Einen Versuch ist es Wert

#1
Liebe Mitleidenden,

ich melde mich in diesem Forum, um mir selbst weiterzuhelfen meine Bulimie in den Griff zu bekommen. Ein paar Eckdaten zu mir: ich bin wie ich aus vielen wissenschaftlichen Texten herauslesen konnte, wohl die Vorzeigebulimikerin. Schlank, hübsch, erfolgreich, clever. Soweit die objektive Meinung. Subjektiv sieht die Sache Natürlich anders aus: "Wer frisst und kotzt, hat nicht das Leben gefunden, das ihm schmeckt." Ich bin jetzt 26, habe bereits zwei Bachelorstudiengänge abgeschlossen und mache derzeit einen Master. Das Studieren fällt leicht und finanziell bin ich durch eine sehr gute Anstellung als Werkstudent und eine Selbstständigkeit auch gut aufgestellt. So what? Was ist mein fucking Problem? Klingt doch alles tippitoppi!
Ich habe schon früh bulimische Tendenzen feststellen können und kann den schlussendlichen Ausbruch der Erkrankung zeitlich auf etwa 3-4 Jahre eingrenzen. Wie jeder weiß ich natürlich nicht, wann genau der Dämon von mir Besitz genommen hat. Er war einfach irgendwann da. In der Selbstreflexion bin ich dann darauf gekommen, dass ich wohl einen Kontrollzwang habe. So steht es ja schließlich auch in der Literatur. Aber das ist es nicht!!!
Der Ausbruch der Krankheit fällt zeitlich ungefähr auf den gleichen Zeitpunkt wie der Beginn meiner letzten Beziehung. Diese habe ich im August beendet, seit Januar war ich anfallsfrei. Ich dachte die Krankheit besiegt zu haben. Ich dachte ich habe die Auslöser eliminiert und kann nun wieder normal leben. Ich war so unfassbar glücklich. Meine Brust war selten so vor Stolz geschwellt. Du hast es geschafft! Wie falsch ich doch lag.
Am Donnerstag dann ein erster Rückfall, mittags, abends gleich nochmal auch egal jetzt hast du ja eh schon. Freitag gleich wieder. Heute noch nicht! Und wo bringt mich die Selbstreflexion jetzt hin, warum gerade jetzt, was ist es? Einsamkeit, ich besiege damit meine Einsamkeit. Die Leere in mir muss gefüllt werden, so übermäßig gefüllt, bis mir so schlecht ist, so dass es keine andere Möglichkeit gibt, als sich zu leeren. Und ich war wohl nie so einsam, wie in meiner letzten Beziehung, einer Beziehung mit einem krankhaften Narzisten, der mich vollends isoliert hat. Ich habe mich isolieren lassen.
Was ich mich frage, ist woher diese Einsamkeit kommt? Ich gehe viel unter Leute, fühle mich in meinem aktuellen Down in diesen Situationen aber noch einsamer als allein. Was kann man stattdessen machen? Beziehungsweise sind diese Gefühle nicht vielleicht sogar normal? Brauche ich nur ein anderes Ventil, um sie zu kanalisieren? Ich bin sehr künstlerisch und benutze das Schreiben und malen auch um nachzudenken. Aber irgendwie reicht das nicht als Ventil. Ich hänge mich ja schließlich immer wieder über die Schüssel.
Ich habe damit begonnen mein Umfeld in meine Krankheit einzuweihen. Ich hoffe, dass sich so die Hemmschwelle erhöht weiter selbstzerstörerisch zu handeln. Ich bin sogar in eine WG gezogen, um mir das Ausleben der Bulimie zu erschweren. Ich will das wirklich nicht mehr. Was kann ich noch tun? Und bitte nicht der Hinweis Therapie! Schon versucht. Therapeut: "Sie sind doch so intelligent, sie schaffen das doch wohl allein. Dass, das nicht gut ist brauche ich ihnen ja wohl nicht zu sagen." Ja danke dafür!!!

Re: Einen Versuch ist es Wert

#2
Liebe Comeon,
den Kommentar hätte sich der Therapeut besser sparen können, Du hattest großes Pech, das gibt es. Es gibt schlechte Therapeuten. Ich glaube schon, dass eine Therapie wichtig ist. Auch wenn es große Überwindung kostet. Die Bulimie hat sich wohl in dein Leben geschlichen, als Vehikel, das automatisiert sich dann. es gibt Ansätze, die sich mit Suchtverhalten und Neurologie befassen, zb wie das Hirn auch bei so einem Anfall reagiert, da nützt einem die ganze Intelligenz, und die Reflektiertheit nichts, das ist Außer Kontrolle, dann. Es gibt Ansätze, wie es möglich ist, schritt für schritt diese Muster wieder zu durch brechen, es braucht sehr viel Zeit, aber auch Wissen, um die eigenen Gefühle denke ich. Ich habe schlechte Erfahrungen mit Therapien gemacht, war in Abhängikeitsbeziehungen, war in einem richtigen Teufelskreis aus Bulimie und Alkoholsucht, um meine schlechten Gefühle und Erinnerungen und Verletzungen und Minderwertigkeitsgefühle in griff zu bekommen, über fast 12 Jahre. (bn jetzt 33) (Bin auch erfolgreich, selbständig, kreativ, hübsch, etc.. selbstzweifel hatte ich versteckt) letztendlich hatte mir dann doch eine Therapie geholfen, weil ich über einen langen weg begonnen hatte, michmit dingen auseinander zu setzen, die lange zurückliegen, und lernen musste, den Dingen auf den Grnd zu gehen. war auch in einer Klinik, auch tw in Medikation, dann, war es aber auch die Zeit und eine Verbesserung meiner Lebensumstände, neue Menschen um mich, Druck abzubauen, Fallen zu entlarven, die ich mir selbst über Jahre selber gebaut habe, vor allem musste ich entwickeln, was ich eigentlich selber im Leben möchte, und nicht unbewusst den Erwartungen anderer zu entsprechen etc. Muss nicht für jemand anderes so gelten, vielleicht geht es auch ohne Therapie und es bleibt eine schlimme Phase. Aber in einer Therapie kann man evt an die Gefühle rankommen, die man durch die Bulimie wegdrückt.
Dann, ja, glaube ich aber dass es zwei paar Schuhe sind, Therapie zu machen, und die Bulimie als Krankheit zu bekämpfen. Die hat Ihren Platz, ist eine sehr komplexe sehr individuelle Krankheit, die man auch nicht einfach auf "Kontrollzwang" reduzieren kann.
lg Pola

