Und nun?

#1
Hallo miteinander, ich bin neu und frage mich, wie es nun eigentlich weitergehen soll....

Ich bin 28 Jahre alt und leide seit 14 Jahren an Bulimie, also ziemlich genau die Hälfte meines Lebens. Ich habe keine Lust mehr darauf und würde sehr gerne eine stationäre Therapie machen. Nach zwei missglückten Versuchen eine Therapie zu beantragen fällt es mir schwer den Mut nochmal aufzubringen. Zudem habe ich in den letzten 5 Jahren nur mit meinem Partner darüber gesprochen und weiß nicht so richtig, wie und ob ich das Thema Ärzten, Familie, Freunde… beibringen soll.


Meine Vorgeschichte in Kurzform:
Als Kind war ich immer etwas pummelig gewesen. Obwohl ich damals sehr lebenslustig und fröhlich war, hatte ich wenige Freunde. Ich war immer anders – zum einen wohl deutlich nerdiger war, zum anderen aber auch direkter, (selbst)kritischer und ganz sicher unsicherer als viele andere. Irgendwann entdeckte ich dann den Sport für mich und hatte Spaß daran. Ich nahm ab, fühlte mich wohler, wurde selbstsicherer und hatte mehr Freunde. Ich leitete daraus den Trugschluss ab, weniger Gewicht, gleich mehr Glück… Mit 14 Jahren rutschte ich daraufhin in eine MS. Durch die MS kapselte ich mich ab und es fiel mehr schwer ernsthaft Vertrauen zu fassen bzw. zu akzeptieren, dass mich Leute tatsächlich mögen könnten. Ich war einsam und sicher auch leicht depressiv. Ich merkte ziemlich bald, dass mich die Krankheit völlig im Griff hat und wollte da schnellstens wieder raus. Ich wollte normal, glücklich und frei leben und mich nicht von so einer blöden Krankheit kontrollieren lassen. Damals nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und sagte meinen Eltern, dass ich eine Therapie machen möchte. Meine Mutter, selbst Psychologin, entgegnete damals, dass mein Fall nicht so schwerwiegend sei, wie das, was sie sonst täglich bei der Arbeit erlebt (obwohl sie eigentlich beruflich nix damit am Hut hat, nur am Rande). Ich gab den Plan auf und beschloss zu funktionieren... und aus der MS wurde eine Bulimie.

Die Jahre bis zum Abitur funktionierte ich also. Ich hatte Freunde, sogar Partner. Trotz einiger Krisen und heftiger Schicksalsschläge ging es mir mehr oder weniger gut, zumindest oberflächlich. Nach außen hin war von der Bulimie kaum etwas sichtbar, nur meine Eltern und meine Schwestern wussten von meinem heimlichen Leben. Zum Abitur hin spitzte sich die Lage dann zu. Kurz bevor ich mich schlussendlich entscheiden musste, wo und was ich studieren will, platzte der ganze Stress der vergangenen Monate aus mir hinaus – und hinein in die Toilette. Während meine Eltern und mein damaliger Partner im Urlaub waren verbrachte ich Tage damit, meine Einsamkeit, den Stress der vergangenen Monate, sowie meine Angst vor falschen Zukunftsentscheidungen auszu…. und die Toilette hinunter zu spülen. Als meine Eltern aus dem Urlaub waren machte ich einen erneuten Versuch und schlug eine Therapie vor. Meine Eltern willigten ein und gemeinsam mit einem Arzt beantragte ich eine Stationäre Therapie. Die dann allerdings abgelehnt wurde, denn (O-Ton) „Mit dem Gewicht sind sie nicht gefährdet“.

In den darauffolgenden fünf Jahren während des Studiums besuchte ich regelmäßig eine Therapeutin. Die Therapie tat gut, aber dennoch gab es in Bezug auf die Bulimie kaum Fortschritte. Das Studium lief so nebenbei, am Ende hielt ich meinen 1,0 Abschluss sogar 3 Monate zu früh in der Tasche. Nach Ende des Studiums, als die (zu) großen Zukunftsfragen wieder auftauchten, rutschte ich erneut von der Bulimie in die MS. Die Suche nach einer Antwort auf die große Frage der Zukunft verschob ich und begann zunächst mit der naheliegendsten Lösung - zu promovieren. Die Magersucht entspannte sich und auch die Bulimie hatte ich phasenweise bis zu 8 Monate im Griff. Die Promotion habe ich trotz gewaltiger Hochs und Tiefs dann tatsächlich nach 3 Jahren abgeschlossen. In der Zeit ging es mir mal gut mal schlecht, dank meines Partners insgesamt aber relativ stabil.

