Re: Bericht einer Ehemaligen

#46
Bevor ich dann jetzt 'losstürme'...

Liebe Honey,

nein, von mir null Proteste.

Ich finde das großartig, wie und was Du schreibst. Da merkt man richtig die power, den Elan und deine Bärenkräfte. Bleib das, vergisse es nicht (und v.a. greif vielleicht mal zum Telefon :-))

Bin stolz auf Dich.
LG,
Anna

P.S.: Habe da gerade einen Song gehört. Der wäre jetzt gerade vielleicht auch genau das Richtige für Dich: WE ARE THE WORLD
Zuletzt geändert von Antja am Do Okt 30, 2008 11:59, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Bericht einer Ehemaligen

#47
Hello again.

Ich weiß nicht, ob das Folgende zu verstehen/ nachvollziehbar ist. Trotzdem will ich es mal versuchen:

Also es geht noch immer um den "Status" der/ des Ehemaligen. Was für Probleme hat der/ die eigentlich? Quasi als Folgeerscheinungen, der Krankheit; wenn man so möchte.
Ich habe bzw. mußte wahnsinng viel über Psychologie lernen wegen dieser Krankheit. (So wird es vermutlich einigen von Euch auch gehen.) Psychologie ist aber nicht das, womit ich mein Geld verdiene. Ich habe andere Interssen. Psychologie war ein Interesse, das kam, weil es sozusagen kommen mußte: Wenn man halt krank ist, muß man sich halt etwas überlegen und damit auseinandersetzen.

Man könnte jetzt danach fragen: Wieviel Psychologie braucht der Mensch allgemein. Ist es sinnvoll - ohne entsprechende berufliche Qualifikationen, ohne einem alltäglichen strickten 'Arbeiten' mit demselben - psychologisches Wissen und Kenntnisse zu haben? Und zwar solche, die weniger aus Lehrbüchern - auch wenn man sie da durchaus quasi nachträglich nochmals aus anderer Feder verfasst so etwas wie 'rekapitulieren' kann - denn aus 'Lebenserfahrung' (um mal dieses schwertragende Wort zu verwenden, das eigentlich nur das beschreiben möchte, was manche von Euch vielleicht auch mitunter meinen, wenn sie sagen, sie würden sich innerlich wie eine/ein Funfzigjährige/r fühlen).
Ich kann das auch etwas rabiater formulieren: Was um Gottes Willen soll ich mit dem ganzen Zeug, das eigentlich einst aus einer Notsituation entstanden, denn jetzt noch anfangen? Wo soll ich das denn 'unterbringen'?

Manchmal denke ich: Eines Tages werde ich davon schreiben. Aber dieses 'eines Tages' scheint mir doch nach wie vor in etwas größerer Ferne. (Habe andere Verpflichtungen, muß völlig andere Dinge schreiben, um so etwas wie eine 'berufliche Qualifikation' bzw. einen Abschluß zu erlangen. Existenz-mäßig ist es also wichtig, dass ich das ersteinmal auf eine etwas 'längere Bank' rücke. (Und stattdessen hier schreibe...??))

Aber eines möchte ich bei meinem einmal mehr mir selbst nicht ganz und gar verstänlichen (Warum schreibe ich das???) Beitrag auch noch hinzufügen:
Daran (wie etwa ich damit umgehe, im "Vergleich", der Ähnlichkeit und der Differenz zu anderen) kann man aber auch (mal wieder und Gott sei Dank) sehr schöne sehen, dass wir alle sehr individuelle 'Geschichten' (und 'Charaktere') haben. Und man kann eben nicht sagen: "Bulimie ist..." Bulimie ist ja schließlich kein Virus. Ist keine 'Sache an sich', ist immer ein Lebewesen (bzw. wohl nur: ein Mensch; glaube nicht, dass Tiere das auch haben - aber: ich weiß es sicher auch nicht) mit 'Problemen'.

