Herzliches Hallo

#1
Hallo an Alle,

Ich wollte mich einfach mal kurz vorstellen.
Ich bin Sicario, lese schon seit einiger Zeit mit und eure Beiträge haben mir immer sehr geholfen mich nicht so alleine zu fühlen, deshalb hab ich mich jetzt angemeldet.

Ich hoffe ich bin hier richtig, ich habe mich zwar noch nie übergeben, aber Bulimie kommt an mein Esskuddelmuddel glaube ich am ehesten hin.

Ich esse tagsüber immer zu wenig, am Abend dann unkontrolliert total viel und mache hinterher viel zu viel Sport, um das Ganze wieder auszugleichen.
Die Essstörung hat aber bei mir schon viele Gesichter gehabt. Mehrere Magersuchtphasen, mal Binge Eating und immer neue Symptome.
Ich habe immer wechselnde bestimmte Rituale wie ich wann, was, wie schnell, wo etc. essen muss und wenn ich davon abweiche, bekomme ich total Panik.

Das belastet mich echt total und nimmt einfach mein ganzes Leben ein und macht mich so traurig, weil ich eigentlich ein echt schönes Leben habe, ich hab sehr nette Freunde, aber isoliere mich selbst immer, mein Job ist toll und macht mir Spaß und ist mir superwichtig, aber ich hab schon Probleme bekommen, weil ich mich so oft krank gemeldet habe und das nur um Sport zu machen oder weil ich nach einem Essanfall nicht in der Lage war hinzugehen. Ich gebe eigentlich mein ganzes Geld für Essen aus und mein Tag dreht sich nur darum. Ich hab auch schonmal Essen geklaut und Essensreste von anderen aus dem Müll gegessen und schäme mich dafür so in Grund und Boden, ich habe das Gefühl ich bin gar nicht mehr ich, davor war ich ganz anders....

Ich hab die Krankheit leider auch schon sehr lang und hab viel versucht. War einmal in einer psychosomatischen Klinik, dann in einer Psychiatrie, dann zwei Jahre in einer therapeutischen Wohngruppe, nehme Antidepressiva (die auch ein bisschen helfen), die Liste ist lang. Alle haben sich immer solche Mühe gegeben mir zu helfen und ich spreche mittlerweile mit niemandem darüber, als ich eine neue Arbeitsstelle angenommen habe, hab ich es niemandem erzählt, ich wollte einen Neustart (meine alte Arbeitsstelle wusste das und damit hab ich mich total unwohl gefühlt), auch meinen neuen Freunden nicht. Es ist mir unheimlich peinlich, dass ich trotz der Mühe aller immer noch feststecke. Ich habe die Programme alle zwar, glaube ich, gut mitgemacht, aber sobald ich alleine war, war ich wieder da, wo ich angefangen habe.

Und es tut mir auch leid, weil mein Umfeld echt nett zu mir ist und ich nicht das Gefühl habe nicht gemocht zu werden, alle freuen sich wenn wir was unternehmen, laden mich oft ein und auch auf der Arbeit werde ich oft gelobt, wenn ich etwas gut mache und meine neuen Kollegen versuchen auch immer sehr lieb mich zu integrieren. Im Gegenteil - ich bin selbst die Person, die sich immer zurückzieht und eine emotionale Mauer baut.
Ich tue mir im Endeffekt selber damit weh und weiß nicht wieso.

Ich empfinde mich auch generell als Suchtcharakter, zu meiner "Stickersammlung" gehören auch Probleme mit Marihuana, Kaufsucht, und Kleptomanie.

Ich kann schon auch sehen, dass es in den ganzen Jahren positive Seiten gab, ich hab auch Fortschritte gemacht, manche körperliche Aspekte haben sich erholt, ich habe eine Zukunftsperspektive gefunden, ein neues soziales Umfeld, die Beziehung zu meiner Mutter verbessert und vieles mehr. Also ich will nicht sagen, dass alles schlecht ist. :)

Trotzdem nimmt die Symptomatik in letzter Zeit wieder ein beträchtliches Ausmaß an und ich bin so traurig, weil ich dabei zusehen kann, wie die Esstörung mein ganzes Leben auffrisst. Jeden Tag bin ich ein bisschen weniger glücklich. Ich weiß auch nicht.

So viel zu mir, danke an alle, die sich tatsächlich die Mühe gemacht haben meinen Roman durchzulesen und nochmal ein herzliches Hallo! :)
Hat schon sehr gut getan, einfach mal alles von der Seele zu schreiben.

LG Sicario

Re: Herzliches Hallo

#2
Hallo Sicario,

herzlich willkommen
ich fühle mit dir mit und kann dich total verstehen. Meine Bulimie nimmt in meinem Leben auch sehr viel Platz ein. Es nimmt mir Zeit weg, die ich zum Lernen bräuchte und Geld. Ich kriege oft auch immer Panik wenn ich in der Schule doch etwas esse, obwohl ich das gar nicht vor hatte. Ich war früher auch ein anderer Mensch glücklich, motiviert, habe gern gelernt, hatte Hobbys und jetzt bin ich wie ausgetauscht. Ich habe auch schon blöde Kommentare anhören müssen, weil ich mich oft krank melde wenn vor allem Klausuren anstehen für die ich wieder nichts gelernt hatte und lieber zuhause blieb, um dann Kochen zu können.