Gegen Ende der Promotion dann wieder dasselbe Spiel und dieselbe Frage: Wie geht es danach weiter? Die MS kam zurück, und fast alles was ich aß, fand ihren Weg in die Toilette… Eine Entscheidung musste her, und so entschied ich mich dazu, mit zwei Kollegen ein Unternehmen zu gründen. Die Entscheidung bereue ich keinesfalls: Das Start-Up läuft besser als erwartet und ich lerne wahnsinnig viel in sehr kurzer Zeit – auch über mich. Zum Beispiel, wie unsicher und leicht verletzlich ich bin. Und wie sehr ich Anerkennung und Wertschätzung brauche - doch die kommt für mich viel zu selten. Der Job ist natürlich wahnsinnig stressig: Schlafstörungen, Reizdarm und Migräne gehören zum Standard, und auch eine stressbedingte Endometriose liegt dank OP hinter mir. Die Bulimie ist für mich nach wie vor das zentrale Mittel mit dem Stress umzugehen – das denke ich zumindest oft. Mittlerweile frage ich mich aber genauso oft, inwiefern sie den Stress nicht selbst auslöst. Bulimie hin oder her weiß ich inzwischen, dass mir das Start-Up persönlich kaum längerfristig Perspektiven bietet. Ich wollte nie Karriere machen, wollte und will Kinder und eine Familie, ein entspanntes Leben, ohne große materielle Ansprüche. Eigentlich ist klar, dass ich irgendwann da raus muss… aber dazu würde ich gerne ein bisschen besser wissen, wer ich bin. Oder eher wer ich wäre - ohne die Bulimie!

Re: Und nun?

#2
Liebe Aytash,

willkommen im Forum.
Ja, wer ist man ohne die Bulimie? Die Frage hat mich auch immer tief beschäftigt!
Du erinnerst mich sehr an mich.. Ich kann dir nicht sagen, wer du ohne die Krankheit, als gesundes Du bist. Was ich dir aber sagen kann ist, dass du, wenn du gesund werden willst, diesen Leistungsgedanken hinter dir lassen musst/wirst.
Nicht immer auf 100 % fahren, auch mal ne 3 oder ne 4 (wenn es in unseren Leben noch Noten gäbe ;) ), Misserfolge, Absagen akzeptieren. Mal Fünfe gerade sein lassen.
Und der Umgang mit Stress natürlich - der muss dringend aus der Bulimie outgesourct werden. Obwohl ich ganz ehrlich sagen muss, dass es am Anfang ein großer Berg Arbeit ist, mit dem neuerlichen Stress der Gewichtszunahme und der aufkommenden Gefühle umzugehen, wenn man mit dem Kotzen aufhört. Aber es lohnt sich! Es gibt so viel mehr als nur Essen und Erbrechen. Und manchmal kann es auch echt schön und bereichernd sein, Probleme und Gefühle auszuhalten ;)

Wie magst du denn jetzt weiter vorgehen?

Grüße

Re: Und nun?

#3
Guten Morgen.
Vielen lieben Dank für Deine Worte, Complessa.

Dass ich den Leistungsdruck ablegen muss ist mir klar. Der in Verbindung mit meinem Perfektionismus und der Strenge mir selbst gegenüber sind ganz sicher mit Teil des Problems. Einfach wird es nicht werden, das abzulegen, im Gegenteil.
Aus dem Grund denke ich, dass es sinnvoll wäre, den Alltag zunächst mal hinter mir zu lassen und eine richtige Auszeit zu nehmen. Darum würde ich auch sehr gerne eine stationäre Therapie machen.
Was ich mache wenn die Therapie nicht von der KK übernommen wird, weiß ich noch nicht.... vielleicht die Kosten selbst übernehmen? Oder für eine Zeitlang in ein Kloster gehen o.ä.?
Eigentlich bin ich mir ganz sicher, dass mir diese Auszeit sehr gut tun wird und ich auch die Bulimie in der Zeit unter Kontrolle bekommen werde. Viel spannender finde ich die Frage was danach kommt. Ich kann mir gut vorstellen, dass mein Leben “danach“ ganz anders gestaltet sein muss und ich vermutlich den Job wechseln muss und mich neu orientieren werde.

