Keiko verneigt sich

#1
Guten Tag, ihr Lieben! :-X)

Eine ganze Weile schon bin ich stille Mitleserin und ich mag die Atmosphäre im Forum. Der Anlass meiner heutigen Anmeldung ist im Grunde eher eine Art ... Dauerzustand. Mich hat es schon ein paarmal in den Fingern gejuckt, aber heute ist es so weit.

Jetzt das Outing: ich bin 23 Jahre alt und leide seit einer viel zu langen Zeit an Bulimie. Nach einem Klinikaufenthalt vor anderthalb Jahren stellte sich vorübergehend eine Besserung ein, aber die währte nur einige Monate. Jetzt bin ich den anorektischen Teil meiner Erkrankung zwar definitiv losgeworden - ich bin wieder normalgewichtig, sehe gesund aus und nehm beim Essen mit anderen auch gerne mal 'nen Nachschlag - aber das, was sich Tag für Tag hinter den Türen meiner Wohnung abspielt, ist alles andere als gesund.

Bei Unternehmungen mit anderen bin ich immer ganz vorne dabei und verschwende so gut wie keinen Gedanken an meine Erkrankung, aber sobald ich wieder alleine bin (und das bin ich viel zu oft), falle ich in ein Loch. Und ich bin leider auch keine Überlebenskünstlerin, die nebenbei noch locker ihr Studium plus Nebenjob auf die Reihe kriegt. Dieses Semester hab ich aufgrund meiner vielen Fehlzeiten komplett den Anschluss verloren. Und eigentlich sollte ich gerade auf der Arbeit sitzen, wenn ich nicht auf dem Weg dort hin (ja, passiert öfter unterwegs) von einem FA übermannt worden wäre.

Der Grundtonus meines Lebens, sobald ich mich nicht mit tausend Unternehmungen oder eben den FAs ablenke, ist die pure Verzweiflung. Mein Leben könnte so schön sein! Ich hab für meine Beziehung gekämpft, für das Studium und den Job, ich hab eine wunderschöne eigene Bude und zwei tolle Haustiere. Aber ich bekomme nichts auf die Reihe, meine Wohnung sieht ständig aus wie ein Saustall und ich darf wohl mindestens ein bis zwei Semester anhängen (falls ich es überhaupt schaffe dranzubleiben). Um mich herum stapeln sich wieder mal bekrümelte Teller, Töpfe, Flaschen und Essenspackungen und nebenbei rauch ich wie eine altertümliche Dampflokomotive. Mein Kreislauf ist kaputt, in der Herzgegend zieht's öfter, meine Verdauung ist im Eimer, Magen und Zähne tun immer wieder weh und ich kann keine fünf Meter rennen. Und bei meinem ganzen Selbstmitleid bin ich auch noch selber schuld daran.

Nach monatelanger Suche nach einem ambulanten Therapeuten scheine ich nun endlich einen gefunden zu haben. Noch diesen Monat ist der Termin.

Ich will das alles nicht mehr. Ich will nicht alles immer systematisch kaputt machen, will mich nicht mehr erniedrigen, mich nicht mehr verstecken und mir Ausreden ausdenken, warum mich wieder keiner besuchen kann. Aber allein der Gedanke daran, mit mir alleine klarzukommen, macht mich nervös. Kann ich das? Ist mein Wille stark genug? Kann ich wirklich loslassen, mich zwingen und das ganz alleine durchstehen? Ich komm mir so schwach vor.

Danke fürs Lesen.
"Denn wenn es eine Sünde gegen das Leben gibt,
so besteht sie vielleicht nicht so sehr darin, an ihm zu verzweifeln,
als darin, auf ein anderes Leben zu hoffen
und sich der unerbittlichen Größe dieses Lebens zu entziehen."

Albert Camus

Re: Keiko verneigt sich

#2
Liebe Keiko!

Erstmal herzlich Willkommen hier bei uns im Forum!

Du hast ja schon arge Folgeerscheinungen, mit denen du zu kämpfen hast, deswegen finde ich es auch ganz wichtig, dass du jetzt eine Therapie anfängst!!!

Das mit dem Kreislauf, keine fünf Meter rennen können und Herzstechen kenne ich auch viel zu gut, sch...Essstörung!!! Von daher, hier ein lieber Aufmunterungsknuddler, versuch' gut zu dir zu sein!

