Verzeiht dass es so lange geworden ist!

#1
Ich habe mir alle Themen hier mal grob durchgesehen und festgestellt dass sie hauptsächlich positive Themen sind.
Deshalb tut es mir leid wenn mein Beitrag hier überhaupt nicht hinein passen sollte aber ich muss irgendwie mein Herz ausschütten.

Ich bin in einer großen Familie aufgewachsen, habe 5 Geschwister (drei Brüder und zwei Schwestern).
Ich bin die zweit jüngste und als ich ungefähr 6/7 Jahren alt war, hat sich mein Vater mit einem meiner Brüder so gestritten, dass er ausgezogen ist. (Er war 16)
Aus Zorn auf ihn hat er uns den Kontakt mit ihm verboten und da wir ja auch noch relativ Klein waren, hatten wir da (sowieso) nichts mit zu reden. Er war aber immerhin ja immer noch unser Bruder und der Sohn meiner Mutter also haben wir uns HEIMLICH mit ihm getroffen. Ich hasse dieses Wort! Ich hasse es so sehr! All ihr lieben Mütter und Väter die es in diesem Forum gibt, verlangt bitte, bitte, bitte niemals von euren Kindern jemanden anzulügen!
Ständig hieß es von meiner Mutter am Heimweg nur "Kinder vergesst nicht, wir waren am Spielplatz und danach noch ein Eis essen". Weil mein Vater aber verdacht schöpfte (kann auch mit seiner krankhaften Eifersucht und seinem miesen Vertrauen zusammenhängen) hat er uns drei kleinen mit denen meine Mama eben unterwegs war, nach einander einzeln "verhört" um zu sehen ob wir alle drei auch wirklich das selbe sagen. Da das aufgrund unterschiedlicher Fragen kaum möglich war, flog meistens alles auf.

Ich sag euch soetwas ist scheiße! Du wächst mit lauter Lügen auf, hast in deinem kleinen Leben schon unendlich viele Geheimnisse, dir wird verboten jemals darüber zu reden und irgendwann mit den Jahren wird es "normal".
Man fängt an in allen Dingen zu lügen weil man es ja nicht anders kennt. In meiner Pubertät war es besonders schwer zu verstehen wieso meine Eltern sauer auf mich sind wenn ich sie anlüge weil das ja in frühen Jahren sogar verlangt wurde.
Dann merkt man wieviel Probleme man hat wenn man ständig nur lügt und dann musst du alles wieder grade biegen und dir selbst abgewöhnen in jeder Hinsicht zu lügen.
Ich meine, ich habe meine Eltern lieb aber dies ist eine der vielen Sachen die ich echt scheiße finde an ihnen! Sie ziehen dich auf mit der Aufgabe ständig alles Geheim zu halten und dann wenn du alt genug bist, ein anderes Leben außerhalb der Familie zu haben, dann werfen sie dich den Wölfen zum fraß vor und lassen dich alleine regeln was du mit ihrer Hilfe verbockt hast!

Jedenfalls warum mich das jetzt gerade so beschäftigt ist folgender Grund. Mein Vater hat sich auch mit dem zweiten älteren Bruder vor einigen Jahren zerstritten weil er eine abfällige Bemerkung über die Frau meines Bruders abgegeben hat. Das ist jetzt 6 Jahre her und weil es bei ihm genauso ablief mit Kontakt verbot und er nach Deutschland zog habe ich ihn obwohl ich meinen Bruder wahnsinnig lieb habe, einmal in diesen 6 Jahren gesehen. Bis auf Gestern, als er nach Wien kam. Es war ein wunderschöner Tag und als ich ihn am Abend heim bringen wollte, war mein Auto abgeschleppt worden. Da mir das noch nie zuvor passiert ist (und diesmal durch eigene Dummheit) rief ich meiner Mutter an um zu fragen was ich tun soll. Und das erste was sie sagt ist "Scheiße Astrid, wenn wer fragt dann warst du mit einer Freundin unterwegs!" und beim Verabschieden nochmal "Vergiss nicht: Du warst mit einer Freundin unterwegs"

Ich brach in Tränen aus und hatte eigentlich vor meinem Vater die Wahrheit zu sagen, immerhin bin ich 20 Jahre alt und er ist mein Bruder! Ich sehe nicht ein wieso ich darunter leiden soll nur weil mein Vater seinen Mund nicht halten kann.
Doch als ich dann Zuhause war, habe ich ihn angelogen.
Und ich bin so fertig deshalb! Ich hasse Lügen, Schwindelein, Heimlichkeiten und all soetwas.
Ich weiß nur nicht ob ich jetzt noch etwas daran ändern kann wenn ich sage dass ich gelogen habe oder ob ich es nicht noch schlimmer mache ...
Zuletzt geändert von Ppve am Sa Mär 16, 2013 7:52, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Verzeiht dass es so lange geworden ist!

