Re: Bericht einer Ehemaligen

#136
Anna1 hat geschrieben:Ich nehme mir zwei Wochen frei. Zwei Wochen gerechnet auf 10 Jahre Bulimie ist nämlich gar nichts.
Du hast deinen Dozenten von der Bulimie erzählt? :shock:

Ich hoffe, du wirst im restlichen Semester nicht krank, wenn du jetzt alle Fehltermine aureizt. :shock:

Re: Bericht einer Ehemaligen

#137
Liebe aire,

ich war in zehn Jahren nicht einmal krank gewesen.

Zudem: Ja, ich habe davon erzählt. Ich habe das nun getan, ein einziges Mal in meinem Leben. Ich habe kein Problem damit. Würde ich es nicht tun, und morgen vor Erschöpfung in der Klinik liegen, würde keiner sagen: Oh, Sie waren aber tapfer gewesen! Man würde sagen: Aber Sie wußten es doch.

Beste Grüße.
Zuletzt geändert von Antja am So Nov 16, 2008 23:40, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Bericht einer Ehemaligen

#138
Ich muß dafür ja ein Attest abgeben. Und es ist nicht so, dass ich jetzt in Urlaub gehe.
Ich übernehme Verantwortung dafür gesund und fit zur 'Arbeit' (auch wenn's gar nur das Studium ist) zu gehen.

Finde es etwas komisch, wie Du reagierst.
Seit ich lebe erbringe ich - auch mal gerne auf meine Kosten - die besten Leistungen, die ich je zu erbringen im Stande bin.
Ich glaube nicht, dass ich mich schämen sollte.

Re: Bericht einer Ehemaligen

#140
Ich könnte durch alle meine Seminare jetzt durchfallen und würde noch immer schneller und besser studieren, als viele andere.

Ich weiß nicht, was Du hören willst, aber: Ich war nicht einmal krank gewesen.

Meinen Klinikaufenthalt hatte ich damals um zwei Wochen verkürzt, um rechtzeitig zum Semester zu kommen.
Ich habe Jahre lang gekotzt, und ich war nicht einmal jemals irgendwo 'auffällig' gewesen. Im Gegenteil: Ich habe anderen geholfen.

Re: Bericht einer Ehemaligen

#141
Warum sollte ich nicht von meiner Bulimie erzählen? Ich WAR bulimisch, und ich höre andere, die sich entschuldigen, weil sie zu einem Fußballspiel gehen.

Entschuldige, aber: Ich habe einiges vermisst in meinem Leben, und ich werde von zwei Wochen sicherlich nicht reicher werden.

Re: Bericht einer Ehemaligen

#143
Ich kann die Heimlichtuerei der Bulimie nicht leiden. Davon ist noch nie was besser geworden.

Es ist doch nicht in etwa einfach, da jetzt hinzugehen und mich so "auszuziehen". Ich mache das doch nicht gerne.
Ich mache das, nachdem ich gefühlte fünfzig Jahre auf die Zähne gebissen habe. Ich mache das, um mich zu 'befreien'.

Ich finde es nicht edel, zu schweigen bzw.: ich habe lange genug geschwiegen. Und ich kann es auch gleich sagen: Das interessiert niemanden.
Irgendwann ist man erwachsen, und dann ist es einfach mal egal, wie hart irgendwas davor gewesen: so oder so: man muß zu allem stehen.

Und ich jedenfalls werde mir keinen Moment hilflos zusehen, wen außenherum fünf andere stehen.

Gesellschaft ist nicht nur in größeren öffentlichen Debatten, auf Marktplätzen und oder Kongressen. Gesellschaft ist in jedem Moment des Lebens.
Ich bin ein schwaches Glied davon, aber ich kann trotzdem, und mit Herzen, dazu stehen. (Und in allen anderen Fällen, wäre es auch völlig absurd, Philosophie zu studieren.)

Re: Bericht einer Ehemaligen

#144
Man muß nicht 80 werden, um den -

Was meinst Du, wie oft ich wegen meiner Emotionen/ Emotionalität ausgenutzt werde?
Ich habe das Recht, manchmal - nur zum Selbstschutz - etwas zu verlangen.