Re: Einen Versuch ist es Wert

#3
Liebe comeon,

ich kann meiner Vorrednerin nur zustimmen!
Bei mir war es so ähnlich wie bei dir: Durch einen Mann isoliert worden, dann das Ganze endlich beendet und eine riesengroße Einsamkeit bemerkt. Und über all die Jahre, die mich die verdammte ES jetzt schon begleitet, gab es sicherlich nicht immer einen tiefenpsychologischen Grund für FAs, manchmal dachte ich lediglich: Ach komm, du frisst und kotzt ohnehin und jetzt ist grad Feierabend, ich hätte eigentlich Lust, mich vollzustopfen. Daher habe ich ewig keine Therapie in Erwägung gezogen, weil ich dachte, es gäbe keinen wirklichen Grund, mein Leben ist eigentlich super, ich bin eben einfach disziplinlos und es ist eine Schande.

Mittlerweile habe ich mir aber (erneut!) Hilfe gesucht und es tut ernsthaft so gut! Du hast leider direkt eine schlechte Erfahrung mit einem Therapeuten gemacht, aber gib nicht auf! Geh zu mehreren Erstgesprächen und wähle den oder die, der/die dir nach Bauchgefühl am besten gefällt. Meine erste Therapie hat mir viele Jahre ein rückfallfreies Leben beschert und damals dachte ich noch, dass das wohl nie möglich sein wird. Daher habe ich mich endlich aufgerafft, es ein zweites Mal zu versuchen. Ich möchte dir wirklich Mut machen, das auch zu tun.

Liebe Grüße!

Re: Einen Versuch ist es Wert

#4
Ich danke euch beiden sehr für eure Antworten. Ich habe nun erneut einen Therapeuten aufgesucht und habe ein gutes Gefühl bei ihm. Bereits im ersten Gespräch konnte ich neue Erkenntnisse gewinnen. Mir ist das vorher noch nie aufgefallen aber ich habe bis zu meinem 12. Lebensjahr keinerlei Erinnerungen an meine Kindheit. In einem Gespräch mit meiner besten Freundin, die als einzige (außer meinem Exfreund) von der Problematik wusste, kam ich darauf zu sprechen. Also klar ich habe ein Konstrukt aus Bildern und Geschichten aber da ist nichts Gelebtes. Das fand ich bisher noch nie abnorm, sie aber schon. So habe ich mich durch die Gegend gegoogelt und kam auf die Diagnose Trauma. Aber woher soll ich denn bitte ein Trauma haben, war doch alles schick. Naja und dann ab zum Fachmann, der mir einen sehr interessanten Denkanstoß gegeben hat.

Ich geh das jetzt an, aber es fühlt sich schon wieder an wie ein Projekt. Projekt Studium, Projekt Umzug, Projekt Haushalt, Projekt Diät, Projekt Bulimie und jetzt Projekt Therapie? Und was ich schon wieder für einen straffen Plan fahre. Ich habe mich geoutet vor meinen Mitbewohnern und meiner Schwester, morgen kommt die Mutter dran und Freitag dann Vater. Was, was, was? Ich bin ein ICE. Ich war vor 4 Tagen das erste Mal da.

Das Ding ist ich habe ja eine Ahnung davon, was eine Therapie von mir verlangen wird. Ich muss einiger meiner Projekte aufgeben. Ich bin Hans Dampf in allen Gassen. Aber ich weiß gar nicht, wie das gehen soll? Alles was ich tue, mache ich, weil man das halt so machen muss. Nach 10 Stunden Arbeit muss man sich auch mal entspannen also tue ich das ich bin ja nicht verrückt, aber nicht weil ich es fühle, sondern weil ich einfach weiß, dass man das nach 10 Stunden Arbeit so macht. Und all meine Projekte erscheinen mir so unfassbar wichtig. Wer soll es denn sonst tun? Eine Wohnung muss doch sauber sein und ich kann doch auch nicht kurz vor dem Ziel mein Studium schmeißen. Die 2 Jobs brauche ich um Miete, Auto, Hobby, Fressen und einfach alles zu bezahlen. Da kann ich mir nun mal nicht, wie ein normaler Student gar keinen Job oder eben nur einen kleinen für 450€ suchen. Das reicht ja gerade mal für die Miete. Also wie soll das gehen? Das ist einfach ein Dilemma, da kann auch ein Therapeut nichts ändern. Ich rede gerne mit ihm über mich, aber das kann mir nun mal nicht die Notwendigkeit für meine Autonomie entziehen. Ich denke das kann man nur Dilemma nennen. Wisst ihr ungefähr was ich meine?