#38
von jen
also ich kenne diesen zustand noch seeehr gut von meiner damaligen bulimiezeit. hatte das sehr häufig,vor allem dieses krampfhafte zittern, schwindel, übelkeit und das gefühl, als würdest du alles wie durch eine milchige scheibe wahrnehmen, so als wärst du in einem rausch.
ich finde es ziemlich anmaßend von dir, zu sagen, dass du bisher nur hedis tochter kennst, die dabei daran gestorben ist und dir folglich keine allzu großen sorgen machst. reicht ein mensch denn nicht aus? wie viele müssten denn sterben, damit du den ernst der lage einsiehst? zudem ist es vielleicht in diesem forum nur hedi, aber schau dich mal draußen um. es gibt etliche seiten im netz über verstorbene essgestörte, es gibt reportagen ohne ende von den furchtbarsten folgeschäden. und jeder, der mal in einer klinik war, wurde mit dieser nähe zum tod konfrontiert. selbst in den kliniken sterben immer wieder magersüchtige oder bulimiekranke. glaubst du außerdem, dass DIR sowas nie passieren kann? warum denn nicht? kannst du über dein leben selbst bestimmen? sicher nicht. vielleicht bist gerade du dieser eine fall, von dem man sich immer nicht betroffen fühlt. vielleicht kannst du aber das ruder auch noch rumreißen. mindestens einen versuch wäre es jedenfalls wert.
und ja, scheiß auf den umzug, geh in die klinik. ich bin damals auch während der schulzeit gegangen,bin auch das risiko eingegangen, dass ich vielleicht das schuljahr wiederholen muss. außerdem habe ich es in kauf genommen, mich outen zu müssen, vor allen. heute erscheint mir das lächerlich im gegensatz zu dem, was ich durch die klinik wieder gewonnen habe: mein neues leben. überhaupt ein leben...
ich dachte auch immer, mir passiert sowas nicht. wie abgehoben wir essgestörten doch manchmal denken. als könnten wir die ganze welt und unser eigenes schicksal beherrschen. tun wir aber nicht. wir glauben, alles in der hand zu haben. die kontrolle über uns, über unser leben. doch wie sollten wir das haben, wenn wir nicht einmal mehr die kontrolle über uns selbst haben und auch hier glauben, wir hätten alles im griff?
dein körper ist keine maschine und du bist kein weltwunder, insofern, dass du machen und tun kannst, was du willst, ohne dass es keinerlei konsequenzen hat.
ich verstehe dich ja sogar. ja, ich dachte einmal genauso wie du.
und umso größer ist meine heutige fassungslosigkeit über mein eigenes verhalten, meine betroffenheit gegenüber angehörigen wie beispielsweise hedi. ich bin nicht nur betroffen gewesen. ich habe diese ganze hölle auch schon als angehörige durchlebt. und ich kann dir sagen, es ist echt hart, auch mal die andere seite zu sehen. hilflos zusehen zu müssen, wie ein mensch sich kaputt macht.
als ich in die klinik kam, wurde mir gesagt, dass es allerhöchste zeit sei. mein herz war dermaßen am ende, dass ich es nicht mehr lange durchgehalten hätte. und so frage ich dich: wie lange noch? du meinst, du hättest die beschwerden ein jahr. das ist zu lange... ich hatte sie nur etwas länger als ein jahr und stand auch kurz vorm ende - ohne es zu merken. selbst da dachte ich noch, ich hätte zumindest das im griff. wie anmaßend.... daher frage ich, wie lange noch? wie lange hätte ICH damals noch durchgehalten? vielleicht ein jahr? vielleicht aber auch nur einen monat, ein paar wochen? ich weiß es nicht.
und so kannst du auch nicht wissen, welchen schaden du bereits angerichtet hast, wenn du dich nicht untersuchen lässt und dir hilfe holst.
wirf dein leben nicht so weg. du hast nur eins davon
ich wünsch dir viel kraft
lg, jen
Lauf der Sonne entgegen, anstatt auf sie zu warten...