Aber Schritt für Schritt. Für heute habe ich mir vorgenommen im Laufe des Tages einen Arzttermin auszumachen.... mit dem Ziel dann im Termin gemeinsam mit dem Arzt eine Therapie zu beantragen.

Oder ist das die falsche “Reihenfolge“ in Bezug auf den bürokratischen Teil??

Ich wünsche Euch einen schönen Tag,hoffentlich nicht zu heiß...

Re: Und nun?

#4
Hallo Aytash,

es ist ein großer Schritt nach vorne wenn du dir eingestehst das du Hilfe brauchst und diese in stationärer Form machen möchtest.
Gerade wenn du so in der "Stress muss funktionieren dass pack ich irgendwie- Falle" steckst ist stationär ein wichtiger und guter Schritt. Auch ich war so in diesem Muster verfangen.. ich habe sozusagen die Bulimie mit Arbeit und Aktivitäten zugeschüttet . Sozusagen wenn ich keine Zeit für FA habe passieren sie nicht so oft... dass dies jedoch ein extremer Teufelskreis ist brauch ich nicht extra erwähnen oder?

Zu deiner Frage: Meiner Meinung nach ist es der richtige bürokratische Weg, den du einschlägst: Ich bin zuerst zum Hausarzt, der wiederum überwies mich zu Facharzt( Psychater). Dieser schrieb den Befund und das Indikationsschreiben für die stationäre Aufnahme. Diese hab ich dann zu den Anmeldungsformularen beigefügt für die stationäre Aufnahme.

Was danach kommt ist eine Frage die glaube ich viele beschäftigt. Mir geht es so dass ich mir ein Leben ohne Esstörung nicht mehr vorstellen kann da ich schon zu lange darin stecke. aber nur weil man es sich nicht vorstellen kann heißt es ja nicht das es nicht schön und leichter, lebenswerter wird.

Es ist schwierig das alte loszulassen wenn man noch nicht weiß wie das neue aussehen soll oder kann...

Bei mir war es so dass ich genau aus diesem Grund mich nicht getraut habe mir eine Auszeit zu nehmen. bis zum totalen Zusammenbruch... und jetzt... bin ich im Krankenstand. Noch vor 6 Wochen hätte ich dir gesagt: Daheim bleiben, erholen dass kann ich nicht... keine Zeit geht nicht, halte ich nicht aus.....

musste feststellen dass es doch geht...es ist schwierig aber es geht. bzw. muss gehen.
Was ich dir damit sagen will ist das es sich dann schon irgendwie ergibt, wie das neue Leben dann aussieht... das kann man nicht im Vorhinein sagen.

ich wünsche dir viel Kraft und Mut

lg Die Dranbleiberin
Wenn du es nicht versuchst, wirst du nie erfahren ob du es geschafft hättest 8)

Re: Und nun?

#5
Hallo nochmal,

hier mal ein kleines Update: Ich war mittlerweile beim Arzt und habe mich "geoutet". Der Arzt war sehr verständnisvoll und ich hab mich dort bestens aufgehoben gefühlt. Was den Psychischen Teil anbetrifft, hat er mich weiter an die Psychosomotik der Uniklinik vermittelt. In zwei Wochen hab ich dort einen ersten Vorstellungstermin, dann sehen wir weiter... vermutlich wird es aber eher ein längerer Aufenthalt in der Tagesklinik der Uniklinik werden. Wäre für mich glaube ich eine sehr gute Lösung und ich hoffe, dass das klappt.

Der Arzt hat bei meinem Besuch dann auch gleich alle Körperfunktionen durchgecheckt. Das Herz funktioniert einwandfrei, ist nur etwas zu groß - Sportlerherz :wink:. Blutdruck war bei unterirdischen 90/65, das war aber schon immer so. Blutwerte sind bis auf einen leichten Vitamin D Mangel auch alle Bestens. Immerhin :)

Danke nochmal für eure aufbauenden Worte!!!
Aytash