ein Angehöriger zerschlägt Porzellan

#1
Hallo,
meine Tochter hat Bulimie. Vermutet hatte ich das schon sehr lange, abgestritten hat sie es immer. Seit wenigen Tagen ist es nicht mehr unter den Tisch zu kehren, vor Scham ist meine Tochter erst mal zu ihrem Freund entwischt.
Wie kann ich dem Großvater, der bisher immer alles für seine Enkeltochter getan hat und nun mit Unverständnis auf diese "Marotte" reagiert, klar machen, dass ER seine Sichtweise überdenken muss, weil das Verhalten der Bulimie-Erkrankten nicht immer leicht nachvollziehbar ist.
Im speziellen Fall geht es darum, dass mir meine Tochter nicht am Tag der Notenvergabe für´s Abitur diese mitgeteilt hat, sondern für den übernächsten Tag sowohl ein Gespräch über ihre ES als auch über ihr bestandenes Abitur mit mir plante.
Der Großvater interpretiert das als Missachtung meiner Tochter mir gegenüber und lässt sich nicht darauf ein, alles erst mal unter dem Begriff Erkrankung einzuordnen. Statt dessen droht er mit Abbruch der bisher intakten Umgangsweise.
Ich halte seine Einstellung für senil und bockig, da er nur sein Denken als das einzig richtige akzeptiert.
Er argumentiert damit, dass ein Mindestmaß an Höflichkeit im Umgang erforderlich sei.
Ich möchte keinen Streit in der Familie, da uns alle die Bulimie und das Verständnis für das damit verbundene Verhalten noch genug Kraft kosten wird.
Sich dann wegen solcher Nichtigkeiten zu entzweien, geht mir gewaltig an die Nieren.
Hat jemand einen Rat, wie man den alten Herrn wieder auf die richtige Schiene setzen kann? Er erwartet allen Ernstes eine Entschuldigung der Enkeltochter bei ihm hinsichtlich der paar Tage Funkstille zwischen meiner Tochter und mir.
Da ich aber mit Verständnis meiner Tochter gegenüber reagiere, hat er nun auch noch mich als "Gegner".
Ich bin ratlos...

#2
Hallo
kleiner engel

Also erstmal respekt das du dich wirklich mit deiner Tochter und der auf dich zukommenden Problem informierst. Das finde ich super.

Wie man am besten es deinem Vate? bei bringen kann weiß ich nicht. Vielleicht kannst du ihm ja einige Auszüge aus der Definition hinlegen. In der es auch darum geht, das vieles bei einer Bulimikerin ein anders Verhalten an den Tag legt wie andere.
oder in Ruhe mit ihm reden und versuchen zu erklren was nicht einfach zu erklären ist.

#3
Ich wette Stein und Bein, dass der GRoßvater seine Meinung auch nicht ändern wird. Besser, du verschwendest keine Energie darauf.

#4
Hallo kleiner Engel

Es ist schon ein Problem, älteren Menschen so eine "Neuartige" Krankheit zu erklären oder bewusst zu machen. (Ich habe zum Glück eine sehr offene Oma, die auch sehr mitfühlend ist und auch über meine Mutter fragt wie es mir geht). Jedenfalls können gerade Leute aus den älteren Generationen schwer mit den Begriffen "psychische Erkrankung" umgehen. Damals war es ja oft so, dass es wirklich schwere Fälle waren, die sofort in geschlossene Anstalten kamen, wenn man psychisch krank war. Depressionen o.Ä. waren halt nur Marotten oder "Vorübergehend".

Doch vielleicht hilft es, wenn du ihm eine Art Diagnose oder ein "wissenschaftliches" Buch über Bulimie, das viell. sogar von einem Mediziner geschrieben wurde zeigst. (der Doktortitel wirkt manchmal Wunder :wink: )Und leg auch die Tatsachen auf den Tisch legen, dass man durch Bulimie sterben kann, dass es eine Sucht ist! Vielleicht blockt er im Gespräch ab... dann schick ihm die wichtigsten Auszüge der Diagnosen in einem Brief, damit er es in Ruhe lesen kann, ohne sofort antworten zu müssen.