Ich habe lange überlegt, ob diese 'Probleme' 'in der Welt' liegen. Ob quasi diese Krankheit - wie auch andere - mitunter "sagt" und oder "zeigt", welche (großen?) Probleme wir hier gesellschaftlich oder auch sonst so haben. Ich weiß allerdings auch: Eßströrungen hat es schon lange vor dem 20sten Jahrhundert gegeben.

Ich möchte mal noch etwas sagen:
Ich finde es sehr schön hier auch einen Dialog, eine große Gesprächsrunde, quasi eine 'Kultur einer solchen' zu finden. Und das ist nicht wie in der Schule oder sonst wo, da jemand sagt: "So, wir finden, Sie sollten nuneinmal xy diskutieren."
Nein, hier besteht ein großes Interesse, 'von selbst', aus eigenem Antrieb, gar aus 'Not' (wenigstens aber aus einem mehr oder minder dringendem:) 'Beürfnis' über all das zu reden. Und ich frage mich: Wovon reden wir? Einsamkeit? Reden wir vom 'einsamen Menschen mit sich'? Haben wir das "Problem" diese Tatsache der Einsamkeit teils etwas zu früh in unserem Leben quasi 'erkannt' zu haben? Denn eigentlich ist es kein Problem. Eigentlich ist es natürlich, dass wir alle auch in einem partiell 'einsamen' Leben 'bestehen'. Anders: Jeder ist mal einsam, jeder ist bei sich.
Nur wollen wir nicht wirklich 'bei uns sein'. Lehnen es ab, diese Einsamkeit zu spüren.

LG, offen bleiben viele Fragen,
Anna
(und ich weiß zum Henker mal wieder nicht, was ich eigentlich so wirklich geschrieben habe; voller Überraschungen kann man sich ständig finden und 'entdecken'; "Amen.")

Re: Bericht einer Ehemaligen

#48
Mein Fazit ist glaub:

Es ist schwierig zu akzeptieren, dass man das (Bulimie) mal hatte.
Es war schon völlig indiskutabel gewesen, es zu haben (das habe ich nicht akzeptiert, zum Glück; also ich habe es kurz mal akzeptiert (Krankheitseinsicht), aber nur, um es zu überwinden). Aber jetzt muß man sich auch noch den Kopf darüber machen, ob man es akzeptieren kann, es GEHABT ZU HABEN.

Das ist doch besch..eiden.
Wie kann man das akzeptieren?

LG,
Anna
Zuletzt geändert von Antja am Sa Nov 01, 2008 15:13, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Bericht einer Ehemaligen

#50
Hey,

also ich denke nicht, dass die Bulimie etwas schönes und lebenswertes ist, das auf keinen Fall. Aber es hat mir auch etwas gebracht! Was? Ich habe angefangen mich mit mir auseinanderzusetzen, ich habe (wie du übrigens auch) mich sehr viel mit Psychologie beschäftigt und will jetzt nichts anderes studieren, ich habe dadurch mein Facharbeitsthema gefunden, ich habe jetzt ein Gebiet, wo ich sagen kann, dass es mich wirklich interessiert und ich auch schon gewisse Kentnisse habe :wink: und im Endeffekt habe ich durch diese Krankheit angefangen mich nach dem Sinn des Lebens zu fragen. Ich frage mich jetzt mehr, was ich eigentlich will vom Leben und wie dieses später einmal für mich aussehen soll. Ich denke, dass das schon ein positiver Aspekt ist, zumindest für mich. Am besten ist es doch immer noch, wenn man (wie du) sagen kann: Hey, ich hatte ne echt schlimme Zeit, aber ich habe diese überwunden und werde die Fehler von damals bestimmt nicht mehr so schnell wiederholen! Sei stolz auf dich! Nicht viele können von sich behaupten so eine schwere psychische Erkrankung, wie die Bulimie überwunden zu haben :D.

Lg Honey :idea:

Re: Bericht einer Ehemaligen

#51
Liebe Honey,

erstmal: Danke für Deine wirklich sehr aufmunternden und 'wohltuenden' Worte.

