Liebe Sarah,
dein Posting hat mich ziemlich berührt.
Ich hab lange den Gedanken gehabt, dass ich es nicht einmal schaffen würde, eine gute Essgestörte zu sein.. na ja.
Weißt du.. unsportlich, faul, was auch immer. Diese Adjektive klingen negativ (obwohl, ich hasse Sport auch. Besonders Laufen. Deshalb mache ich auch keinen, hehe.)
Du sagst, du hast psychische Ursachen und so schon recht gut bearbeitet. Das ist echt toll! Aber ich nehme mal an, die Bulimie nimmt noch immer einen recht großen Platz in deinem Leben ein, so wie du schreibst. Und du hast damn Recht: Das Leben wird eben nicht automatisch sensationell, wenn man sein Essverhalten im Griff hat. Die Lebensqualität steigt zwar ungemein, wie ich am eigenen Leib erfahren habe, aber hinzu kommt, dass man sich keine Zeit mehr mit Fressen und Kotzen und Problemverdrängen vertreiben kann. Das klingt jetzt ein Bisschen blöd, aber ich z.B. würde mich heute als so ziemlich gesund bezeichnen. Aber manchmal, wenn es mir wegen irgendeiner Sache (und wenn es nur eine ganz kleine ist) sehr mies geht, spüre ich in mir immer noch den Drang zu essen oder zu fressen und vor allem den zu kotzen, der ist manchmal noch ganz stark.
Das ist die
eine "Funktion" der Essstörung.
Die
andere, na ja, da könntest du vielleicht gar nicht so unrecht haben, Gewohnheit? Ich hab z.B. vornehmlich spätabends, wenn alle im Bett waren, gefressen und gekotzt oder wenn keiner zu Hause war (logischerweise quasi). Hey, wenn man mehrere Tage alleine ist (bei mir war das letzten Sommer recht krass, die Anfangserfahrung ungefähr), ist das gar nicht mehr einfach! Früher habe ich immer die Minuten gezählt, bis ich alleine war, um mich endlich "hingeben" zu können. Und letzten Sommer hat sich das, trotz Job, ziemlich leer angefühlt. Nicht diese unglaubliche Vorfreude auf Essen und so weiter. Weil da war ja nichts, worauf ich mich diesbezüglich freuen hätte können, außer auf irgendein normales Abendessen halt.
Wenn Essen nicht mehr diesen hohen Stellenwert im Leben einnimmt, das gebe ich jetzt mal offen zu, da geht was ab. Es fehlt einfach. Und es dauert lange, bis man das wieder füllen kann. Wenn ich dran denke - früher, wenn ich gehungert habe, war es das Höchste der Gefühle, ein Stück Schokolade zu essen, ich hab das richtig zelebriert. Da gibt es gar nicht SO viele Sachen, die so viel Glücksgefühl verschaffen *hehe* Nein, ich will nichts glorifizieren, aber es stimmt schon ein Bisschen.
Also, ich schwafle wieder vom Hundersten ins Tausendste, weißt du, wie ich es im Kern meine?
Ich hoffe nur, es hilft dir wenigstens ein kleines Bisschen
Ah, und noch was wichtiges.
Vergiss am besten gleich dieses Denken von wegen Magersüchtige streben nach Perfektion, Fettsüchtige nicht, die sind faul und undiszipliniert und deshalb tendiere ich eher dahin. Erstmal ist Adipositas eine Krankheit so wie Magersucht oder Bulimie.
Zweitens klingt das wie das Denken von einer "besseren Essstörung".
Ich versteh es zwar durchaus - ich glaube, die meisten Esssgestörten, die unter Fressanfällen oder Übergewicht leiden, wünschen sich, magersüchtig zu sein, so pervers das auch klingt.
Aber ich pflege zu sagen - man ist dann zwar vielleicht dünner. Dürrer, um genau zu sein. Aber alle Arten von Essstörungen sind die gleiche Hölle.
Wobei ich zugestehe, dass Übergewichtige quasi noch soziale Sanktionen erleiden müssen (traurig genug), während Schlanke, Dünne und oft auch noch Dürre bewundert und anerkannt werden. Nicht wegen der Krankheit, aber wer weiß denn schon normalerweise, dass dahinter eine Krankheit stecken könnte?
Ich glaube übrigens nicht, dass es dir an Kraft mangelt, durchzuhalten im Kampf gegen die Bulimie. Vielleicht hast du es noch nicht
ganz fest versucht. Bitte nicht falsch verstehen, ich unterstelle dir natürlich nicht, dass du irgendwas nicht versuchen willst, aber man tendiert dazu (also, mit man meine ich mich), viel zu schnell aufzugeben, und man schafft viel mehr, als man sich vorstellen kann. Und auch dann, wenn es nächtelanges Kissenschlagen bedeutet. Schreien und tiefste Verzweiflung und alles.
Aber du bist nicht von heute auf morgen in die Essstörung reingeraten, also kommst du auch nicht von heute auf morgen wieder raus.
Du hast mehr oder weniger geklärt, woher sie "kam" - jetzt hast du die Ausrüstung, sie wieder dorthin zu schicken. Du schaffst das!!!!!!
Liebe Grüße, never