Du tust mir echt Leid. Hast schon so viel durchlebt. Ich denke du steckst in einem Gefühl drinnen, dass du gar nicht anders leben kannst, weil du schon so lange so gelebt hast und irgendwas brauchst um diese Leere zu füllen. Du denkst vielleicht, dass du nicht glücklich sein darfst oder kannst oder dich machen Erinnerungen wieder traurig. Auch auf Partys zum Beispiel bin ich immer mit den Gedanken weg und denke eigentlich, dass ich das nicht erleben darf. Ich denke du solltest einfach mal einmal komplett loslassen können und dir dieses Glück erlauben und etwas zu finden, was dieses Unglück füllen kann. Wie wärs mit Musik hören, Buch lesen oder einen guten Film schauen und etwas für dich zu machen. Dir vielleicht neue Kleidung bestellen. Irgendwas was dich persönlich glücklich macht.

Hoffe ich konnte dir helfen, wünsche dir alles Gute und drücke dich :D

Re: Herzliches Hallo

#3
Hallo LadyInRed,

Erstmal - ich freue mich riesig, dass du geantwortet hast!
Es tut total gut zu lesen, dass jemand meine Probleme nachfühlen kann - auch wenn ich das natürlich niemandem wünsche....

Ich vermisse mein früheres Ich total und das mit der Zeit, das du ansprichst stimmt leider total. Ich frage mich immer, wie ich alle meine Aktivitäten früher in einen Tag reinbekommen habe, aber damals habe ich wohl auch nicht Stunden mit Sport, Essen, Rezepte sammeln und so weiter zugebracht. Verschwendet trifft es wohl eher.

Du sprichst mir aus der Seele mit dem "gar nicht mehr anders leben können". Ich fühle mich, als hätte ich schon vergessen, wie richtig Leben eigentlich geht. Seit Jahren ist es Same procedure as every year. Es wird so zur Routine, dass man sich irgendwann wirklich nicht mehr vorstellen kann ohne seinen gewohnten Tagesablauf zu sein und es auch nicht mehr so als nicht normal wahrnimmt. Und wenn ich so darüber nachdenke, macht es mir ehrlich gesagt auch echt Angst, wenn ich daran denke, meine Komfortzone zu verlassen. Ich bin ein totales Gewohnheitstier und hasse Veränderung, ich fühle mich dann sofort überfordert und verunsichert.

Und der Glaube nicht glücklich sein zu dürfen ist auch da, sowie der, das gar nicht einfach so zu können. Irgendwie nach der Devise erst wenn es schwer war und / oder wehtut fühlt es sich richtig an, sonst wäre es irgendwie "zu einfach". Als wäre mein natürlicher Urzustand immer im Stress zu sein. Und so wie ich gerade lebe einfach mein eigenes Normal.

Es tut mir total leid für dich, dass du das Gefühl hast, schöne Dinge nicht erleben zu dürfen und sie deshalb "emotional verpasst". Da fühle ich ebenfalls mit dir und auch doof ist, dass man sich dann noch über sich selber ärgert deswegen und dann fühlt man sich noch schlechter.

Lesen, Musik hören? Da hab ich nicht einmal mehr drangedacht, dass ich sowas auch tun könnte, aber klingt durchaus sinnvoll :) Ich verwurschtel mich auch oft darin, was ich jetzt alles nicht mehr machen sollte, anstatt Positives in mein Leben zu integrieren. Und wenn man etwas wegnimmt und nichts kommt bleibt natürlich eine Leere und das fühlt sich nicht gut an und dann gebe ich schnell wieder auf.

Du hast mich auf die Idee gebracht, dass ich entweder in einem Thread oder für mich selbst mal aufschreiben könnte, was ich eigentlich gerne STATTDESSEN mit meiner Zeit anfangen möchte.
Weil, dass ich die Essstörung loswerden will, ist klar, aber ich hab eigentlich gar keinen Ausblick was mich dann erwartet und mir auch noch nie vorgestellt, wie das Leben dann wäre. Gesund sein schien immer viel zu weit weg, um sich wirklich ernsthaft damit zu beschäftigen.

Ich drücke zurück und schicke auch liebe Grüße, ich hab mich echt voll gefreut, dass mir jemand geantwortet hat! Und irgendwie war das auch eine sehr gute Entscheidung mich anzumelden, weil ich damit meine Krankheit wieder ein bisschen aus der Dunkelheit herausgeholt habe. Vor allem in den letzten Monaten bin ich nach "Was ich nicht sage, ist nicht da" und dem Glaubenssatz "Ich esse ja und bin nicht mehr zu dünn, also hab ich nix" verfahren. Und mich in einem Bulimie-Forum anzumelden, war irgendwie auch ein großes Eingeständnis an mich selbst, dass ich zwar nicht mehr magersüchtig bin, aber trotzdem zugegebenermaßen noch sehr krank und etwas ändern möchte.

Ganze Liebe Grüße, Sicario