Liebe Laona,
Du sprichst mir aus der Seele bzw. aus der Seele, die damals so stark unter der Bulimie litt.
Ich hatte einige sehr unschöne Gespräche mit meiner Mutter, sehr ehrlich. Die ersten waren schwer, sie konnte nicht verstehen, dass ich aus dem Muster ausbrechen möchte, das bei uns in der Familie üblich ist.
Frauen haben die Aufgabe zu versorgen, sich zu kümmern und das bitte auch noch gerne und stets gut gelaunt mit viel Engagement. Eigene Gefühle zurückstecken, arbeiten, fleißig sein, anderen einen Gefallen tun, auf die Gefühle anderer achten,... Das Frauenbild herrschte bei uns vor.
Irgendwann war ich am Ende. Die Bulimie hat mich körperlich und psychisch so zerstört, sodass ich eines Tages aufgewacht bin, mit aufgequollenen Gesicht, trockenem Mund, Halsschmerzen und Übelkeit. Die Luft im Zimmer war nicht gut, ich fühlte mich ekelhaft, die Sonne schien ins Zimmer und war unerträglich für mich. Es war Sonntag so ca. 11 Uhr und ich wusste in zwei Stunden gibts Mittag(fr)essen. Ich war fertig, hab begonnen zu weinen, weil ich spürte, dass ich mich jetzt entscheiden musste:
Leben oder Sterben!
Ich hab das wirklich so gefühlt, weil so ein Leben hätte ich nicht weiterführen können. Diese Situation hat sich bei mir eingebrannt.
Ich begann zu kämpfen. Ich bin für mich eingetreten, hatte eine eigene Meinung und war nicht die perfekte Freundin, das perfekte Kind oder die perfekte Arbeitnehmerin. Es war hart, es hat lange gedauert, aber jedes Mal "Nein" sagen war ein Schritt zur Entwicklung von Persönlichkeit, die ich zuvor nie hatte.
Ich bin viel angeeckt in der Zeit. Ich habe manche Freunde verloren, weil die damit nicht umgehen konnten. Ich bekam zu hören ich sei kalt und egoistisch - auch von meiner Familie.
Aber ich hab das ausgehalten, weil ich genau wusste: Ich muss so sein, damit ich mein Leben leben kann, ohne Bulimie!
Und es funktionierte. Es war so hart, es gab so viele Rückschläge, aber glaub mir, irgendwann fühlt es sich so gut an, wenn du für deine Rechte eintrittst, wenn du einfach mal sagst, dass du darauf keine Lust hast. Wenn du einfach mal nicht für jemand anderen da bist. Und wenn du endlich mal nicht die mitfühlende bist, sondern deine eigenen Gefühle spüren lernst.
Mittlerweile bewundert mich meine Mutter, sie ist stolz auf mich und hat es jetzt auch geschafft mehr auf sich zu schauen und ein wenig ihr Leben zu genießen - viel später als ich, aber dennoch. Sie sagt, sie hat von mir gelernt und ich bin froh darüber. Denn ich habe ihr ins Gesicht gesagt, dass ich ihr Leben niemals haben möchte.
Gefühle runterschlucken, von anderen das Leben bestimmen lassen... niemals!
Denn natürlich, wenn man sein Leben nicht selbst in der Hand haben darf dann zumindest das Essen. Das Essen, das einen beruhigt, da muss man keine Gefühle zeigen. Und dann einfach alles raus und die Erleichterung tritt ein - klingt nach einem doppelten Gewinn!
Klingt aber nur so...
Heute steh ich da und ich bin nicht perfekt, ich weiß das auch

Aber ich finde mich wirklich gut. Ich lass mich nicht mehr einsperren oder mir sagen was ich denken und fühlen soll. Ich kann nein sagen und ich spüre wieder was ICH gerne tun möchte oder auch nicht.
Ich weiß, das liest sich jetzt so "Tatataaaaaa... ich hab die Lösung und los jetzt, mach!" aber so meine ich das nicht.
Es ist sicherlich nicht für jeden die Lösung. Aber für mich war genau der Ausbruch der Weg zum Glück. Ich lebe seit einem Jahr ohne Essanfälle, ohne Erbrechen, ich esse genug und alles. Ich genieße und ich hab endlich wieder andere Interessen.
Und heute hab ich die besten Freunde, die mich nehmen wie ich bin und auch eine Familie die hinter mir steht.
Schau auf dich, du hast ein Leben! Du bist ein Mensch mit eigenen Gefühlen, mit Talenten, mit Fehlern, mit Stärken und Schwächen. Aber das ist jeder, es gibt niemanden der perfekt ist. Aber in perfekte Menschen verliebt sich auch so gut wie niemand, denn wer perfekt sein will (allen gefallen will), der verliert an Persönlichkeit und das macht einen nicht nur uninteressant sondern irgendwann auch sehr unglücklich.
Alles Liebe
Cooky