Und dann:
Ich finde es toll, dass Du Freude an der Sache (Psychologie) gefunden hast! Und ich würde Dir auch nicht von einem späteren Studium der Psychologie abraten. Im Gegenteil: Wenn Du wirklich so großen Spaß daran hast: Wunderbar, mach das!

Und Du hast Recht: Den Sinn des Lebens zu ergründen, das war auch bei mir ein wesentliches 'Nebenthema' der Eßstörung gewesen. V.a., dass man kapiert: Leben, ist nicht einfach und immer da, um es mit sozusagen 'allem möglichen Sch...' zu verschwenden. Und es muß keine große Kathastrophe passieren (die hatten Leute wie du und ich ja quasi zudem auch schon...), um das zu kapieren. Leben ist immer wertvoll, nicht nur in den bombastischsten Momenten.

LG,
Anna
P.S.: Hoffe Schule hat gut angefangen oder fängt gleich gut an... :!:
Zuletzt geändert von Antja am Mo Nov 03, 2008 1:43, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Bericht einer Ehemaligen

#52
Hallo, Anna1!
Ich habe lange überlegt, ob diese 'Probleme' 'in der Welt' liegen. Ob quasi diese Krankheit - wie auch andere - mitunter "sagt" und oder "zeigt", welche (großen?) Probleme wir hier gesellschaftlich oder auch sonst so haben. Ich weiß allerdings auch: Eßströrungen hat es schon lange vor dem 20sten Jahrhundert gegeben.
Und zu welchem Schluß bist du gekommen?
Ich denke auf jeden Fall, daß es eine Äußerung auf Umstände und Befindlichkeiten ist, wenn Seelen "erkranken" (finde das Wort unpassend) bzw. es ihnen "schlecht geht". Nach außen sichtbar wird es, bemerkbar macht es sich u.a. als Bulimie, Depression usw. oder auch als andere körperl. Erkrankungen. Viele Menschen kommen in dem System des Zusammenlebens (oder negativ: Entgegenlebens) und allem was sich daraus an Lebenswelt ergibt, bzw. an Lebenswelt übrig bleibt, nicht zurecht. Es wird Schaden zugefügt, man wird eingeschränkt etc.
Und daß es Eßstörungen auch vor dem 20Jh. gab, spricht ja nicht gegen die These, daß Bulimie als ein Anzeiger für persönliches Befinden und dann im größeren Zusammenhang betrachtet als Resultat der (Welt)Umstände, angenommen werden kann.
Mir fällt dazu ein: indigene Völker leben friedlich und nahezu gewaltfrei, frei von psychischen Erkrankungen bis ins 21. Jh auf der Erde. Es muß also auch anders gehen. Und zwar so, daß der Mensch, wie jedes Lebewesen, als Ich auf der Welt leben kann, ohne solche negativen Einflüssen auf die Seele.
Insofern finde ich deine Frage eine ganz tiefgehende und ich bin der Meinung, daß Krankheiten sehr wohl Symptom für die Weltbefindlichkeit sind.

Grüßle, Frau Wankelmut
Jeder Mensch ist ein Abgrund. Es schwindelt einem, wenn man hinabsieht.

Georg Büchner

Re: Bericht einer Ehemaligen

#53
Liebe Frau Wankelmut,

ich bin so recht noch zu keinem Schluß gekommen.

Wenn diese Gesellschaft tatsächlich so dermaßen schlecht 'läuft', dass hier quasi 'alle' "ersticken", dann müßte ich eigentlich morgen die Revolution ankündigen, denn es könnte nur besser werden.
Dem würden aber nicht alle zustimmen. Manche viele können hier einiges genießen.

Ich glaube die Sache ist sehr differenziert zu sehen.

Wie oft würde ich gerne von Liebe schreiben, und das dem mal wieder mehr Wert zukommen sollte. Aber dann erlebe ich wieder tolle Gesprächsrunden, Gesellschaften, in denen sehr viel Liebe herrscht (zumindest für einige Stunden), und ich frage mich, wieso sich das nicht auf Dauer 'transportiert'.