#2
Hallp Ppve,

da haben dich deine Eltern ja wirklich in eine Sache reingezogen. Es muss sehr anstrengend sein, diesen Spagat zwischen Elternhaus und Forderungen und Umwelt und deren Forderungen zu meistern.
Ich glaube, deine Eltern sind in einem so festgefahrenen Muster, dass du die beiden da nur schwer wieder rausbekommst. Vermutlich lässt sich über die Angelegenheit mit deinen Brüdern auch nicht im normalen Ton mit deinem Vater sprechen oder? Dass man ihm klarmacht, dass ER ein Problem mit dem Bruder hat und nicht du oder deine Mutter oder gar der Bruder selbst. Dass man ihm noch einmal gemeinsam klarmacht, dass ihr eigenständige Menschen seid und er nicht über euer Leben zu bestimmen hat. Wie geht denn deine Mutter damit um? Das müsste sie ja auch sehr belasten? Verstehst du dich gut mit ihr, sodass ihr auch außerhalb der Lügen zusammenhalten könnt? Das wäre wichtig gegenüber dem Vater find ich... Wenn sowas überhaupt möglich wäre... Ist ja immer so eine Sache mit dem Reden.
Andererseits bist du 20 Jahre alt und darfst selbst bestimmen mit wem du dich triffst und mit wem nicht. Hast du schonmal ans Ausziehen gedacht? Ich denke, um diese Wiederholungsschleife aus Lügen wirklich für dich selbst unterbrechen zu können, musst du ausziehen. Denn so wie es jetzt ist, wird von dir ja immer wieder verlangt, dass du lügst. Und wenn dich das so belastet, dann hat es meiner Meinung nach keinen Sinn noch ewig zu Hause wohnen zu bleiben.

Du hast dir doch bestimmt auch schon mal Gedanken gemacht wie du das alles ändern kannst oder wie du da rauskommst oder? Was sind deine Ideen?

Viele liebe aufmunternde Grüße!

Re: Verzeiht dass es so lange geworden ist!

#3
Liebe Juliana,

Du hast es gut getroffen! Mit meinem Vater kann man leider überhaupt nicht normal reden. Er fängt immer gleich an zu schreien, schimpft einen und es kommen "Argumente" wie "Wer bist du schon dass du soetwas beurteilen kannst?" "Du musst erst mal soviel erreichen wie ich bis du so mit mir reden darfst oder mir irgendetwas zu sagen hast"
Es ist ziemlich mühsam. Manchmal denke ich dass er genau weiß das er mit manchen Dingen falsch liegt und deshalb seine "Argumente" oft keinen Sinn ergeben.
Er ist abgesehen davon extrem konservativ - so auf die altmodische Weise, sprich die Frau ist in seinen Augen immer unterwürfig und es ist eine Schande wenn sie ihre Stimme erhebt.

Meine Mutter denke ich macht das auch fertig aber manchmal kommt sie mir vor wie ein 13 jähriges Mädchen die sich verliebt hat und nicht sieht das der Typ ein Trottel ist. Verstehst du was ich meine?
Sie ist oft irgendwie blind vor Liebe und meint immer sie liebt ihn und da gehört es dazu sich gegenseitig so zu akzeptieren wie man ist. Ich sehe das ja ansich auch so und deshalb kann ich auch oft verstehen wieso sie sich entweder alles gefallen lässt oder eben über alles hinwegsieht was er tut. Ich kann da natürlich auch nicht aus eigener Erfahrung sprechen und ich weiß da kann man immer leicht behaupten man würde es anders machen, aber zumindest Grenzen sollte man erkennen, denke ich mir.

