Wie lernt man mit der Vergangenheit umzugehen

#1
Hallo....

ich hoffe ich hab mein Thema hier richtig platziert. Es fällt mir schwer die richtigen Worte zu finden, um mein Problem zu beschreiben. Vielleicht liegt es auch daran, dass es 6 Uhr morgens ist und ich seit gestern abend durchheule.
Eigentlich bin ich nicht die Person, die ihren Gefühlen so deutlich Luft macht und ich weiß noch nicht mal warum es gestern dazu gekommen ist. Mich belastet diese ganze Situation aber jetzt so sehr, dass ich gerne davon erzählen möchte, ich brauche jemanden zum reden, ich brauche jemanden der mir hilft zu verstehen und ich hoffe es ist in Ordnung wenn ich hier schreibe.

Der gestrige Tag war eigentlich ganz "normal". Ich bin noch 1 Woche im Krankenstand, weil ich in den letzten Wochen eine Operation hatte und mir 2 Weisheitszähne entfernt wurden. Leider hat sich eine Wunde entzündet, weshalb ich jetzt fast immer Kieferschmerzen habe. Jedenfalls war ich einkaufen, mein Freund verräumte die Sachen und schnauzte mich an dass ich nicht mal in der Lage wäre die Küchenkästen in Ordnung zu halten, obwohl ich jetzt ja eh nur zu Hause herumsitze. Das hat mich schon irgendwie getroffen, weil mir eine saubere Wohung sehr am Herzen liegt und ich mich oft auch ein wenig über das was ich tue definiere (also wenn es sauber ist bin ich gut, wenn nicht bin ich schlecht). Ich weiß das es eigentlich Kokolores ist und das ich auch wenns mal nicht perfekt ist ein wertvoller Mensch bin, aber ich fühle mich trotzdem nicht gut wenn jemand mir "Faulheit" vorwirft. Anschließend musste ich schnell zu einer Bekannten und ihr eine Spritze verabreichen. Beim Nachhausefahren war ich so in Gedanken das ich über eine rote Ampel gerauscht bin und fast einen Unfall gebaut hätte (das "du blödes Weib du blödes" habe ich mir wirklich verdient). Als ich dann zuhause war sahen ich und mein Freund fern. Irgendwie fingen wir zu streiten an, wir machten uns gegenseitig Vorwürfe wegen lächerlicher Dinge. Dann schlief er ein...

So jetzt zum eigentlichen Thema. So wie diese Nacht ablief passierte es schon mal vor ein paar Wochen. Ich lag im Bett und grübelte. Dann fielen mir all die verletzenden Worte und Taten meines Vaters wieder ein. Versteht mich nicht falsch ich hatte sicher keine schlimmere Kindheit als viele von euch, aber damals hat das alles sehr sehr weh getan. Ich weinte so bitterlich (naja ich weine noch immer) um das kleine Mädchen von damals, wollte in Gedanken Sätze schreien um meinem Vater etwas entgegenzusetzen um jemanden zu bitten mir zu helfen. Ich würde wer weiß was dafür geben, hätte irgendjemand mal gesagt, dass es nicht normal und nicht richtig ist was bei uns zu Hause abgelaufen ist, damit ich endlich eine Bestätigung für meine Gefühle gehabt hätte. Auch wenn es viele Banalitäten waren....es tat schlimm weh.
Wieso tut das heute noch so weh? Ich verstehe es nicht, ich habe ihm doch verziehen verdammt! Ich habe abgeschlossen. Ich will die Geister der Vergangenheit endlich ruhen lassen. Ich will nicht meiner Vergangenheit die Schuld an meiner momentanen Situation geben, ich will das endlich abschliessen. Wie geht das? Ich habe in meiner Therapie soviel über Vater geredet, aber es fühlte sich nie echt an.....wisst ihr was ich meine? Es fühlte sich an als würde ich eine fremde Geschichte erzählen, es ging mir gar nicht nah. Nur heute Nacht tat es so weh, ich heulte wie ein Schlosshund, richtig erbärmlich.
Gibt es nicht eine Möglichkeit das alles zu beenden? Es einfach sein zu lassen? Es nicht mehr so schwer zu nehmen? Ich habe meinen Vater sehr gerne, ich will ihm keine Vorwürfe machen. Ich weiß warum es damals so abgelaufen ist. Heute bin ich alt genug um selber zu entscheiden was ich tue oder mit wem ich zusammen bin. Wer mir gut tut und wer nicht. Wieso weine ich dann wegen Dinge die 10-15 Jahre zurückliegen?