Fühl dich frei, hier alles zu schreiben, was dich beschäftigt!

Lieben Gruß
Kitty
"Es ist nie vorbei, es geht nie zu Ende, es hört niemals auf, jede gute Tat, jede Heuchelei, es nie vorbei, es geht immer weiter, also gib nie auf [...]!"

Re: Keiko verneigt sich

#3
Hi Kitty,

lustig, in Deiner Stadt war ich gestern shoppen. ;)

Danke für das liebe Willkommen. Ja, diese Folgeerscheinungen sind ätzend. Manchmal machen sie einem richtig Angst. Zweimal hab ich echt das Gefühl gehabt, ich bekomm mitten in der Stadt mit knackigen 23 einen Herzinfarkt. :shock: Ich hoffe echt, das mit der Therapie wird diesmal was. Ist ja nicht meine erste ...

Ganz liebe Grüße!
"Denn wenn es eine Sünde gegen das Leben gibt,
so besteht sie vielleicht nicht so sehr darin, an ihm zu verzweifeln,
als darin, auf ein anderes Leben zu hoffen
und sich der unerbittlichen Größe dieses Lebens zu entziehen."

Albert Camus

Re: Keiko verneigt sich

#4
Hey!!!

Schön das dudich getraut hast dich hier anzumelden...

Dein Problem ist das vieler hier...leider hatte ich damals auch immer damit zu kämpfen allein zu sein und habe mir dann auch so die Zeit vertrieben...meistens war ich ja dann so kaputt das ich nur noch schlafen wollte und den Tag über die Runden gebracht hab..

Heute ist das anders ..ich habe mir sehr viel einfallen lassen um mich abzulenken wenn es in mir hoch kam und das hat sich dann mehr und mehr ausgeweitet...

Leider verbringe ich heute sehr viel Zeit im KH da ich meinen Körper durch die B...so kaputt gemacht habe das ich unheilbar krank geworden bin...Heute bin ich Rückfallfrei also weg von der ES aber leider zu spät ...naja ich mach das beste draus und rate dir,immer wieder etwas neues auszuprobieren um dich abzulenken und wenn es auch nur ein Tag ist den du dranhängst das könnte ein Tag sein der deiner Gesundheit gut tut...

Re: Keiko verneigt sich

#5
Puh, Jeany, danke für Deine offenen Worte.

Unter welchen Beschwerden leidest Du denn? :( Kann man Deine Geschichte irgendwo nachlesen? Auf jeden Fall gute Besserung von meiner Seite!

Ja, das Alleinsein bricht mir wirklich regelmäßig das Genick. Schon der Weg nach Hause ist jedes Mal schwer bis unmöglich. Ich überlege im Moment, in eine WG zu ziehen. Aber Mensch, irgendwann muss ich's doch lernen! Außerdem habe ich Angst, dass ich mich auch da vielleicht dauerhaft nicht im Griff habe und meine Mitbewohner wegen mir die Krise kriegen. :|
"Denn wenn es eine Sünde gegen das Leben gibt,
so besteht sie vielleicht nicht so sehr darin, an ihm zu verzweifeln,
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und sich der unerbittlichen Größe dieses Lebens zu entziehen."

Albert Camus

Re: Keiko verneigt sich

#6
Oh man Keiko, ich hätte jeden Satz genau wie du niederschreiben können! Als ob du meine Situation mitteilen wollen würdest. Auch ich habe ne tolle Wohnung, einen Job und super Freunde die mich unterstützen. Nach ambulanter (noch andauernder) und stationärer Therapie habe ich viel gelernt um meine Sucht und meine Probleme in den Griff zu bekommen. Und trotz allem ist mein Leben ein Chaos und mir erscheint alles zu entgleiten. Das macht mich so wütend, verzweifelt und traurig, dass ich mich nur noch mehr in der Sucht wiederfinde. Und je mehr ich es versuche, desto mehr entgleitet es mir. Ein Teufelskreis... Und eben schwierig damit umzugehen. Oft frage ich mich, was an mir nicht stimmt oder ob es einfach daran liegt, dass ich nicht gesund werden will... Keine Ahnung. Nur eins weiß ich: so kann es nicht weitergehen und mein Körper macht das definitiv nicht mehr lange mit
Wer die Vergangeheit in der Gegenwart lebt, hat für die Zukunft keine Perspektive...