Ich weiß nicht, ob wir hier nicht alle zuviel arbeiten. (Also in dieser Gesellschaft.) Man muß wohl oder übel sein halbes Leben über seinen Beruf (oder Nicht-Beruf) definieren. Das scheint mir eine ziemliche 'Verkürzung des Menschen', um es mal so zu sagen.

Ich kenne verhältnismäßig viel 'negative' Philosophie, die nur noch von Zer- oder Verfall sprechen kann. Das erleben wir ja schon seit x Jahrzehnten. Also zumindest seit ich lebe, ist das so das Programm: 20xx wird die Welt eh schon fast gar nicht mehr wirklich bestehen. Der Mensch wird quasi immer 'schlechter' usw.

Ich resigniere davor. Um es ganz ehrlich zu sagen. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich manchmal dumm bin, manches weder weiß, kann, noch verstehe. Und das erweißt sich fast als Mutprobe.
Mein Hirn ist voll von 'emotionalen Gebilden' und man sagt mir: Normal ist es alles rational zu sehen und zu verstehen; emotional können Sie bei sich zuhause dann wieder sein, werden, bleiben - wie auch immer.

Wettkampf scheint mir auch ein großes Element zu sein.
Aber man müßte schon sehr, sehr weit zurückgehen, um zu einer Zeit ohne Wettkampf zu gelangen. Es scheint mir fast nicht anders in der Natur des Menschen zu liegen.

Manchmal denke ich: Ein Vortrag vor einer größeren (wissenschaftlichen) 'Gemeinde' müßte so aussehen: Man fängt an zu weinen.


Das klingt jetzt gerade alles gar nicht so, aber: Ich habe mich sehr gefreut hier diese Worte von Dir zu lesen. Verrat' mir nur eines: Wie könnten wir an solchen Dingen etwas ändern? Ich meine das ernsthaft. Bin offen für alle - das Unwort des Jahres: - 'Innovationen'.
Ich bilde mich wie eine Blöde - also ich versuche es - und trotzdem scheint es mir noch immer, als ob ich nichts sagen könnte. Mehr noch: Ich bin fast schon darüber hinaus, sehe bald gar keinen Sinn mehr im Reden.

LG,
Anna

Re: Bericht einer Ehemaligen

#54
"An alle Häfen und Boote",

ich denke jetzt mal nicht, ich erkläre nicht, ich schreibe einfach:

Ich bin noch immer nicht glücklich. Ich lasse mich noch immer 'kommandieren'. Noch immer mache ich nicht immer das, was ich nur machen möchte. Noch immer lasse ich mir mein Leben viel von anderen bestimmen.

"Breaking chaines" ist gut, aber manchmal muß man wohl auch den besten Moment dafür abwarten. Und der beste Moment dafür ist mir jetzt gerade nicht gegeben.


Bin verliebt in jemanden, aber der macht nicht gerad Anstalten, mich zu sehen oder mir zu begegnen.
Und ich verstehe immer nie, warum immer scheinbar nur ich mich irgendwo wohlfühle. Warum das nicht gegenseitig ist. Ich denke immer: wenn da vom anderen überhaupt nichts wäre, würde ich mich dann überhaupt in dieser Weise wohlfühlen? Und warum kommt da nichts, was mache ich denn so falsch in diesen Dingen.

Re: Bericht einer Ehemaligen - I have a dream

#55
Guten morgen! :)

An erster Stelle will ich sagen: Einige von Euch kenne ich jetzt schon ein bißchen besser. Auch aus dem chat "usw." Und ich finde es großartig hier doch tatsächlich auch 'so etwas wie' FreundInnen gefunden zu haben. 'So etwas wie' sage ich, weil es noch recht früh ist, um das 'auszurufen', aber auch, weil dieses Internet - obwohl es brutal viel Hilfe ist - auch ein bißchen eine "Hürde" darstellen kann: Man sieht sich nicht; es ist alles nicht so, wie die Freundschaften, die man sonst so schließt, weil man sich auf Parties usw. trifft/ begegnet.

