Neues Lebensgefühl, aber auch viel Schmerz

#1
Hallo an alle,
vor einigen Jahren habe ich (34 Jahre) dieses Forum als jemand besucht, der schon viele Jahre mit Bulimie gelebt hatte und obwohl ich keine eigenen Nachrichten verfassen wollte, haben mir viele Beiträge geholfen. Vor allem das Gefühl, mit diesem Verhalten und seinen Konsequenzen ganz alleine zu sein, wurde relativiert. Danke, an alle, die den Mut haben, sich hier zu äußern.
Seit dem 25. April 2006 zähle ich mich zu den "Ehemaligen". Das Datum kann ich deshalb so präzise angeben, weil es der Tag war, an dem mir Zähne gerissen wurden, die ich in einer kleinen Schachtel mit Datumsangabe aufbewahre. Der Schreck darüber und die Disziplin der ersten Tage, die Zahnwunden heilen zu lassen, waren der Anfang vom Ende.
Die Symptome waren zwar verschwunden (ich frage mich immer wieder, wie das nach so langer Zeit "plötzlich so einfach" passieren konnte), aber es folgte danach auch eine harte Zeit mit vielen Selbstvorwürfen, Depression, Angst, Schamgefühl und Trauer über die "verlorenen Jahre". Allerdings war ich zum ersten Mal wirklich bereit, Hilfe anzunehmen und auch aktiv nach Lösungen zu suchen. In diesem Prozess stecke ich noch mitten drin - aber ich möchte allen Mut machen, nie die Hoffnung aufzugeben. Mein Lebensgefühl hat sich seither unbeschreiblich verbessert. Alleine die Freiheit, den Tag nach anderen Kriterien als Essen und Toilettensuche zu gestalten, ist wahnsinnig erleichternd. Hinzu kommt natürlich, dass ich nun auch endlich mit meinem Geld besser klar komme und körperlich viel mehr Energie zur Verfügung habe.
Ich würde mich freuen, von anderen zu hören (zu lesen), die sich ebenfalls im Abnabelungsprozess befinden. Wie es euch damit geht, zu Fehlern zu stehen, eventuell auch sich zu entschuldigen? Wie baut ihr die Erfahrung mit der Bulimie in euer Leben ein? Könnt ihr dem auch etwas Positives abgewinnen?

Liebe Grüße,
Della

Re: Neues Lebensgefühl, aber auch viel Schmerz

#2
hallo liebe della!!

schön, von dir zu lesen, sehr ermutigend... (ich bin auch schon etwas länger am kämpfen.. bin 28 und erst seit 5 monaten zum ersten mal
in meinem leben weg von der B, die ich ca 15 jahre lang mit mir rumschleppte..)!!! danke!
würde mich sehr freuen, mit dir ein paar erfahrungen auszutauschen und uns gegenseitig zu motivieren,
all die nun auftauchenden probleme auszuhalten und nicht wieder zurückzukippen in jenes seltsame parallelleben von früher...
mein kopf ist auch noch mit 1000 sachen voll, die so anstrengend sind, wie das vormalige essverhalten...
kann dir empfehlen, den thread "bericht einer ehemaligen" zu lesen, und dor auch mitzuschreiben!!
also, ganz viele liebe grüsse, greta.

Re: Neues Lebensgefühl, aber auch viel Schmerz

#3
Guten Abend, Greta,

danke erst einmal für den Tipp mit dem Thread "Bericht einer Ehemaligen" - da stecken ja schon wirklich viele Themen drinnen.
Für mich ist es derzeit am schwersten, lieber nach vorne als zurück zu schauen, mich also nicht selbst für die Zeit mit Bulimie zu bedauern. Ich nehme dafür Hilfe auf mehreren Ebenen in Anspruch. Zum einen treffe ich alle zwei bis drei Wochen einen Lebensberater. Er hat mir schon den ein oder anderen praktischen Tipp gegeben. Zum Beispiel ein Buch anzulegen, in das ich jeden Tag zehn Dinge eintrage, die an diesem Tag gut waren. Das ist mir am Anfang schwer gefallen - ich war froh, wenn ich überhaupt etwas aufgeschrieben habe.
Durch einen lustigen Zufall habe ich dann noch jemanden kennengelernt, der sich mit Körpertherapie (nach Grinberg) beschäftigt und mit mir arbeitet.
Ein Jahr lang habe ich - wenn es mir auch sehr unangenehm war und ich große Abneigung dagegen verspüre - auch pharmazeutische Unterstützung angenommen.
Jetzt schwinge ich mich oft aufs Fahrrad - da lässt sich auch viel Spannung abstrampeln.
Die finanziellen Hürden bei Therapien nach der Bulimie waren aber schon ein großes Problem. Therapien gibt es zwar auf Kasse, aber nicht mehr für "Geheilte". Das empfinde ich als sehr kurzsichtiges Konzept.

Bist du derzeit in Therapie oder nimmst ähnliche Hilfe in Anspruch? Wenn ja, für welchen Weg hast du dich entschieden? Und haben finanzielle Überlegungen dabei auch eine Rolle gespielt?

Den Ausdruck "Parallell-Leben" finde ich treffend. Für mich hat es sich lange so angefühlt, als ob das, was ich tue, nicht wirklich ich tue, also habe ich mich auch nicht wirklich verantwortlich gefühlt. Es schien, als ob mein echtes Ich einfach dasitzt und wartet, bis eine Art Wunder geschieht, die mich da rausholt.

Hast du viele Freundschaften aufgrund der Bulimie verloren? Hast du versucht oder hast du in Zukunft vor, dich bei der einen oder anderen wieder zu melden?

Aber egal, was noch kommt - hier finde ich den vor dir vorgeschlagenen Thread toll - wir haben schon so viel geschafft!! Und diese Erfahrung kann uns niemand mehr nehmen.

Liebe Grüße,
Della