ein Teil des Heilungsprozesses-, dass man lernt, sich diesen Raum zu nehmen und zu sagen: Ja, mir geht es schlecht und ja, ich bin traurig; aber ich muss nicht meinen Körper zum Leidtragenden machen, um das auszudrücken oder gar zu rechtfertigen.

Das muss jeder Mensch lernen, ob nun Bulimiker oder nicht; dass man nicht die schöne und wichtige Behausung seiner Seele zerstören sollte, sondern das Selbstbewusstsein erlangen, für sich selber und gegenüber anderen aufzustehen und dieses Recht einzufordern: Das Recht, dass man ein Mensch ist mit Gefühlen und kein verflixter Roboter. Es darf einem schlecht gehen! Man darf traurig sein!
Aber man muss sich nicht erst zu Tode hungern /kotzen, um das zu zeigen.
Bei Dünnen Menschen schau ich zB zweimal hin, empfinde sie allgemein als schöner, disziplinierter.
NG haben heißt für mich, sich nicht anzustrengen. Nichts für seinen Körper zu tun (obwohl ich mir mit meiner B auch nur schade...grotesk)

Teufelskreis. Was nützt mir eine Heilung, wenn ich das Endresutltat nicht ertragen kann, mich nicht ertragen kann?
Hier kann ich mich eigentlich direkt auf den oberen Text beziehen, denn somit ist für mich mittlerweile der gesunde Mensch auch gleichzeitig ein schöner Mensch.
Einer, der sich um sich selber kümmert – und das eben nicht, indem er scheinare Disziplin durch krankhaft kontrollierte Nahrungsaufnahme beweisen möchte oder besonders dünn ist. Sondern, der sich selbst erlaubt, menschlich zu sein ...und ganz wichtig: Der freundlich mit seinem Körper umgeht.


Ich denke ebenfalls, dass das einfach auch noch viel die essgestörte Sichtweise ist: Auch ich hatte früher diese extreme Eifersucht auf jeden dünneren Menschen und gemeint, daran wäre Schönheit und Wertigkeit zu messen. Das sind diejenigen, die sich anstrengen, die stark sind.
Nein... das sind diejenigen, die sich nicht anders ausdrücken können, als ihren Körper dabei zu zerstören und sich soweit selbst reduziert haben, dass es ihre einzige Messlatte geworden ist, weil sie sich nicht mehr anders zu definieren wissen.

Bei mir hat den Wechsel des Fokusses verursacht, als ich wieder begonnen habe, mich überhaupt mit dem Leben auseinander zu setzen. Das mag sich seltsam anhören, aber innerhalb der Krankheit ist doch diese elendige Konzentration auf das Essen & Aussehen, das Leben „von Mahlzeit zu Mahlzeit“ im Grunde der einzig tatsächliche Lebensinhalt, den man hat; denn egal, was passiert: DAS hat man. Die Sucht, die Krankheit, an der man sich festhalten kann und mit der man vom eigentlichen Leben davonläuft, denn egal was passiert: Nichts kann mehr wirklich an einen herankommen, solange man sich in seiner zwar qualvollen, aber zumindest sicheren „Blase“ befindet.

Wenn man sich gegen die Krankheit entscheidet, muss man sich damit wieder auseinandersetzen; mit der Instabilität und Unsicherheit des Daseins, mit den schlechten Gefühlen, mit der schrecklichen Angst vorm Leben.
Man lässt den Irrglauben los, Leben wäre so „einfach“, als dass man sich einfach über sein Aussehen definieren kann und darüber bestimmen, wie wichtig man ist, wie schön, wie wertvoll, wie stark.

Und jetzt kann ich definitiv sagen: Ich hab nen gutes NG und finde mich verdammt hübsch damit. A*rsch und Brüste und ein bisschen Schwabbel hier und da, wie sich das für einen gesunden Menschen eben gehört: Der perfekte Körper ist gerade deshalb so perfekt, weil er nicht perfekt ist (weder unsere Psyche noch unsere Körper sind eben robotermäßig ;) ) und: weil er GESUND ist.
Weil ich noch nie so leistungsfähig war und mich nie so ausgeglichen gefühlt habe.
Und genau das finde ich jetzt auch an anderen Frauen ziemlich sexy: Ein gesunder Körper und ein gesunder Mensch, der Ausgeglichenheit & Selbstbewusstsein ausstrahlt. Der sagt: Ich bin im Reinen mit mir selbst, ich liebe mich und bin mir so wichtig, dass ich mich gut um mich kümmere; um meinen Körper und um meine Seele.


Deshalb mein Gedanke an dich, Feuille: Wenn du gesund bist, dann wirst du dieses „Endresultat“ nicht nur ertragen können, sondern es sogar lieben :)
Bis zum Hals - ein Roman über Bulimie

Wer kämpft, kann verlieren.
Wer nicht kämpft, hat schon verloren.