Liebe Grüße
eine verzweifelte Woelfin
Der Mensch hat dreierlei Wege klug zu handeln: Erstens durch Nachdenken, das ist der edelste. Zweitens durch Nachahmung, das ist der leichteste. Drittens durch Erfahrung, das ist der bitterste.

Schweigen ist ein Argument, das kaum zu widerlegen ist.

Re: Wie lernt man mit der Vergangenheit umzugehen

#2
Hi

Also... ich habe vielleicht nicht so etwas erlebt wie du, aber meine Vergangenheit hat mich eine Zeit lang auch ziemlich belastet und da heult man dann auch mal.

Du hast deinem Vater wohl noch nicht ganz verziehen, wenn solche Gefühle noch vorhanden sind.

Sag dir mal bewusst den Satz: Ich bin bereit loszulassen.

DU musst dir auch klar machen, dass du JETZT lebst. Du kannst die Vergangenheit nicht mehr ändern. Was passiert ist, ist passiert und jetzt kannst du entscheiden, ob du dich weiterhin damit quälst oder deinem Vater entgültig verzeihst UND du nicht mehr zulässt, dass er Einfluss auf dein Leben nimmt.

lg

Re: Wie lernt man mit der Vergangenheit umzugehen

#4
schließe mich schlumpfine an. Es ist nicht leicht, die Vergh. los zu werden, aber eines weiß ich sicher. Die Zeit und gute Gespräche helfen dir die Vergh. mit der Zeit besser zu ertragen. Es wird mit der Zeit erträglicher, denke eine Therapie ist da sicher sehr hilfreich, denk grad.

Wünsche dir viel Erfolg beim Verarbeiten der Vergh.!!!!

cogito

Re: Wie lernt man mit der Vergangenheit umzugehen

#5
Vergangenheit kann man 'umdeuten'.

Man kann Vergangenheit einen anderen Sinn, eine andere Funktion und Wirkweise geben, wenn man im heute seine Ziele so geht, wie man sie selbst haben möchte.
Und dann wird Vergangenheit zu etwas glücklichem, weil es dahin führte, wo man sein möchte, von ganzem Herzen.

Man kann die Vergangenheit - das glaube ich - a) nicht abschalten, und b) kann man seinem Leben auch nicht einfach einen totalen cut geben. Ich jedenfalls glaube letzteres nicht, da es mir noch nie gelungen ist, und da meistens ja auch noch andere, geliebte und liebgewonnene Menschen in dieser Vergangenheit leben bzw. einfach darin verankert sind, mit all ihren Weisen usw.

LG!

Re: Wie lernt man mit der Vergangenheit umzugehen

#6
Anders gesagt - nochmal überlegt:

Glaube Vergangenheit muß man v.a. - auch mit allem Schmerz - einmal annehmen. Und danach dann - und das haben wohl auch schon fast alle anderen Beiträger hier gesagt - kann man (evtl. mittels Therapie) lernen, sie zu verstehen, mit einem kritischen Verständnis dafür, nämlich eines mit Denken (und weniger spüren).

Und man kann auch seine Vergangenheit - wenn's hilft - bewußt selektiv wahrnehmen. Man kann sagen 'Das und das (von der Vergangenheit) möchte ich behalten, das war schön. Und man kann sagen: Gut, das und das ist 'ausgenutzt', das bringt mir jetzt nichts mehr, kann ich (wie Unique sagt) 'loslassen'.

Aber ich glaube am wesentlichsten ist es SEINE, seine eigene Verganenheit aus diesem ganzen Wust an Eindrücken usw. der dazukommt 'herauszufildern' und es quasi bis zur Person vom Jetzt 'zuführen'. D.h. z.B. nicht schauen, was andere getan haben oder was einem 'widerfahren'/ 'passiert' ist, sondern schauen: Was habe ich GETAN (wo war ich wie aktiv). Und wenn man sich z.B. 'nicht wehrt' oder 'zurückzieht', so war man da dennoch aktiv; man hat sich da z. B. geschützt.
Und dann kann man fragen: Was habe ich und warum so geschützt.

Jo, und dann halt geht es so weiter.
Jedenfalls: Keine Opfer-Vergangenheit sehen, sondern seine eigene, seine aktive, sein - ich nenne es mal einfach so: - 'tatsächliches Leben' (und wenn es auch evtl. irgendwann einmal noch so schwach gewesen)

Grüße.