Sich hier zu begegnen ist aber sehr 'cool'.
Ich genieße den 'Schutz', dass hier doch alle mit einem ansonsten 'Nebenschauplatz' in meinem Leben (Bulimie gestern, heute, morgen - etwas dumm formuliert) sozusagen 'vertraut' sind, und man nicht das Problem hat: wie soll und kann ich es ansprechen, ohne mir und oder anderen zu 'schaden', zu viel, zu wenig oder einfach falsches im falschen Moment zu 'verlangen'.
Obwohl ich schon länger wieder gesund bin: Seit ich hier bin, bin ich 'anders gesund', besser. (Wer ist schon 'gesund'. / Was ist 'gesund'. Ich fühle mich jedenfalls irgendwo 'erfüllter', noch mehr bei mir usw., seit ich hierher gekommen bin.)

In meinem Erleben ist es jetzt nicht mehr so, dass ich das Gefühl habe, ich stünde in einer Gesellschaft völlig außenvor, nur weil ich mal 'etwas andere Zeiten' erlebt hatte. Andere Zeiten, als sich da so manche auch nur immaginieren könnten.
Normalerweise sagt man "I have a dream", und dann freut man sich, wenn andere diesen 'dream' mit einem Teilen. Hier habe ich keinen 'Traum' bzw. ich habe nicht den Traum von größeren Visionen, aber doch habe ich hier auch einen Traum, und auch einen Traum zum Teilen. Und es gibt diesen Traum hier, und er lässt sich auch in der Tat verwirklichen: ... that I will, one day, live in a nation, where I am not juged by the measure of my health or healthy feeling, but by... the content of my character.
So this here is sort of like living a dream, sort of beeing in a 'nation' mit erträglichen 'Standards'.

LG,
Anna (For a good mood: http://de.youtube.com/watch?v=AJ3snsZ1Jco)
Zuletzt geändert von Antja am Do Nov 06, 2008 8:24, insgesamt 3-mal geändert.

Re: Bericht einer Ehemaligen

#56
Hey Anna

das freut mich echt, dass du dich hier so wohl fühlst!! Ich hoffe ich zieh dich mit meinen depri-Phasen runter....! Ich finde es toll, wenn Ehemalige noch so aktiv sind und versuchen anderen Ratschläge und Unterstützung zu geben! Du hast mir schon sehr geholfen! Ohne dich weiß ich echt nicht, was ich gemacht hätte (Thera un so) :shock:
Ich bin froh Leute hier zu finden, die mir zuhören und meine Probleme ernst nehmen... gerade weil ich auch noch keine Thera habe. Ohne das Forum würde es mir wesentlich schlechter gehen (obwohl ich noch vor kurzer Zeit anderer Meinung war) ...

LG

Honey

Re: Bericht einer Ehemaligen

#57
liebe anna,

als ehemalige hast du echt eine leistung vollbracht. ich glaube, du nützt dieses forum hier auf eine art und weise, die dir gut tut - nämlich um dich ständig weiterzuentwickeln, dir neue gedankenanstöße zu holen, anregungen, geistige herausforderungen. das finde ich echt toll.

ich bin gerne hier, weil es leute gibt, die ... sagen wirs mal so, auf einem gewissen geistigen level sind, nicht nur im bezug auf die krankheit. und mich mit denen auszutauschen, finde ich schon bereichernd. leider gibt es auch solche, die (nicht nur) bulimie-mäßig, entwicklungsmäßig, einfach noch nicht so weit sind.

und ich hab auch den eindruck, dass du dich (unter anderem!) durch deine krankheit so weiterentwickelt hast, dass du dich deshalb etwas abseits der gesellschaft siehst/fühlst ...

wollt ich nur mal so loswerden ;)