Das Verhältnis zu ihr ist komisch. Wir könnten uns weitaus besser verstehen, tun wir aber nicht. Komischerweise sieht sie das anders. Wenn ich mal mit ihr rede und ihr sage dass zumindest wir gut miteinander kommunizieren müssten, ist sie immer traurig weil sie meint sie dachte wir hätten eh so ein gutes Verhältnis. Tatsächlich haben wir unterschiedliche Ansichten. Sie denkt es reicht eine begrenzte Zeit Aufmerksam zu sein, so wie etwa bei einem Hobby. Es ist immer Ein Tag die Woche bei dem wir 2-3 Stunden miteinander verbringen und den Rest der Woche ist es so als wäre ich nicht ihre Tochter sondern eine Untermieterin.

Ans ausziehen denke ich schon lange und ich wäre auch schon längst ausgezogen, allerdings ziehe ich jetzt im August wegen eines Studiums nach Kanada und deshalb ziehe ich es nicht in betracht, davor noch schnell woanders hinzuziehen.

Selbst habe ich mir schon oft Gedanken dazu gemacht, wie ich selbst damit umgehen soll. Allerdings konnte ich mich noch nie für etwas entscheiden. In einem Moment denke ich es sei das Beste nichts zusagen, in einem anderen merke ich wie mir schon ganz schlecht wird weil ich nichts sage und ich würde am liebsten - es klingt jetzt dumm - einen filmreifen Ausbruch bekommen. All meine Wut und meinen Zorn hinaus lassen um einfach mal zu schauen dass es MICH nicht mehr belastet.
Da ich jetzt aber intensiv gerade über die gestrige Situation nachgedacht habe, möchte ich meine Mutter eigentlich schon gerne darauf anreden (In den 2-3 Stunden die mir gewidmet sind). Wenn ich nämlich normal mit ihr rede und ihr in Ruhe meinen Standpunkt erkläre dann versteht sie mich meistens. Sie meint dann zwar trotzdem immer es müsste alles so ablaufen wie gehabt aber für mich persönlich ist es ein besseres Gefühl zu wissen dass ich zumindest den Mund aufgemacht habe.

Liebe Juliana, danke für deinen Text! Es ist wirklich schön Hilfe von jemandem zu bekommen! : )
Zuletzt geändert von Ppve am Sa Mär 16, 2013 20:04, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Verzeiht dass es so lange geworden ist!

#4
Hallo ppve,

puh, dein Vater ist echt schwierig. Und deine Mutter beugt sich dem einfach so... Da ist es wirklich schwer noch was zu ändern. Ein eingespieltes Team. Da hast du es als jemand, der sich dem nicht einfach so ergeben will, eine besonders schwere Karte. Aber eine gesunde Einstellung!

Aber immerhin hast du ein Ziel vor Augen mit Kanada. Finde gut, dass du dann da raus kommst. Da kann ich verstehen, dass du da vorher nicht noch irgendwo anders hinziehen möchtest. Wie lange bleibst du denn dort?

Naja, ein gutes Verhältnis ist für den einen nicht das was es für den anderen ist. Vielleicht bist du die einzige, für die sie sich Zeit nimmt und vielleicht sind für sie diese paar Stunden auch ganz schön viel. Wäre es dir wichtig, deine Beziehung zu deiner Mutter enger zu gestalten?
Die Idee mit ihr zu sprechen, finde ich sehr gut! Wie du schon sagst, Hauptsache, du hast mal was gesagt. Hattest du inzwischen schon die Chance dazu?
Selbst habe ich mir schon oft Gedanken dazu gemacht, wie ich selbst damit umgehen soll. Allerdings konnte ich mich noch nie für etwas entscheiden. In einem Moment denke ich es sei das Beste nichts zusagen, in einem anderen merke ich wie mir schon ganz schlecht wird weil ich nichts sage und ich würde am liebsten - es klingt jetzt dumm - einen filmreifen Ausbruch bekommen. All meine Wut und meinen Zorn hinaus lassen um einfach mal zu schauen dass es MICH nicht mehr belastet.
Naja, wie es abläuft, wenn du das Lügen und das Stillschweigen hinnimmst, weißt du. Dir gehts nicht gut damit. Wie wäre es dann mal mit nem filmreifen Wutausbruch ;-) Manchmal braucht die Umgebung einen starken Reiz, damit sie merken, dass das so einfach nicht geht. Besonders gut funktioniert das, wenn man sonst eben genau gegenteilig agiert. Selbst meine Therapeutin hat mir damals geraten, meine Mutter einfach mal in dem Moment meine Gefühle ungefiltert mitzuteilen.

LG
Juliana