Re: Keiko verneigt sich

#7
Mel, da scheinen wir in der gleichen Krise zu stecken.

Mein Leben ist auch ein Chaos. Und zwar keine liebenswerte kreative Unordnung, sondern eher eine zerstörerische Unzulänglichkeit. Ich fühl mich vielem nicht gewachsen, was für andere selbstverständlich ist: regelmäßig die Post checken, seine Wohnung in Ordnung halten, gewissenhaft am Unikram dranzubleiben und vor allem bei kleinen Versäumnissen nicht aus lauter Scham den Kopf in den Sand zu stecken und zu warten, bis das Problem weggeht. In vielen Dingen habe ich natürlich gelernt - inzwischen kann ich gut telefonieren, ich bleibe ganz gut an der Arbeit dran und habe mir sogar einen festen Platz für meinen früher immer verlorenen Türschlüssel antrainiert ;) aber die Baustellen sind immer noch riesengroß ...

Manchmal frag ich mich auch, wie das ist mit dem Wollen. Natürlich wäre ich froh, wenn die Krankheit weg wäre. Natürlich will ich gesund und normal sein ... aber ich hab solche Angst. Vor den vielen "leeren" Zeiten, vor den unglücklichen Gefühlen, vor der Verantwortung, vor dem Alleinsein, vor dem fehlenden Ausgleich ... oder so. Vielleicht ist da noch mehr, weiß nicht. Denn wenn ich ehrlich bin: so richtig glücklich war ich vorher ja auch nie. Seit ich ein Kind war hab ich Schlafstörungen, depressive Phasen, Stimmungsschwankungen, hab auch zu anderen Süchten geneigt und tu es immer noch. Bekommt man dieses "Grundproblem" je in den Griff oder muss man einfach nur das Symptom Essstörung abstellen und sich der Tatsache stellen, dass man ein chaotischer, unzulänglicher und lebensunfähiger Volltrottel ist?
"Denn wenn es eine Sünde gegen das Leben gibt,
so besteht sie vielleicht nicht so sehr darin, an ihm zu verzweifeln,
als darin, auf ein anderes Leben zu hoffen
und sich der unerbittlichen Größe dieses Lebens zu entziehen."

Albert Camus

Re: Keiko verneigt sich

#8
Manchmal frag ich mich auch, wie das ist mit dem Wollen. Natürlich wäre ich froh, wenn die Krankheit weg wäre. Natürlich will ich gesund und normal sein ... aber ich hab solche Angst. Vor den vielen "leeren" Zeiten, vor den unglücklichen Gefühlen, vor der Verantwortung, vor dem Alleinsein, vor dem fehlenden Ausgleich ... oder so.
Bei mir ist es auch so - dieses Zweischneidige Schwert. Ich glaube, dass da zwei Dinge ganz wichtig sind:
- Wenn dieser "ich halte es nicht mehr aus" Punkt kommt in dem Moment bleiben und sich bewusst machen, dass der Moment vorrüberzieht
- Wenn es um das Lösen von der Ess Störung geht in die Zukunft blicken und das Leben vor sich abspielen lassen, was ohne und was mit ES passieren könnte (oder auch zwangsläufig passieren wird)
Bekommt man dieses "Grundproblem" je in den Griff oder muss man einfach nur das Symptom Essstörung abstellen und sich der Tatsache stellen, dass man ein chaotischer, unzulänglicher und lebensunfähiger Volltrottel ist?
Das Grundproblem bleibt wahrscheinlich... Aber wir können lernen damit umzugehen und uns als liebevoller Volltrottel anzusehen ;)
Wer die Vergangeheit in der Gegenwart lebt, hat für die Zukunft keine Perspektive...