Und es ist nicht so, dass dadurch die Dinge bei mir einfacher werden. Aber ich bin gesund, und kann (rein physisch) leben.

LG

Re: Bericht einer Ehemaligen

#145
Ich mache jetzt einmal (einmal) etwas, was ich schon vor "hundert" jahren hätte machen sollen: Ich nehme mir eine Pause.
Und hätte ich das in einem Moment gemacht, da ich damals zu so etwas aber noch nicht fähig gewesen, dann hätte ich diese Bulimie niemals bekommen.

Leute mit 50 oder sonst noch was, jammern herum, weil der Busfahrer eine Hose anhat, die ihnen nicht passt. Elendige Spießer.
Ich bin 27, ich habe mein halbes Leben eh schon verloren, und ich jammere nicht herum, ich sage nur: den Rest lasse ich mir nicht auch noch "nehmen".

Nomen est omen. Ich habe (noch) keinen Namen, aber für mich selbst mache ich mir einen. Ich werde mir jedenfalls nicht beim Sterben zusehen, nur weil ich zu bescheiden war, mich mal zu äußern.

Ich bin 27, und muß lernen, zu entspannen. Was bitte, ist denn da (gesellschaftlich) schiefgelaufen! Ich fange ja schon an zu heulen, wenn jemand mal ne Stunde Freizeit mit mir nur für mich, nur zu Vergnügen gestaltet. Das fühlt sich bei mir an, als hätte ich Engel gesehen.


Heute ist mein letzter Uni-Tag für die nächsten beiden Wochen. (Dieses Seminar heute konnte ich mir ausgeschlossen "frei" nehmen.) Kann mir keinen Uralaub (keine Reise irgendwohin) leisten, aber ich kann mal mein Leben aus anderen Perspektiven sehen.
Meine Freundinnen finden gut, dass ich das mache. Und ich habe auch nicht vor, auf irgendjemand anders zu hören.

Ich bin mit einer Pfütze Regen zufrieden, wenn sich Dinge darin schimmern. Ich habe überhaupt keine besonders größenwahnsinnige Erwartungen vom Leben. Aber ich erwarte doch zumindest, DASS ich lebe.

Und zudem weiß ich: Ich schenke anderen auch viele Dinge. Ich schenke anderen nahezu immer Aufmerksamkeit und Lächeln. Nahzu immer und ohne Ausnahmen.
Und ich tue das nicht, weil ich so blöde im Hirn bin, und nichts als dumm herumlächeln könnte. Ich tue das, weil ich weiß - warum auch immer: - ein Lächeln ist verdammt hart zu bekommen, und dabei ist es so billig, es zu geben.

Ich höre Menschen aufmerksam zu, frage sie zu ihren erwähnten Themen, und dann fragen die mich: warum wollen Sie das wissen??? Die sind misstrauisch! Kann man das verstehen?! Würde ich sagen: Naja, Sie wollten doch davon erzählen., dann würden die mich anschauen, als wäre ich eben vom Mars herabgestiegen.
Ich brauche doch keine Motive, um jemandem mal zuzuhören.
Ich verbringe ganze Stunden damit Dinge zu machen, die bedeutend bedeutungsloser sind,von denen die gleichen Leute aber behaupten diese würden Leben ausmachen. Das behaupten die leute, die noch nicht einmal merken, wenn sie einfach mal auch nur reden wollen.

Ich habe 50-Jährigen zugehört, die es besser hätten wissen sollen. Und die denken: ach wie schön, ein junger Mensch, noch mit Naivität geschlagen.
Meine Naivität, und das klingt jetzt böse, die habe ich 'mit dem Finger im Hals' verloren. (Schön wäre es, es wäre nur der Finger gewesen.)