Ich hoffe für dich, dass ihr dieses Problem bewältigen könnt :wink:

Seelenvogel

Eine Überlegung, wie es weitergehen könnte

#5
Hallo Seelenvogel,
deinen Vorschlag, eine Art Brief zu schreiben bzw. Literatur einzusetzen, ging mir auch schon durch den Kopf.
Ich erlebe, dass meine Mutter versucht, der Krankheit Bulinie mit so etwas wie Verständnis zu begegnen.
Sie ist gegenüber unbekannten Sachen, wie einer solchen Krankheit/Sucht, deutlich aufgeschlossener, musste aber auch erleben, dass mein Vater gestern erst mal das Weite gesucht hat. Scheint eine Familienangewohnheit zu sein, einfach wegzurennen, wenn Diskussionsbedarf besteht, s. meine Tochter.
Vielleicht gelingt es mir, die verfahrene Situation mit meinem Vater wenigstens so weit hinzubiegen, dass er seine sture Haltung aufgibt. Wenn er selbst in Depressionen verfällt, bedingt durch allerlei Krankheiten, ist es auch unmöglich, mit ihm zu reden.

Dank an alle, die geantwortet haben.
Ich weiß, dass zuallererst meine Tochter mein Verständnis braucht, bevor der Opa "therapiert" wird.

#6
Erstmal herzlich Willkommen kleiner Engel,

schön, dass du hier her gefunden hast.
Als ich deine Zeilen las lief mir oftmals die Gänsehaut.
Vorweg all das hätte ich vor vielen Jahren schreiben können. Ich befürchte aber, dass du den Ernst der Lage genauso verkennst, wie ich es damals gemacht habe.

Ich nehme an, dass du eine sehr gute und enge Beziehung zu deinem Vater hast.
Ich nehme auch an, dass dein Vater dich ebenso verehrt. Er stellte dein Leben lang eine gewisse Erwartung im Tun und Handeln seiner Tochter und das hat er bei seiner Enkelin ausgeprägter weitergeführt. Wohlgemerkt schleichend und unmerklich aber er hat es gemacht.
Du erwähnst in keinem Wort deinen Partner, bzw. den Vater deiner Tochter. Anzunehmen, dass diese Beziehung nicht gerade die Beste ist Du würdest dich nicht so sehr auf deinen Vater konzentrieren, wenn du einen Partner hättest, der voll und ganz hinter dir steht.
Dein Vater hat euch beiden wohl auch finanziell immer recht gut unterstützt und somit ist es ja selbstverständlich, dass er in Eurem Leben eine gewisse herrschaftliche Rolle übernommen hat. Du hast dich auch nie dagegen gewehrt, warum auch.
Bis zu diesem Punkt.
Deine Tochter ist krank. Sehr krank. Du hast es erkannt. Weil du bist die Mutter.
Du hast Angst um deine Tochter und willst um keinen Preis deine Tochter unter Druck setzen.
UND DA HAST DU VÖLLIG RECHT.
Dein Vater akzeptiert die Krankheit nicht. Das wird er auch nie tun, solange deine Tochter keine sichtbaren Schäden hat. Und ich wünsche deinem Vater auch nicht, dass er das irgendwann erkennen muss.
Ich bitte dich nun um etwas ganz wichtiges.
Stelle dich hinter deine Tochter. Zeige ihr, dass sie sich auf dich verlassen kann.
Ordne ganz klar mit deinem Vater die Grenzen zu deinem Familienleben auch wenn er sich gekränkt zurückzieht. Du hast wohl auch die Angst, dass er dir vorwirft, dass du undankbar bist sowie deine Tochter. Er hat kein Recht darauf, Dinge einzufordern, die er dir einmal gerne und freiwillig gegeben hat.
Und er hat kein Recht darauf ein Ultimatum zu stellen, wenn etwas nicht nach seinem Kopf geht.
Als mein Vater drauf gekommen ist, dass er bei Bekanntgabe der Krankheit und auch während des Krankheitsverlaufes falsch und selbstgefällig reagiert hat, war es leider schon zu spät. Er war schwer Krebskrank und lag bereits im sterben und seine Enkelin hatte auch nicht mehr lange zu leben.
Mache deinem Vater klar, dass es hier nicht um seine gekränkte Eitelkeit geht sondern um das Leben deines Kindes.