Re: Keiko verneigt sich

#9
Welche Beschwerden...also ich musste mir alle Zähne ziehen lassen und sie durch Imlantate ersetzen...sind zwar jetzt viel schöner wie die echten aber trotzdem nicht die eigenen ...und ich habe leider nur och Teile meines Dünn und Dickdarmes ...durch den Jahrelangen m*ssbr**ch von A...hat der Darm angefangen sich zu zersetzen ...ich habe eine rießige Narbe die immer wieder aufgemacht wird wenn es wieder mal so weit ist das ich operiert werden muss...ich muss starke Medikamente nehmen das ich überhaupt auf Toilette gehen kann...Im Moment hat sich die Narbe stark entzündet weil ich 5 mal operiert werden musste...ich muss täglich in die Klinik zur Kontrolle und Verbandwechsel und habe höllische Schmerzen und ein Ende ist nicht abzusehen...

Naja trotzdem bin ich glücklich...Ich habe einen tollen Freund der allesmit mir durchsteht und auch so steht mein Umfeld hinter mir, doch auch ich habe viele Tage an denen ich aufgeben möchte...auch ich habe Jahre danach noch das Verlangen ...aber ich habe gelernt wie ich die Anfälle ausbremse bzw verhindern kann...

B...ist kein Zeichen von Schwäche aber wenn man nicht jeden Tag Kämpft wie ein Löwe holt sie dich ein...und leider hat jeder oft Tage an denen man einfach zu schwach ist...

Es ist ein Kreislauf, aber man kann ihn durchbrechen...leider hat jeder seine eigen Art wie er Es in den Griff bekommt und somit gibt es kein Geheimrezept...

Eine WG ist vielleicht am Anfang eine Lösung doch irgendwann wird auch das nicht mehr helfen wenn wie schon gesagt du die Stärke der Es zulässt..und wie du schon sagtest irgendwann muss man auch allein klar kommen...

Re: Keiko verneigt sich

#10
Danke nochmal für eure lieben Willkommensworte!

Jeany, das hört sich schlimm an. :| Ich wünsche Dir ganz schnell gute Besserung!

Mel, puh, in die Zukunft blicken - das kann ich gar nicht, glaub ich. Ich weiß nicht, was morgen ist. Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, dass ich es schaffe, aber ebenso wenig kann ich mir vorstellen, wie das Leben mit der ES weitergehen soll ... kann Dein Problem da sehr gut verstehen. :roll:

Gerade geht es mir nicht gut.

Gestern und heute habe ich versucht zu kämpfen, habe jeweils bis zum frühen Abend durchgehalten und dann ging's los. Ich hab nicht mal mehr die Kraft, wirklich böse mit mir zu sein. Es hapert und hakt an so vielen Stellen. Ich kann mich nicht an Pläne halten, kann keine Termine einhalten, kann nicht Buch führen, hab keinen Bock, für mich allein zu kochen oder mich alleine in ein Lokal zu setzen. So snacke ich mich über den Tag, esse die ganze Zeit dies und das und wenn ich dann allein bin, ist das jedes Mal der Anfang vom Ende.

Und alle denken, mir geht's gut. Es ist so irre. Ich seh normal aus, also muss es mir gut gehen. Ich habe mich inzwischen mehreren Freundinnen anvertraut - mit dem Ergebnis, dass sie sich nicht mehr melden. Und wenn man sich doch mal sieht, wird das Thema totgeschwiegen. Alle wissen bescheid und alle gucken weg. Ich kann es ihnen nicht verdenken - wie soll man auch damit umgehen? - aber ich fühl mich so verdammt allein. Morgen habe ich den ganzen Tag für mich, nicht mal Uni oder Arbeit. Und egal, was ich mir versuche einzureden oder vorzunehmen ... ein Teil von mir weiß, dass es eine Katastrophe wird.

Denn irgendwie ... für wen sollte ich kämpfen? Klar, für mich selbst. Blah. Aber mir fällt es so schwer, so langfristig und vernünftig zu denken und zu handeln. Ich muss lernen, auch konsequent zu sein, wenn mir niemand dafür den Kopf tätschelt. Wobei ich zugeben muss ... das ist auch mein größter Wunsch für die Therapie, die jetzt kommt. Einfach jemanden zu haben, der mich lobt, wenn ich mal was schaffe. :roll: Dämlich, oder?
"Denn wenn es eine Sünde gegen das Leben gibt,
so besteht sie vielleicht nicht so sehr darin, an ihm zu verzweifeln,
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Albert Camus