Ich habe einen letzten Gang heute (Uni), und dann 'beginnt mein Leben'.
Und es ist nicht so, dass ich jetzt nicht auch noch diese zwei Wochen hätte durchackern können (mit einem Lächeln), aber ich muß nicht so lange warten, bis ich keine Kraft mehr habe, mich auch nur in Ansätzen mal auszuruhen.
Ich gehe nicht aus Schwäche. Ich gehe, um meine schon, gerade und wieder vorhandenen Stärken zu fördern.
Ich gehe nicht, weil ich jetzt nicht mehr kann. Ich gehe, weil ich bislang geackert habe, um mir das einmal zu 'leisten'. Ich gehe, um einmal noch kurz, nur einmal, durchzuatmen. Und ich gehe auch, um mich selbst so ernst zu nehmen, wie ich mir wünsche auch bei Schwäche ein Minimum von Achtung zu bekommen.

Ich bin nicht nur gut, wenn ich stark bin. Ich bin genauso ich in schwachen Momenten.

Es ist mein Job (nicht der irgendeines/r Anderen) diese Krankheit verantwortungsvoll 'auszubaden'.
*** (bin "verwirrt" mit meinen Namen bzw. ist total egal, wie ich heiße)
Zuletzt geändert von Antja am Mo Nov 17, 2008 10:01, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Bericht einer Ehemaligen

#146
Was habe ich da auf der Forum-Eingangsseite gelesen: Ein Netzwerk von, für und um Eßgestörte soll es geben.
Also dann: Wird Zeit, dass wir damit beginnen. Und im dunklen Kämmerlein wird es sicherlich nicht sattfinden.

'You guys need to speak up!' - so würde ich das sagen.
Es hat keinen wert - und nun wird es etwas philosophisch - hier die Sorgen in uns hineinzufressen, die anderen in Form von Essen fehlen. Das meint in etwa: Es ist wahr, dass in manchen Ländern dieser Erde Menschen aufgrund von Hunger 'am Stock gehen'. Aber es ist nicht wahr, dass wir hier nur mariginale Sorgen hätten. Und wenn wir lernen, all das (un bestmöglich auch immer) gemeinsam anzugehen, dann können wir etwas retten, was wir eigentlich bloß haben sollten: Leben.
Zuletzt geändert von Antja am Mo Nov 17, 2008 10:21, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Bericht einer Ehemaligen

#147
Es ist immer wieder interessant von dir zu lesen, weiss zwar oft nicht was ich schreiben soll und manches versteh ich auch nicht!
z. B.
Anna1 hat geschrieben:Was habe ich da auf der Forum-Eingangsseite gelesen: Ein Netzwerk von, für und um Eßgestörte soll es geben.
Also dann: Wird Zeit, dass wir damit beginnen. Und im dunklen Kämmerlein wird es sicherlich nicht sattfinden.
was meinst du damit? :oops:
Wo ist bitte der Anfang vom Ende?

Re: Bericht einer Ehemaligen

#148
:), oh, ich meine damit: Ihr/ wir Essgestörten müßt Euch zeigen. Ihr müsst laut und offen darüber reden, und Euch nicht verstecken. Dazu stehen, denn nicht immer ist es das Wichtigste zum Arzt zu gehen.
Ich kenne das zwar, aber: es gibt keine Gründe, sich zu schämen.

Deshalb also: 'Nicht im stillen Kämmerlein'.
Und 'Netzwerk', damit meinte ich: Ein Netzwerk besteht aus Reden und Kommunizieren. Und diese Krankheit ist nichts, was Leute alleine auszuhalten haben. Du, ich, wir sind alle ein Teil von einer Gesellschaft, und ab und an sollten wir unsere Sorgen auch genau dort "austragen".

Man kann sehr wohl Angst davor haben, dann die Hilfe anzunehmen, die einem geboten wird, wenn man mal offen sagt: Hallo, ich bin krank. Aber man wird auch nicht dazu (zum Annehmen der Hilfe) gezwungen; dennoch kann man sich zumindest einmal quasi 'ein paar Optionen' ansehen.