Re: Bericht einer Ehemaligen

#58
Hallo, Ersteanna!
„Wenn diese Gesellschaft tatsächlich so dermaßen schlecht 'läuft', dass hier quasi 'alle' "ersticken", dann müßte ich eigentlich morgen die Revolution ankündigen, denn es könnte nur besser werden.
Dem würden aber nicht alle zustimmen. Manche viele können hier einiges genießen.“
Na, du bist doch „revolutionär“. Jedenfalls vom Denken her. Du setzt dich doch gerade mit diesen Fragen auseinander. Das überhaupt zu hinterfragen, die mißliche Lage der Menschheit zu erkennen, das ist doch schon ein Aufbegehren, eine Einsicht, zu der viele gar nicht kommen/es nicht verstehen.
Und nur weil partielle Freude und Genuß gelingt, oft auch länger anhaltend, so relativiert dies nicht das Grundproblem, die Unzufriedenheit, den Leidensdruck der Menschen.
„Ich glaube die Sache ist sehr differenziert zu sehen.“
Ja und nein. Wie gesagt, als übergeordnetes Problem betrachtet, ist die (allgemeine, verbreitete) seelische Schieflage mehr Fakt als im persönlichen Lebenswirrspiel begründete, zufällige Unglückssache.
„Wie oft würde ich gerne von Liebe schreiben, und das dem mal wieder mehr Wert zukommen sollte. Aber dann erlebe ich wieder tolle Gesprächsrunden, Gesellschaften, in denen sehr viel Liebe herrscht (zumindest für einige Stunden), und ich frage mich, wieso sich das nicht auf Dauer 'transportiert'.“
Ein heilsamer Weg für jede Persönlichkeit ist es doch sicher, der Liebe mehr Raum zu geben. Sie mehr zuzulassen. Du schreibst, du würdest das gerne tun. Was hindert dich? Hält dich ab?
Ja, eine essentielle Frage, warum sich solche Perioden des Glückes, Wohlfühlens, gerade in der Gemeinschaft, nicht länger weiter und mehr transportieren...Hm.
Vielleicht tut es das doch, nur die Wirkung ist schleichend, unbemerkt? Fakt ist, daß solchen guten Erlebnisse eine Wirkung haben. Eine Nachwirkung. Man sieht es ja an dir, es bleibt dir als gutes Ereignis im Gedächtnis, man kann z.B. davon zehren, es kann motivieren, es verändert die Stimmung. Insofern transportiert es sich doch. Aber eben nicht als revolutionäre Umwälzung für alle. Leider. Das ist dann eben trotzdem....frustrierend. Aber man kann niemandem zum Glück zwingen, niemand mit der Nase draufstoßen. Für sich solche Prozesse zu erkenn und dann etwas zu verändern, für sich, das liegt in der Eigenverantwortung eines jeden selbst. Oft hilft da reden eben nicht. Es kann vielleicht ein Steinchen ins Rollen bringen. Ja. Aber Eigenarbeit zur (Selbst)erkenntnis muß jeder für sich alleine aufbringen (wollen).
„Ich weiß nicht, ob wir hier nicht alle zuviel arbeiten. (Also in dieser Gesellschaft.) Man muß wohl oder übel sein halbes Leben über seinen Beruf (oder Nicht-Beruf) definieren. Das scheint mir eine ziemliche 'Verkürzung des Menschen', um es mal so zu sagen.“
Oh, ja! Stimme voll zu! Obwohl die Sache ja so ist: Selbst für Jäger-und Sammlergesellschaften ist herausgefunden worden, daß für einen guten Lebensstandard 3-5 Std Arbeit täglich genügen. Und im Prinzip ist Arbeit ja auch Freude. Spielfreude. Bzw. sollte Spielfreude sein. Aber in unserem Gesellschaftsmodell wurde das durch Zwang ersetzt. Persönliche Talente und Veranlagung übergangen. Da bleibt wenig Freude übrig.
„Ich kenne verhältnismäßig viel 'negative' Philosophie, die nur noch von Zer- oder Verfall sprechen kann. Das erleben wir ja schon seit x Jahrzehnten. Also zumindest seit ich lebe, ist das so das Programm: 20xx wird die Welt eh schon fast gar nicht mehr wirklich bestehen. Der Mensch wird quasi immer 'schlechter' usw.“
Von welcher Philosophie sprichst du? Ich habe z.B. Schopenhauer verschlungen und ihn ganz positiv aufgefaßt, obwohl die gängige Lehrmeinung ihn als Negativphilosophen hinstellt. Hm.
Ja, das ist ebenfalls so ein eingetrichtertes Bild. Der Mensch als entweder grundsätzlich schlecht oder als unausweichlich irgendwie schlecht etc.
Zeitgeist.
Ich sehe das mittlerweile anders. Ich bilde mir MEINE Meinung. Ganz neu, auf jedem Gebiet. Ich glaube nichts mehr, besonders nicht den angeblichen unumstößlichen Lehrmeinungen und angeblichen Naturgesetzen.
„Ich resigniere davor. Um es ganz ehrlich zu sagen. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich manchmal dumm bin, manches weder weiß, kann, noch verstehe. Und das erweißt sich fast als Mutprobe.
Mein Hirn ist voll von 'emotionalen Gebilden' und man sagt mir: Normal ist es alles rational zu sehen und zu verstehen; emotional können Sie bei sich zuhause dann wieder sein, werden, bleiben - wie auch immer.“
Letzterer Satz ist wieder typisch „unser Zeitgeist“. Grauenhaft. Ratiomist.
Emotion und Empfinden ist eine Gabe und befähigt zu so vielem. Es erscheint nur als hinderlich und wirkt sich letztendlich auch oft so aus, da ein anderes Lebenskonzept vorgegeben wird, das richtiger und besser, effizienter sein soll. Nicht resignieren. Aus Emotionen Energie schöpfen. Eventuell auch gerade aus der Wut heraus, daß du angeblich was falsch machst, wenn du ein fühlender Mensch bist.
„Wettkampf scheint mir auch ein großes Element zu sein.
Aber man müßte schon sehr, sehr weit zurückgehen, um zu einer Zeit ohne Wettkampf zu gelangen. Es scheint mir fast nicht anders in der Natur des Menschen zu liegen.“
Wettkampf ohne Schaden zuzufügen liegt sicher in menschlicher Natur. Allein die Assoziation Wettkampf=eher negativ zeigt wieder oktroyierte Deutung durch unsere „Erziehung“ (also allgemein, nicht nur auf Eltern etc. bezogen)
Im Prinzip der gleiche Mechanismus wie mit dem Glaube bzw. gar angeblichen Sicherheit, daß der Menschen schlecht ist...
„Manchmal denke ich: Ein Vortrag vor einer größeren (wissenschaftlichen) 'Gemeinde' müßte so aussehen: Man fängt an zu weinen.“
Das ist schön. Ein schönes Bild.