Re: Wie lernt man mit der Vergangenheit umzugehen

#7
Danke für eure lieben Antworten. Ihr habt sicher recht. Ich möchte auch nicht als Opfer meiner Vergangenheit leben, ich möchte diese Zeit akzeptieren können, mit ihr leben und umgehen können. Es fällt mir aber noch sehr schwer. Ich möchte daran arbeiten aber ich glaube das ich es allein nicht bewältigen kann.

@Unique der satz "Ich bin bereit loszulassen" hat mir für den Moment wirklich geholfen. So ganz bewusst loszulassen, wird halt noch länger dauern.

Momentan geht es ein wenig besser, ich schäme mich für das Verhalten von gestern Nacht. Schließlich bin ich eine erwachsene Frau.

Ach ja, mir ist aufgefallen, dass ich solche heftigen Weinkrämpfe immer nur bekomme wenn ich eine Zeit lang clean bin. Kann es damit zusammenhängen? Das ich mir meiner Gefühle mehr bewusst bin, als wenn ich sie alle in dern Kloschüssel entsorge oder mit Essen ersticke....mhm
Der Mensch hat dreierlei Wege klug zu handeln: Erstens durch Nachdenken, das ist der edelste. Zweitens durch Nachahmung, das ist der leichteste. Drittens durch Erfahrung, das ist der bitterste.

Schweigen ist ein Argument, das kaum zu widerlegen ist.

Re: Wie lernt man mit der Vergangenheit umzugehen

#8
Ach ja, mir ist aufgefallen, dass ich solche heftigen Weinkrämpfe immer nur bekomme wenn ich eine Zeit lang clean bin. Kann es damit zusammenhängen? Das ich mir meiner Gefühle mehr bewusst bin, als wenn ich sie alle in dern Kloschüssel entsorge oder mit Essen ersticke....mhm
Glaub ich schon, ja. War mir auch fast meistens so ergangen.

Kopf hoch! Und: Aber Hallo, also 20 ist jetzt noch nicht superdupamegaerwachsen! Da kannst Dir ruhig noch etwas Zeit lassen.

LG,
Laona

Re: Wie lernt man mit der Vergangenheit umzugehen

#9
Liebe steppenwölfin!

Ich möchte dir zum Thema inneres Kind und Aufarbeitung zwei Bücher empfehlen:

Aussöhnung mit dem inneren Kind und das Arbeitsbuch zur Aussöhnung mit dem inneren Kind. Gibt es bei Thalia, kosten jeweils ca. 10 €.
Für mich waren beide sehr hilfreich bei der Auseinandersetzung mit mir, meiner Kindheit und vor allem meinem inneren Kind

Ganz lieben Gruß von der
Lebensfreude

Re: Wie lernt man mit der Vergangenheit umzugehen

#10
Danke vielmals für die Büchervorschläge. Ich erde sie mir besorgen, auf jeden Fall. Vielleicht können sie mir ja auch helfen. Danke nochmal.

Die etwas zuversichtlichere Woelfin
Der Mensch hat dreierlei Wege klug zu handeln: Erstens durch Nachdenken, das ist der edelste. Zweitens durch Nachahmung, das ist der leichteste. Drittens durch Erfahrung, das ist der bitterste.

Schweigen ist ein Argument, das kaum zu widerlegen ist.

Re: Wie lernt man mit der Vergangenheit umzugehen

#11
mir fällt es uauch ziemlich schwer mit der Vergangenheit abzuschließen, letzdens hat mich meine beste Freundin darauf angesprochen...

ich wurde in meiner jugend bzw Kindheit all die Schuljahre extrem gemobbt, und reagiere deshalb jetzt sehr extrem auf Kritik oder auch "scherzhafte" blöde Sprüche, sie meinte das ich einfach alles gleich ziemlich persönlich nehme und es auf meine Person beziehe!!!

Auch Komplimente bekomme ich auch nicht gern, weil ich im unterbewusstsein immer daran denke das sie sowieso nicht ernst gemeint sind oder es garnicht sein kann das mich jemand mal lobt...

es ist verdammt schwer... :( aber so kanns doch auch nicht sein oder? das ich durch die vielen negativen Erlebnisse in meiner Kindheit füs Leben gezeichnet bin.
Irgendwann ist immer das Ende...
Es ist nur wichtig wie das Ende aussieht...
Gesundheit und glücklich sein!
ODER der Tod!