Das ist ja ganz, ganz oft so: Tabus müssen sozusagen erstmal 'eine Stimme' bekommen. Und das dauert immer eine Weile, und bis dahin haben quasi fast alle Angst, darüber zu reden. Und keiner traut sich, und trotzem denken sie daran und darüber.
Viel von dieser Krankheit 'verschwindet', wenn man sich quasi 'bekennt'.

Hm, wie sagt man das?
Viele haben Angst, sich auszudrücken, egal, worum es geht. Sie denken sie wären falsch mit ihren Emotionen. Sie denken sie wären die einzigsten. Aber meistens bzw. eigentlich immer ist es so, dass es mindestens einen im Raum gibt, der etwas ähnliches denkt und fühlt. Nur wenn keiner den ersten Schritt tut, dann kann man halt gar nicht drüber reden. Dann versickert das, es bleibt in den Köpfen, und man hält sich an irgendwelche alten Muster, obwohl die eigentlich fast alle blöd finden.

Zu Eßstörungen gibt es ja auch x Behandlungsmöglichkeiten und oder gar '-ideologien'. Aber sie scheinen oftmals auch gar nicht zu helfen.
Und wer will schon immer zu einem Arzt gehen. Und das dann auch noch für Probleme, die im Grunde einfach auch viel in der Gesellschaft liegen. Dinge wie: Man redet nicht über Gefühle. Und als Eßgestörte hat man an sich wirklich großen Grund aber genau davon zu reden.
Ein Kind sagt es, wenn es Schmerzen hat (egal in welcher Weise Schmerzen). Als Erwachsene lernen wir zum Arzt zu gehen. Und das, obwohl es so viele Leute gibt, die wirklich gerne auch mal 'hinhören'.

Wir sind ja kein System. In erster Linie sind wir Menschen. (Naja, okay, das war jetzt vielleicht auch wieder ein blöder Satz. Vielleicht kann ich den später mal erklären.)

LG
P.S.: Wie würdest Du es denn sehen? Würdest Du es schön finden, offen über Sorgen und Ängste zu reden (und lernen, dass andere auch solche haben)?

Re: Bericht einer Ehemaligen

#149
Anna1 hat geschrieben:P.S.: Wie würdest Du es denn sehen? Würdest Du es schön finden, offen über Sorgen und Ängste zu reden (und lernen, dass andere auch solche haben)?
Ja ich würde gerne offen über Ängste und Sorgen reden, aber ich tue es nicht, wie so viele Essgestörte! Ich denke mir immer, es belastet nur, desswegen rede ich nur selten darüber und bei einigen bereue ich es so dermaßen, dass sie über meine Krankheit bescheid wissen! Das war ein großer Fehler denen das zu erzählen! Nur ändern kann ich es nicht mehr :?

Es ist ja der Wahnsinn wenn ich hier lese... da könnt ich ja übertrieben gesagt, bei jedem zweiten "kennt ihr das auch" voll und ganz zustimmen. Also die Symptome, das Verhalten, die Denkweise...

Ich denke mir oft, wenn ich z. B. im Cafe sitze od beim Essen od sonst wo und die Leute laufen vorbei "wer von euch hat wohl auch eine Essstörung"! Wieso weiss ich nicht, aber es geht mir oft durch den Kopf...
Wo ist bitte der Anfang vom Ende?

Re: Bericht einer Ehemaligen

#150
Liebe Aschenputtel,

ich glaube viele haben Eßstörungen. Und die, die keine Eßstörungen haben, können Dich dennoch verstehen. Die haben dann eben anderer - mehr oder weniger gute - 'Mechanismen' um mit ihren Sorgen, Ängsten, Nöten usw. umzugehen. Aber obwohl sie nicht essen und kotz... würden sie dir sofort bei nahezu allem zustimmen.

Und das mit Deinen Enttäuschungen, die Leute, denen du nicht hättest erzählen sollen:
Das muß man vergessen, weil die werden das auch ganz bald selbst schon wieder vergessen. Die reagieren dann nicht nur bei dir, und nicht nur bei genau dem (Eßstörung) so: Die reagieren auf diese Art und Weise dann vielmehr bei nahezu allem. Die haben - so kann man's nennen - Schwächen.

LG