„Das klingt jetzt gerade alles gar nicht so, aber: Ich habe mich sehr gefreut hier diese Worte von Dir zu lesen. Verrat' mir nur eines: Wie könnten wir an solchen Dingen etwas ändern? Ich meine das ernsthaft. Bin offen für alle - das Unwort des Jahres: - 'Innovationen'.“
Klingt nicht negativ für mich! Im Gegenteil. Hört sich eher so an, als stößt du nicht auf so viel Resonanz mit deinen Absichten, deshalb der betrübte Ton. Oder? Hast du jemanden, der solche Gedanken mit dir teilt und ähnliche Sichtweisen hat?
Wie man an den Dingen etwas ändert, im kleinen, daß habe ich schon angedeutet mit meinen Reaktionen auf deine Aussagen, oder?
Ich kann nur sagen, daß ICH das Gefühl habe, daß sich etwas verändert. Zum positiven. Auf breiterer Ebene.
„Ich bilde mich wie eine Blöde - also ich versuche es - und trotzdem scheint es mir noch immer, als ob ich nichts sagen könnte. Mehr noch: Ich bin fast schon darüber hinaus, sehe bald gar keinen Sinn mehr im Reden.“
Antworten liegen nicht in Büchern. Hinweisschilder lassen sich dort finden. Das fällt mir dazu ein...hm.