Ich bin gerne für dich da. Du kannst mir jederzeit schreiben auch per pn, wenn dir das lieber ist.

Allerliebste Grüße
Deine Hedi

#8
Ach mein Schatz warum denn?
Wahre und ehrliche Worte müssen nicht ehrfürchtig machen.
Und ich bin sehr froh, dass kleiner Engel mein Angebot angenommen hat.

LG Hedi

#11
lieber kleiner Engel,
ich kann Dir versichern, dass Du vollkommen Ernst genommen wirst!!!
Hedi schreibt Dir aus tiefstem Herzen, und aire hat ihr geantwortet, wie es auch von mir und vielen anderen hier im Forum hätte kommen können!!

Hab Vertrauen!

Liebe Grüße,
Rahel

stand ich auf der Leitung?

#12
Hallo Rahel111,

@Hedi und

@Aire,

ich wollte hier niemanden angreifen. Sollte ich jemanden verletzt haben, so bitte ich um Entschuldigung.

Ich weiß nicht was ich hier in diesem Forum erwartet hatte, aber die umfangreiche Antwort und offenen Worte wohl kaum.

Ich bin froh, dass ich den Schritt in dieses Forum gemacht habe.
Ich bin so besser auf das vorbereitet, was mich morgen erwartet, ein Gespräch mit meiner Tochter, die völlig ohne Grund von ihrem Großvater zusammengestaucht wurde und nicht wissen konnte, dass er von ihrer Bulimie weiß und diese als ungezogene Marotte einstuft. Muss sich für sie angefühlt haben wie ein Eimer kaltes Wasser ins Gesicht, wenn man nach freudiger Bekanntgabe eines tollen Abiturs kurz darauf angebrüllt wird usw.
Ich trag so eine innere Unruhe in mir, mich macht diese Warterei völlig irre.
Wäre das Gespräch doch schon gewesen, dann könnte ich handeln.
Pläne schmieden, spezielle Fach-Literatur lesen, meinen Wutschrei vom Dienstag wiederholen.

Das kann ich übrigens allen, die hier mitlesen, ans Herz legen.
Nach unserem Krach, zwischen dem alten Hernn und mir, habe ich den Telefonhörer aufgelgt und nur einmal tief Luft geholt und alle Kraft in einen Zornschrei gelegt, da hätten die Nachbarn die Polizei holen müssen, hätte das jemand gehört.
Das befreit in dem Moment ungemein.

Soviel für heute, Kraft sammeln für morgen und die Angst vor dem Ungewissen besiegen.

Oh, ich Schisshase

es grüßt der kleine engel

#13
Mein lieber Engel,

vor dem Gespräch mit deiner Tochter musst du ganz und gar keine Angst haben.
Sie hat dir, wenn du auch glaubst ungewollt, ihr Geheimniss eröffnet.
Das heißt, sie sucht Hilfe.
Biete ihr diese an. Aber stelle auch gewisse Regeln auf, die deine Hilfe einschränken.
D.h. Offenheit bei den künftigen Gesprächen, wenn es um die Krankheit geht. Deine Tochter soll wissen, dass du gerne und immer für sie da bist, allerdings, dass du das nur kannst, wenn sie ehrlich ist.
Schlage ihr vor, eine Therapie in Anspruch zu nehmen. Sollte sie aber dazu noch nicht bereit sein, setze sie nicht unter Druck.
Versuche ihr nur klar zu machen, dass sie mit ihrem Leben spielt.
Frage sie auch, wie es ihr mit dieser Krankheit geht. Wie sie sich dabei fühlt. Zeige ihr, dass du verstehst, wie sehr sie gelitten haben muss in dieser Einsamkeit. Und es ist bestimmte Einsamkeit, wenn man sich mit einer Krankheit derart verstecken muss.
Ab jetzt muss sie das nicht mehr. Und Menschen, die das nicht akzeptieren, schließt aus.
Aber um himmels Willen beschränke ab jetzt deine Tochter nicht auf die Bulimie. Zwei Situationen können passieren.
Deine Tochter fühlt sich plötzlich bei ihrer Mutter wichtiger und anerkannter mit der Krankheit und hält daran fest. Und deine Tochter fühlt sich nur mehr auf die Bulimie beschränkt und nicht mehr als vollwertiger Mensch. Zerrissen sozusagen.
Nun wirst du sagen, was hab ich denn dann überhaupt für Möglichkeiten, meiner Tochter zu helfen?
Sei für sie da, schränke aber deine eigenene Persönlichkeit nicht ein.
Vergiss bitte nicht, dass auch du weiterhin (oder hasst du überhaupt schon jemals) Bedürnisse hast.

