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von jen
liebe aire,
vorerst: mit mir hast du dir es auch nicht verdorben. ich schätze dich sehr, wie du weißt und möchte dich nur noch einmal daran erinnern, dass du der grund warst, weshalb ich mich vor einiger zeit nach langer überlegung doch nicht entschieden habe, das forum hier zu verlassen, wie ich es eigentlich vor hatte. du gibst mir das gefühl, hier willkommen zu sein, du verfolgst meine zeilen, du glaubst an mich. und auch, wenn du zugegebenermaßen manchmal eine ziemlich impulsive art hast, mag ich dich sehr, genauso wie du bist. ich denke, man kann nicht sagen, dass einer hier schwieriger ist als der andere - wir sind alle auf unsere art schwierig. und mit alle meine ich JEDEN menschen. das leben ist so und die menschen nunmal auch - aber das kann auch eine bereicherung sein. es wäre langweilig, wenn wir mit allem klarkommen würden und immer gut gelaunt wären. wäre das so, würden wir gar nicht mehr erkennen können, wie gut es uns eigentlich geht.
zudem glaube ich auch nicht, dass du es dir hier mit allen verscherzt hast. ich spüre zwar manchmal eine gewisse abneigung und genervtheit dir gegenüber - die mich aber dann auch jedes mal aufregt und deren gründe ich auch nicht kenne. demnach kann ich mich nur jani anschließen und muss gestehen, dass ich sehr wenig über dich weiß. das, was ich von dir weiß, mag ich. du bist eine liebenswerte person. auch recht geben muss ich aber caruso, dass du manchmal - das meinte ich mit "impulsiv" - in beiträge hineinplatzt und deine meinung dazu abgibst, ohne dich vorher genügend in die personen hineinversetzt zu haben. du bist manchmal sehr schnell im urteilen und kannst auch hart in deinen aussagen sein, was eben nicht bei allen gut ankommt. vorteil dieser eigenschaft ist es sicherlich, dass man weiß, woran man bei dir ist. auch das schätze ich.
ich persönlich kann deine gedanken sehr gut verstehen und würde auch nicht sagen, dass du noch nicht bereit für eine therapie bist. ich glaube, du brauchst eine therapie und würde dir dringend raten, jemand anderes zu suchen. als ich damals begonnen habe, hatte ich ähnliche gedanken und dachte immer, mir würde es doch viel zu gut gehen. da trügt dich aber deine selbstwahrnehmung, liebe aire. das verhalten der therapeutin kann ich persönlich überhaupt nicht nachvollziehen und finde es inakzeptabel. ich bin wirklich ziemlich ehemalig, wie du weißt - und selbst ich hatte vor ein paar jahren noch das bedürfnis, diesen halt einer therapie zu haben. was ist daran verwerflich? rein gar nichts. du suchst dir lediglich hilfe. es ist eine präventionsmaßnahme, die in anbetracht der schwerwiegenden folgen unserer krankheit mehr als angebracht ist. natürlich bist du nicht wie die anderen studenten, hast du doch einen völlig anderen hintergrund. auch ich bin nicht wie die anderen studenten. ich bin in manchen punkten sensibler, angreifbarer geworden durch die ganzen jahre, die nun hinter mir liegen. ich würde schon sagen, dass ich mehr auf mich achten muss, als ein ganz "normaler, gesunder" mensch. obwohl ich ja eigentlich auch normal und gesund bin - aber eben mit einem anderen hintergrund. und ich glaube, da liegt der punkt, liebe aire. mag sein, dass du nun einigermaßen gesund bist (was du meiner meinung nach ehrlich gesagt NICHT bist, ich würde dich auch NOCH nicht als ehemalig bezeichnen, ich würde sagen: du bist halbwegs stabil gewesen - bis jetzt eben, denn hungern ist nicht ehemalig), aber mit der krankheitsgeschichte in der vergangenheit musst du mehr auf dich achten, als andere menschen. du hast dir über jahre hinweg verhaltensmuster antrainiert, die nicht mal eben verschwinden. vielleicht schaffst du es, sie nicht mehr umzusetzen, die gedanken bleiben aber - und die frage ist: was machst du in krasseren situationen, in denen es dir noch schlechter geht? die antwort kennen wir nun: du hungerst, sprich, du greifst auf alte verhaltensweisen zurück. natürlich haben andere studenten auch probleme, aber sie haben andere möglichkeiten gelernt, damit umzugehen, als die sorgen wegzuhungern und wegzukotzen ( und sie dadurch noch größer zu machen ).
ich kann es nur an mir erklären. wie gesagt, ich würde mich definitiv als ehemalig bezeichnen. seit sieben jahren bin ich nun bis auf wenige rückfälle clean. der letzte rückfall liegt zwei jahre zurück. ich habe nun viele schwierige situationen überstanden, OHNE auf alte verhaltensweisen zurückzugreifen - und doch muss ich stets aufpassen, auf mich acht geben. die grundstrukturen liegen noch in mir. und immer wenn ich allzu viel stress habe, kommen sie in phasen zum vorschein, nämlich in gedanken. mittlerweile bin ich so stabil geworden, dass ich mcih dann selbst reflektieren kann, doch wie gesagt, das passiert wohl bei jedem und wir essgestörten oder ehemals essgestörten müssen einfach besonders acht auf unser wohlbefinden, unseren körper und unsere psyche geben. wenn ich zuviel stress habe, dann passiert es mir beispielsweise manchmal, dass ich mich wieder zu dick finde. dann sage ich mir meistens: so ein quatsch, das will dir die blöde bulimie wieder einreden, es passt alles, es ist nur eine übebrückungshandlung, um vom eigentlichen problem abzulenken. und dann setze ich mich hin und überlege, was mcih eigentlich bedrückt. habe ich dann mal einen tag eine auszeit genommen und den stress etwas reduziert, hat sich dann auch meistens schon wieder meine selbstwahrnehmung normalisiert.
demnach: liebe aire, geh in therapie. du musst dich dafür nicht rechtfertigen. aber du kannst für dich sorgen. dass du das kannst, weiß ich.
eine dicke umarmung
von deiner jen
Lauf der Sonne entgegen, anstatt auf sie zu warten...