Grüße, Frau Wankelmut!
Jeder Mensch ist ein Abgrund. Es schwindelt einem, wenn man hinabsieht.

Georg Büchner

Re: Bericht einer Ehemaligen

#59
Liebe Frau Wankelmut,

erstmal danke für den netten Namen... :)

Ich bin kein Freund von Revolutionen.
Nur von Evolutionen, und das hast Du ja schon angesprochen, sogar, dass Du das Empfinden hast, eine solche würde in positiver Weise stattfinden.
Ich weiß nicht, ob dem so ist, und da tatsächlich etwas stattfindet. Ich würde es jedoch auch nicht komplett verneinen. Würde es für richtig halten, das vorsichtig zu betrachten und einzuschätzen, und dann auch damit imzuegehen; wenn dem denn so wäre. Also das jedenfalls ist mein Verhalten.

Ich weiß auch nicht: Wenn ich an der Uni bin, komme ich mir zuweilen mächtig blöd vor. 'Dumm' könnte man es auch nennen. Das Gefühl habe ich weniger, wenn ich mich 'im stillen Kämmerlein' befinde, aber das ist ja auch gerade glaub das, was Können wäre, wenn man es schafft sich auch als Teil von einer Gesellschaft nicht irgendwo manches Mal irgendwo für viel zu blöd zu fühlen. Bzw.: Glaube Gedanken müssen sich 'erproben'. Ich jedenfalls bin absolute Demokratin.

Aber ja, vielleicht hast Du recht. Vielleicht sind wirklich positive Dinge 'im Gange'. Vielleicht.

In jedem Falle Danke ich Dir für Deine Antwort. Und: Ja, Ansätze/ -stöße zu einem sozusagen 'praktischen' Verhalten hast Du gegeben!

Von alledem abgesehen: Ich finde alleine, nur mal für sich, sein persönliches Leben nach den persönlichen Werten und Wertevorstellungen anzugehen, ist schon schwierig in sich. Da brauche ich quasi keinerlei 'Welt' zu 'verändern': Alleine meine Tugenden (um es mal so zu nennen) können sich nur sehr viel und weit 'erproben'. Wenn ich allerdings merke, ich stoße da an äußere Grenzen, dann suche ich schon Wege die zu überwinden. Nur meistens änder ich dann mich, nicht aber diese von außen gegebenen Grenzen.
So ähnlich... Oder so.

LG,
Anna

Re: Bericht einer Ehemaligen

#60
Liebe Chili,

ich hatte Deine Worte heute mittag vor der Uni gelesen. Da war keine Zeit mehr bei mir noch zu antworten... deshalb: Mache ich das jetzt! :)
ich bin gerne hier, weil es leute gibt, die ... sagen wirs mal so, auf einem gewissen geistigen level sind, nicht nur im bezug auf die krankheit. und mich mit denen auszutauschen, finde ich schon bereichernd.
Das finde ich auch ganz schön beschrieben.

Und: Ja, vielleicht hast Du Recht, vielleicht kann so eine Krankheit tatsächlich auch ein bißchen (bei einem selbst) 'Tore öffnen'. Vielleicht lernt man ein bißchen sich seine (vll auch generell alle) Grenzen etwas weiter zu setzen. Vielleicht schafft das eine Art Freiheit (im Fühlen UND Denken).
Ich habe nie darüber nachgedacht. Aber es würde Sinn ergeben. (Und da, schon wieder eine Grenze...! :) Also erfolgreich gebrochen! ^^ :))

LG,
Anna
Zuletzt geändert von Antja am Do Nov 06, 2008 19:29, insgesamt 1-mal geändert.