Achja und keine Angst hier im Forum zu schreiben, wir sind eine große Familie und versuchen uns gegenseitig so gut es geht zu helfen.
Ich freue mich mit dir in Kontakt zu sein und hoffe, dass wir den auch aufrecht halten :D

Allerliebste Grüße
Deine Hedi

Chaos im Kopf

#14
Hallo Hedi,
ich sitze hier am PC wie das Kanninchen vor der sprichwörtlichen Schlange.
Eben fand ich deine Antwort. Vielen lieben Dank.
Ich selbst hatte und habe vor, meine Tochter so normal wie möglich zu sehen. Das ich deshalb auf gar keinen Fall sie auf ihre Bulimie reduzieren darf, ist mir sofort klar gewesen. Aber wie soll ein Bulimiekranker die Gedanken rund um die FA abschalten?
Durch etliche Existenzsorgen der Vergangenheit, die das normale Denken und Handeln bei mir massiv gestört hatten, weiß ich, dass man eben NICHT einfach abschalten kann, wenn man die Aufmerksamkeit nicht in eine völlig andere Richtung lenken kann. Und selbst wenn man eine Zeit abgelenkt ist, sind die Gedanken dann halt später wieder da.
Weißt du, was ich meine?

Ich kann noch nicht zuordnen, wie massiv die Krankheit von meiner Tochter Besitz ergriffen hat. Am Besten wäre, alle die uns kennen, würden das wissen und den Umgang mit uns so locker und normal wie möglich gestalten.

Mein fester Vorsatz ist, das Thema FA und Erbrechen nach Möglichkeit nicht unser komplettes Denken und Handeln bestimmen zu lassen. Dazu muss ich selbst im Kopf umschalten.
Wir werden damit leben müssen, dass es für meine Tochter gute und andere Tage geben wird.

Mich sorgt die kommende Zeit, denn ab Herbst wird sie zum Studium wegziehen. Dort muss sie entweder alle Höhen und Tiefen allein durchleben, wenn sie sich bis dahin einer Therapie verschließt, oder sich irgendwem anvertrauen, falls sich vor Ort überhaupt der richtige findet.
Ich habe mich durch etlichen Beträge hier durchgewühlt, um den Denkprozess von Bulimiekranken begreifen zu können.

Durch eigene Erfahrungen mit der Erkrankung Stoffwechselstörung im Gehirn=Depression bzw. Angstattacken werde ich deshalb innerlich nicht ruhiger. So wie kein Mann begreifen kann, wie sich eine Schwangerschaft anfühlt, muss man Depressionen gehabt haben, um da mitfühlen zu können.
Könnte eine Chance für uns sein, dass ich den Denkprozess, dieses Hamsterrad, nachvollziehen kann.

Töchterlein kommt gleich, damit wir erst mal, nach einer ganzen Woche Funkstille, einen Schritt wieder aufeinander zu gehen können.

Ich muss jetzt hier weg, mich sammlen und mich mit Kaffee dopen.
Buh, bin ich nervös, das kann sich keiner vorstellen.

der kleine Engel
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